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Neues Museum: Die Berliner Kistenweisen

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte, die Antikensammlung, das Ägyptische Museum – wertvollste Ausstellungsstücke ziehen derzeit um, ins Neue Museum auf der Museumsinsel. Wichtige Verhaltensregel dabei: Zu viel Respekt ist nicht gut, sonst lässt man was fallen

Berlin ist die Stadt des Umziehens. In anderen Städten kauft man sich ein neues Auto oder geht zum Friseur, wenn einem der Sinn nach Veränderung steht. In Berlin zieht man um. In einen sanierten Altbau. Ins Grüne. Vom Westen in den Osten. Umziehen ist in Berlin ein Volkssport.

Kein Wunder, dass in Berlin auch die Museen ständig umziehen. Besser gesagt: zusammenziehen. Wie das Museum für Vor- und Frühgeschichte, Teile der Antikensammlung und das Ägyptische Museum samt Papyrussammlung. Sie alle siedeln derzeit ins Neue Museum über, das die alten Kulturen unter einem Dach vereinen soll, als eine Art Museums-WG. Die Ägypter, wie man sie hier nur nennt, haben hohe, lichtdurchflutete Säle bekommen, die Vor- und Frühgeschichte breitet sich in Säulenhallen und unter dem Dach aus. Dazwischen immer wieder antike Jünglinge aus Marmor.

Und dann gibt es noch den riesigen Treppenaufgang, der aussieht wie der Eingang zu einem Pharaonengrab. Hier oben sollte eigentlich Nofretete stehen. Der Star des Neuen Museums, gleichsam auf einer Showtreppe, im Boden sind schon die Einlassungen für die Vitrine. Doch dann hat man es sich anders überlegt. Weil die zarte Schönheit der Nofretete inmitten dieser wuchtigen Architektur vielleicht untergehen würde. Jetzt hat sie einen eigenen kleinen Saal für sich. Ab nächsten Samstag wird das Neue Museum der Öffentlichkeit zugänglich sein.

An der Rückseite des Neuen Museums steht Hans Kohls und blickt in einen tiefen Schacht. Die Öffnung, durch die ins Museum gehievt wird, was nicht durch die Tür passt. Opferkammern, Reliefs, Palasttüren. Kohls arbeitet für die Firma Hasenkamp, spezialisiert auf Umzüge von Kunst. Kohls ist gelernter Schmied, seit 30 Jahren macht er Umzüge. Er hat einen breiten Rücken, sein Gesicht ist rot vom Rennen. Es ist noch nicht lange her, da hatte er einen Herzinfarkt. Um diese Uhrzeit sollte er eigentlich bei seinem wöchentlichen Bewegungs- und Kreislauftraining sein, der Reha.

Doch erst mal sind die Sarkophage dran. Berlin hat nach Kairo die größte Sammlung an ägyptischen Steinsarkophagen. Kohls schnauft. Im Ägyptischen Hof weist eine Tafel darauf hin, dass nach altem ägyptischen Glauben die Göttin des Westens jeden Morgen den Sonnenball an die Göttin des Ostens übergab. Kohls Männer wuchten eine tonnenschwere Grabplatte an die Wand. Sie wirken, als würden sie lieber einen Sonnenball übergeben. Jemand sagt: „Vorsicht auf die Finger.“ „Nee, die Wand ist teurer“, brummt Kohls, Umzugshumor. Ein Museum umzusiedeln, sei nicht anders als ein ganz normaler Umzug, sagt Hans Kohls. Erst kommt das Sperrige, dann die Kleinteile.

Hans Kohls hat in seinem Leben schon viel gehoben. Vier Mal hatte er die Nofretete in Händen, die vor ein paar Tagen vom Alten ins Neue Museum umgesiedelt wurde, in den Nordkuppelsaal, an ihren endgültigen Zielort. Und? „Sie ist schwerer, als sie aussieht, außerdem ist sie kopflastig“, sagt Kohls. Früher haben sie sie noch am ganzen Kopf angefasst, jetzt hat sie einen speziellen Sockel für einen berührungsfreien Transport. Ob er sich von der Kunst beeindrucken lasse, die er täglich übersiedle? Hans Kohls zuckt mit den Schultern. „Zu viel Respekt ist nicht gut, sonst lässt man was fallen.“

„Artem non odit nisi ignarus“ steht auf dem Neuen Museum. Nur der Unwissende verachtet die Kunst. Davor gräbt ein Bagger die Erde um. 2012 soll hier ein luftiger Kolonnadenbau stehen, das moderne Eingangs- und Verteilungsgebäude, entworfen vom englischen Architekten David Chipperfield, der auch das Neue Museum umgebaut hat. Hans Kohls kann sich noch genau erinnern, wie das Museum zu DDR-Zeiten ausgesehen hat. Schon damals hat er Kunsttransporte gefahren. Das Haus war eine Ruine, das Dach notdürftig geflickt, darunter waren die Kunstwerke, von denen man nicht wusste, wo man sie sonst hinstellen sollte.

Matthias Wemhoff begegnet im Neuen Museum täglich dem Krieg. Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, ist der Landesarchäologe, und zur Archäologie gehört eben auch das verbogene Besteck des Restaurants Lutter & Wegner, das aus dem Bombenschutt gezogen wurde. Oder die bei einem Brand zusammengeschmolzenen Perlen aus einem Kaufhaus, die aussehen wie Stücke von einem Korallenriff. Sie wurden bei archäologischen Ausgrabungen auf dem Petriplatz in Mitte gefunden. Im Vaterländischen Saal sind einige der Töpfe aus der frühgeschichtlichen Sammlung ausgestellt, die im Krieg in Scherben gingen. Wemhoff hat noch Säcke davon im Depot. Irgendwann sollen sie sortiert werden.

Für die Archäologie ist das Neue Museum, das selbst aussieht wie ein zusammengeflickter Topf, ein idealer Ort. Jeder Raum trägt die Verwerfungen der Geschichte in sich. Beschädigte Säulen, zerstörte Fresken, Löwenfiguren, in denen noch Einschusslöcher zu sehen sind – das Neue Museum ist nicht nur ein Ort der Kunst, es erzählt auch von den Verletzungen, die der Kunst zugefügt wurden.

Wemhoff, helle Jeans und Pullover, zeigt seine Sammlung wie ein netter Mitbewohner die WG. Den spitzen Goldhut aus der Bronzezeit, den vermutlich Priester zur Ausübung des Sonnenkults trugen. Die Troja-Sammlung Heinrich Schliemanns. Einen Neandertalerschädel. Den 12 000 Jahre alten Elch, gefunden beim U-Bahn-Bau am Hansaplatz. Und dazwischen immer wieder die Brüche. Wände, an denen die Farbe fehlt, graue Säulen, die mit ihrer rauen Oberfläche aussehen wie antike Fundstücke, dabei stammen sie aus dem 19. Jahrhundert und wurden im Krieg beschädigt. In keinem anderen Museum ist Berlin so sehr bei sich wie hier. Wenn das Neue Museum nun nach 70 Jahren wieder seine Pforten öffnet, werden zum ersten Mal alle Museen auf der Museumsinsel zugänglich sein. „Mit der Eröffnung des Neuen Museums geht in Berlin die Nachkriegszeit zu Ende“, sagt Wemhoff.

Wemhoff bahnt sich seinen Weg durch Stapel von Umzugskartons. Überall werden die letzten Arbeiten vorgenommen. Eine Kuratorin leuchtet eine Büste an, bis „sie richtig guckt“, Männer mit Handschuhen frickeln an Schmuckstücken herum, ordnen Waffen, sortieren Münzen. Auf einer Vitrine klebt ein Zettel: „Teller hängen schief“. Das Einräumen der Kleinteile. Bei jedem Umzug der Punkt, an dem man glaubt, es hat ein Ende, und dann kommt noch unendlich viel Zeug.

Und wie nach so vielen Umzügen ist in der neuen Bleibe zwar mehr Platz, man bringt aber trotzdem nicht alles unter. Auch nicht auf der Museumsinsel, die jetzt so etwas ist wie der Salon Berlins. Der Ort, an den man seine Gäste lotst, weil dort die schönsten und repräsentativsten Sachen stehen. Was im Salon keinen Platz findet, wird verräumt, wie bei jedem Umzug. Auf den Dachboden oder in den Keller. Beziehungsweise ins Depot.

Frank Marohn, Museologe im weißen Arbeitsmantel, verwaltet das Depot des Ägyptischen Museums. Das Museum ist sein Traum, seit er ein Kind ist. Mit zwölf ist ihm ein Buch über Tutanchamun in die Hände gefallen, seither haben ihn die alten Ägypter nicht mehr losgelassen. Jetzt ist er Herr über 36 000 Objekte, wobei ein Objekt eine Perle sein kann oder eine Grabkammer mit 120 Teilen. 2300 Stücke kommen ins Neue Museum, Marohn kennt die meisten mit ihrer Depot-Nummer. Die Nofretete zum Beispiel: Nummer 21300.

Frank Marohn hat viel zu tun dieser Tage. Er rennt zwischen Neuem Museum und seinen Depots hin und her, die in alle Teile der Stadt verstreut sind. Er verpackt, beschriftet, kontrolliert Listen, schaut den Umzugsleuten über die Schultern. Was ist anstrengender, das Aus- oder das Einpacken? Am anstrengendsten sei es, das Klima beim Transport konstant zu halten, sagt Marohn. Masken aus Wachs sind extrem temperaturempfindlich, genauso wie Holzsärge. Kalkstein kann leicht kaputtgehen, Mumien brauchen eine Luftfeuchtigkeit von 45 bis 50 Prozent. Für den Transport gibt es eigene Klimakisten.

Manchmal träumt Frank Marohn davon. Von Listen und von Kisten, davon, dass er etwas nicht findet. Die Umzugskartons sehen auch in einem Museum alle gleich aus. Wenn alles unter Dach und Fach ist, wird er erst einmal Urlaub machen. Frank Marohn schnappt sich eine seiner Listen und rennt weiter. Gegenüber von seinem Büro in der Geschwister-Scholl-Straße – ein paar Schritte vom Museum entfernt – stehen die Bagger. Bis zum Jahr 2012 wird hier ein neues Depot gebaut, in dem Teile der Sammlung untergebracht werden sollen. Dann wird wieder übersiedelt. Und es wird nicht der letzte Umzug in Berlin gewesen sein.

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