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Berlin: Neues Geld im Schatten der Blockade

Die Währungsumstellung auf Euro und Cent ist keine Währungsreform. Bloß nicht.

Die Währungsumstellung auf Euro und Cent ist keine Währungsreform. Bloß nicht. Beim Stichwort Währungsreform bekommen betagte Westdeutsche glänzende Augen in Erinnerung an die Geburt des Wirtschaftswunders 1948. Dagegen denken alte Berliner an Blockade, Luftbrücke, Spaltung und groteskes Währungsdurcheinander.

Zum Thema OnlineSpezial: Der Euro kommt Euro-Countdown: Die Serie im Tagesspiegel Euro-Memory: Passende Euro-Pärchen finden Ted: Der Euro - mehr Vor- oder mehr Nachteile? Als am Sonntag, dem 20. Juni 1948, den Bürgern der Westzonen ihre Kopfquoten von 40 D-Mark umgetauscht wurden, hing die Viermächte-Stadt Berlin bedrohlich in der Luft. Im Tauziehen nach dem Motto: Wer die Währung hat, hat die Macht! hatten sich die Amerikaner, Briten und Franzosen mit den Russen nicht auf die Lösung der Währungsfrage für Berlin einigen können. Sie konnten es auch beim letzten Versuch am 22. Juni 1948 nicht mehr. In der Nacht zum 23. Juni erging der Befehl Nummer 111/48 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) zur Währungsreform für die Sowjetzone plus Groß-Berlin. Die Westalliierten erklärten diesen Befehl sofort "für null und nichtig". Die Russen antworteten mit der Hunger-Blockade der Westsektoren.

So überstürzt kam die SMAD-Währung, dass noch gar kein Ost-Geld da war. Die Kopfquote von 70 Mark wurde in Reichsmarkscheinen ausgegeben, die mit Kupons überklebt waren. Von Fälschungssicherheit konnte natürlich keine Rede sein. Der Mutterwitz verpasste der SMAD-Währung die Spottnamen "Tapetenmark" und "Klebegeld". Diese 70 Ost-Mark erhielten auch die West-Berliner, aber auf Befehl der Westalliierten zugleich die nagelneuen, dem Dollar ähnlichen D-Mark-Scheine, die mit einem B-Stempel versehen waren - B wie Berlin. Die Kopfquote betrug 60 Mark, also gegenüber den Westdeutschen 20 Mark "Zitterprämie" dazu. Im Ostsektor wurde die D-Mark verboten. In den Westsektoren galten beide Währungen nebeneinander.

West-Berlin hatte nun eine Doppelwährung, und das in einer immer noch einheitlich von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung verwalteten Stadt. Auf Anordnung der Westalliierten mussten die Arbeitgeber im Westen Löhne und Gehälter nur zu 25 Prozent in West auszahlen.

Dafür durfte man Lebensmittel auf Karten, Mieten, alle Gebühren, zum Beispiel für Strom und Gas, Fahrgeld und Briefmarken in Ost begleichen. Die Doppelwährung trieb kuriose Blüten. Die alten Reichsmark-Münzen waren noch gültig, aber als Wechselgeld für West-Mark war der Groschen nur einen Pfennig wert. Wer für 90 Pfennig eine nicht lebenswichtige Ware kaufte, bekam auf eine West-Mark zehn alte Groschen gleich zehn Pfennig heraus. Die verwandelten sich, o Wunder, beim Kauf etwa von Briefmarken und Fahrscheinen wieder in eine Mark. Das war günstig, aber vorbei, als Ende Juli 1948 das neue Ost-Geld kam, die "Deutsche Mark der Deutschen Notenbank".

Vor allem gab es aberwitzige Ungerechtigkeiten. Grenzgänger, die im Westen wohnten und im Osten ihre Einkünfte bezogen, bekamen nur Ost-Geld. Sie waren auf amtlich lizensierte Wechselstuben im Westen angewiesen, in denen der tägliche Umtauschkurs bei vier und fünf Ost-Mark für eine West-Mark lag. 250 000 Rentnern im Westen, deren Versicherungsträger zufällig im Ostsektor saß, wurden erst ab Mitte September 1948 kümmerliche zehn Prozent ihrer Renten 1:1 in West umgetauscht.

Die West-Berliner waren einerseits heilfroh über die D-Mark, die Hoffnung in der Bedrängnis gab. Andererseits waren sie enttäuscht über die schwache West-Anbindung. Politisch war die Doppelwährung der Versuch der West-Alliierten, die Viermächte-Verwaltung Berlins zu untermauern und den Konflikt mit den Russen nicht weiter eskalieren zu lassen. Aber die West-Mark sickerte unentwegt "schwarz" in den Osten. West-Berliner bezahlten damit, was sie ergattern konnten, um ihre kargen Blockade-Rationen anzureichern. Und für die Wirtschaft war es gar nicht übel, mit der inflationiären Ost-Mark zu hantieren, während die West-Mark knapp gehalten wurde. Lohnkosten, Mieten und Gebühren in Ost minderten die Betriebskosten, so dass die Nöte der Blockade etwas abgefedert wurden.

Auch die "Bären-Mark" geisterte durch die Debatten. Das war die Idee einer Sonderwährung für ganz Berlin als Ausdruck des verzweifelten Versuchs, durch Konzessionen an die Russen die Spaltung der Stadt zu verhindern. So machte sich Bürgermeister Ferdinand Friedensburg (CDU) zum Fürsprecher der Bären-Mark. Da war Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) vor, der wegen des sowjetischen Vetos nicht amtieren durfte, aber wie üblich im antikommunistischen Freiheitskampf den Ton angab. Die West-Berliner folgten ihm, sie wollten die West-Mark. Die Spaltung der Stadtverwaltung war nicht aufzuhalten. Sie wurde mit der Ausrufung eines "demokratischen Magistrats" für Ost-Berlin durch die SED am 30. November 1948 besiegelt.

Doch erst vier Monate später kam das Ende der Doppelwährung. Am 20. März 1949 genehmigten die Westalliierten endlich die D-Mark als alleiniges Zahlungsmittel in den Westsektoren. "Gutes Geld", titelte der Tagesspiegel feierlich. Wer im Westen wohnte und im Osten arbeitete, bekam 60 Prozent seines Netto-Lohns 1:1 in West umgetauscht. Wer im Osten wohnte und im Westen arbeitete, bekam zwar nur zehn Prozent West, wurde aber dafür im Osten als kleiner König beneidet. Keine Grenzgänger und trotzdem währungsgeschädigt waren die Reichsbahner, die im Westen wohnten und auf den West-Berliner Bahnhöfen der S- und Fernbahn Dienst taten. Sie wurden in den Lohnausgleich einbezogen, denn die Reichsbahndirektion unterstand den Russen und zahlte nur Ost. Die Lohnausgleichskasse existierte, solange es Grenzgänger gab - bis zum Mauerbau am 13. August 1961.

So kompliziert war das in Berlin, wo das Unnormale normal war. Wie einfach ist es, so gesehen, doch am Neujahrsmorgen 2002: Die Konten auf Euro umgestellt und fertig.

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