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Christopher von Deylen auf dem Fernsehturm am Alex.

© privat

Neues Schiller-Album "Opus": "Berlin, mein Katalysator"

Christopher von Deylen, alias Schiller, macht seit Jahren erfolgreich elektronische Musik. Auf seinem neuen Album „Opus“ hat er nun die Klassik für sich entdeckt. Wir sprachen mit ihm über seinen Katalysator Berlin.

Lieber Herr von Deylen, Sie haben den Fernsehturm am Alexanderplatz als Treffpunkt für dieses Interview gewählt. Warum?
Der Fernsehturm ist mein Fixpunkt in Berlin. Man sieht ihn von überall. Und trotzdem läuft man am Alexanderplatz immer mit einer gewissen Achtlosigkeit vorbei. Ich glaube, jede Stadt braucht einen Ort, der eine irreparable Patina in sich trägt, als Kontrast zu den aufgehübschten Gegenden. Es gibt sicher schönere Orte in Berlin als den Alexanderplatz, aber für mich hat er etwas sehr Reales.

Sie meinen, man ist der Wirklichkeit hier ein Stück näher?
Ja, irgendwie schon. Dazu kommt noch eine Art visuelle Erhabenheit. Der Alexanderplatz hat etwas von einer katholischen Kirche, die so konstruiert wurden, dass sich der Mensch immer ein bisschen kleiner fühlt, als er eigentlich ist. Mit der Frankfurter Allee, die hier anschließt, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Und wenn man dann von hier oben auf die Stadt blickt, erstrecken sich die Pfade von Berlin wie die Pfade im eigenen Leben. Wir bewegen uns auf ihnen beinahe blind. An manchen Ecken läuft man einfach vorbei. Dann wiederum hat man den Drang abzubiegen, einen Schritt seitwärts zu wagen. Und plötzlich sitzt man im Fernsehturm.

Ihr Schritt von Hamburg nach Berlin war so eine Art „Seitwärtsbewegung“. Was hat Sie dazu veranlasst?
Hamburg ist eine schöne, saubere, vollendete Stadt. Da ist die Versuchung sehr groß, sich selbst zu genügen. Hamburg strahlt ein gewisses Gesettelt-Sein aus. Berlin als Schmelztiegel der Kreativszene dagegen lockt mit immer neuen Möglichkeiten, jeder Tag ist anders, die Stadt verändert sich permanent. Auf eine gewisse Art ist Berlin ein Versprechen, das nie eingelöst wird. Und es drängt sich die Gleichung auf, dass man hier zwar gewisse Widrigkeiten hinnehmen muss – dafür wird man am Ende aber auch belohnt.

Wird man das denn? Viele Menschen – vor allem aus dem kreativen Bereich – kommen wegen dieses Versprechens in die Stadt, mit großen Hoffnungen und werden dann ganz schnell vom Alltag eingeholt.
Ich konnte diese Frage sehr lange uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten – sonst wäre ich nicht geblieben. Man kann es sich hier als Kreativling vortrefflich bequem machen. Der innere, kreative Antrieb muss aber dann schon aus einem selbst herauskommen. Und das ist vielleicht eine Realität, die sich dem ein oder anderen nur sehr langsam offenbart. Ob man dann letztendlich glücklich ist, mit dem was man tut, hat am Schluss nicht mehr viel mit der Postleitzahl zu tun.

Dann hätten Sie ja aber streng genommen nicht nach Berlin ziehen müssen...
Das stimmt. Nur weil in Berlin viele Menschen mit einem Drang nach Kreativität zusammenkommen, heißt das noch lange nicht, dass ihre Arbeit dadurch besser wird. Es kann sogar sein, dass die gegenseitige Ablenkung eher kontraproduktiv ist. Aber Berlin ist ein guter Katalysator. Es ist die Umgebung, die inspiriert, die Menschen, das Treiben auf der Straße, die hohe Fluktuation.

Alfred Hitchcock langweilte sich fürchterlich, wenn er ein Drehbuch beendet hatte. Ihnen geht es ähnlich, wenn Sie ein Album fertiggestellt haben. Sie brauchen den permanenten Wandel. Darf man Sie einen Workaholic schimpfen?
Ich würde das gerne durch den Nachsatz ergänzen, dass ich diesen Begriff mit etwas Positiven assoziiere und nicht als etwas verstehe, von dem man geheilt werden muss. Dieses Post-Album-Abgabe-Trauma versuche ich zu überwinden, indem ich die entstandene Lücke mit anderen Dingen schließe. Was ich mache, ist ja eine Leidenschaft. Ich empfinde das nicht als Arbeit, sondern als Geschenk. Früher habe ich versucht, mich zu konditionieren und mir phasenweise ein Nichtstun zu verordnen. Aber ich bin scheinbar kein Müßiggänger. Für mich ist es einfacher, meiner Leidenschaft nachzugeben und ihr nachzugehen. Und nachhaltiger ist es auch.

Leidenschaften kosten Kraft. Empfinden Sie Ihre zuweilen als anstrengend?
Bis jetzt nicht, nein. Sicher touchiert man gewisse Energiegrenzen und verlässt dann und wann die Komfortzone. Es gibt diese binsige Weisheit, dass das Leben da beginnt, wo die Komfortzone aufhört. Deshalb gebe ich mir ab und zu einen kleinen Schubs.

Sie haben es also nicht gerne bequem?
Nein.

Für "Opus" verlässt Schiller die Komfortzone.

Christopher von Deylen im Fernsehturm am Alex.
Christopher von Deylen im Fernsehturm am Alex.

© privat

Auf Ihrem neuen Album, „Opus“, haben Sie die Komfortzone verlassen und sind einen großen Schritt seitwärts gegangen: Sie verbinden hier die gewohnten Schiller’schen elektronischen Klänge mit Versatzstücken aus der klassischen Musik. Wie kam es dazu?
Schiller ist ein organisches Konstrukt. Man kann es gießen, weiß aber nicht wohin die Zweige austreiben. “Opus“ hat sich mir mehr oder weniger selbst präsentiert. Ich kann ehrlich gesagt nicht genau sagen, wann oder wie oder warum. Als Kind war mein Verhältnis zur Klassik eher gespalten. Ich konnte weder etwas mit der Musik noch mit ihrer oftmals affektierten Darbietungsform anfragen. Und auch heute bin ich weder Klassik-Fan noch kenne ich mich besonders gut aus. Aber es ist wie bei jedem Genre: Entweder ein Stück berührt mich oder nicht. Ganz gleich ob Orchestermusik oder Krautrock. In dem Moment, wo ein Gefühl ausgelöst wird, hat Musik ihre volle Berechtigung.

Sie bedienen sich bei Tschaikowsky, Rachmaninow, Satie – Geht man an Stücke von solcher „nachhaltiger“ Qualität und an ihre Komponisten mit etwas mehr Ehrfurcht heran, als wenn man beispielsweise ein Stück von Queen sampeln würde?
Zu Anfang ja. Ich habe mir bekannte Passagen ausgeliehen und sie vorsichtig verfremdet mit einer Mischung aus Neugier und Respekt. Ich habe mich anfangs kaum getraut, etwas zu verändern, denn ich wollte die Komponisten auf gar keinen Fall bloßstellen oder ihre Stücke dekonstruieren, sondern die emotionale Essenz der Melodien verstärken.

Bei Ihnen besteht ein Unterschied zwischen Stärke und Komplexität. Sie hatten schon immer eine Affinität zu eher einfachen Melodie. Weil Ihnen das Affektierte nicht liegt?
Komplexität führt in den Kopf – Einfachheit in den Bauch. Bei komplexen Dingen bleibt immer eine gewisse Barriere. Man bleibt Betrachter, vielleicht mit einer gewissen Huldigung der Artistik. Gerade im klassischen Genre besteht das Vorurteil, dass das Bildungsbürgertum der Klassik mit einem calvinistischen Ansatz begegnet, mit einer besonderen Ernsthaftigkeit. Viel häufiger sind es aber die einfachen Melodien, die Gänsehaut erzeugen. Und diese Momente sind an Magie nicht zu überbieten. Erst dann geht einem als Hörer das Herz auf, nicht vorher. Eben diesen emotionalen Charakter der Stücke wollte ich unterstreichen. Und dafür habe ich mir die Freiheit genommen, das Ornament wegzulassen, um mich nur auf die bewegenden Momente zu konzentrieren.

Gab es einen Moment bei dieser Reise in die Klassik, der für Sie besonders magisch war?
Die Variation über ein Thema von Paganini von Sergej Rachmaninow. Ich habe immer schon versucht, für dieses Stück eine Form zu finden, die zu Schiller passt. Aber irgendwie wollte es nicht gelingen. Und dann kam Hélène Grimaud. Wer das komponiert hat, muss irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn liegen.

Apropos Genie und Wahnsinn: Ihnen wird beim Arbeiten eine Art autistische Isolation attestiert. Sie arbeiten gerne allein, für sich...
... was sehr angenehm ist. Denn man zeigt sich ja nicht wirklich, kann sich ausprobieren, ohne sich rechtfertigen oder vor jemandem bestehen zu müssen.

Gibt es für Sie als Schiller auch einen Goethe? Jemanden, an dem Sie sich abarbeiten, mit dem Sie künstlerischen Austausch bereiten, der Sie fordert und kritisiert?
Ja, da gibt es jemanden. Ein guter Freund von mir ist Fotograf, wir arbeiten oft zusammen. Und gerade weil wir in unterschiedlichen Metiers arbeiten, haben wir einen großen Respekt davor, was der jeweils andere tut. Wir sagen uns mitunter sehr deutlich, was wir voneinander halten.

Und lassen Sie diese Kritik auch zu?
Das kommt darauf an.

Das neuen Schiller-Album "Opus" erscheint am 30. August 2013. Am 29. August wird es um 19 Uhr im Kulturkaufhaus Dussmann vorgestellt.

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