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Sattelfest. Kopenhagen wird immer wieder als Vorbild für Fahrradfreundlichkeit genannt.

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Neues Verkehrskonzept für Berlin: Speichenstellung für die Zukunft

Im Mobilitätsgesetz verspricht der Senat eine Infrastruktur, wie man sie nur aus Städten wie Kopenhagen kennt. Doch der Erfolg kam hier nicht über Nacht.

Es ist ein Bild der fröhlichen Einigkeit: Zwei Männer, die über eine neue Fahrradbrücke radeln und dabei die verschränkten Hände lachend in die Luft strecken. Das Foto zeigt den Technik- und Umweltbürgermeister von Kopenhagen Morten Kabell und den Direktor des Dänischen Fahrradfahrerverbands Klaus Bondam. Die jahrzehntelange fahrradfreundliche Verkehrspolitik in Dänemark haben die beiden auf Kuschelkurs gebracht.

Auch wenn Berliner Fahrradlobbyisten und Senatsverwaltung vom Händchenhalten noch weit entfernt sind – zumindest eine Annäherung zwischen ihnen gibt es nun auch in Berlin: Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) handelte im vergangenen Frühjahr gemeinsam mit dem Volksentscheid Fahrrad und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) den Teil des Entwurfs zum neuen Berliner Mobilitätsgesetz aus, in dem es um den Radverkehr geht. Diesem wird als Teil des sogenannten Umweltverbundes mit Fußgängerverkehr und öffentlichem Nahverkehr im Entwurf eine besondere Stellung eingeräumt. Berlin will sich „kopenhagenisieren“, so scheint es.

Politischer Wille ist vorhanden

Spricht man Kabell und Bondam auf Berlin an, geraten sie ins Schwärmen. Fragt man sie etwas genauer zur Fahrradinfrastruktur, drucksen sie herum. „Ich bin in Berlin bisher sehr wenig Rad gefahren“, gibt Umweltbürgermeister Morten Kabell zu. „Ich fühle mich in der Stadt einfach nicht sicher.“ Dennoch meint er, dass Berlin durch politischen Willen ähnliche Bedingungen wie Kopenhagen erreichen könnte. „Berlin ist für mich ein Musterbeispiel von einer Stadt, die mit der richtigen Infrastruktur zur Superfahrradstadt werden könnte.“

Dieser politische Wille sei nun auch in Berlin vorhanden, das habe er bei seinem letzten Treffen mit Verkehrssenatorin Regine Günther (für Grüne) ganz deutlich gemerkt, sagt er. Klaus Bondam vom Dänischen Fahrradfahrerverband stimmt ihm zu: Als ihn die Aktivisten vom Volksentscheid Fahrrad in Kopenhagen besuchten, war er begeistert von deren Willen, etwas zu verändern. Der ehemalige Umweltbürgermeister, der von 2005 bis 2010 maßgeblich an der Umsetzung der Verkehrsstrategie mit einem Investitionsvolumen von jährlich etwa 3,5 Millionen Euro beteiligt war, erinnert sich an die Zeiten, in denen Kopenhagen in einer ähnlichen Situation war wie Berlin heute: Vor 50 Jahren protestierten mehr als hunderttausend Radfahrer vor dem Rathaus.

Damals war die Strategie, große Autobahnen durch die Stadt zu bauen, damit Vorortbewohner schnell ins Zentrum und wieder in ihre Einfamilienhäuser kommen. Seitdem ist viel geschehen – Kopenhagen führt bei weltweiten Vergleichen zur Fahrradfreundlichkeit sämtliche Listen an. Das Geheimrezept Kopenhagens? Es gibt keines. „Ich sage immer, es gibt drei Zutaten für eine gute Fahrradstadt: Infrastruktur, Infrastruktur und Infrastruktur“, so Kabell.

Mobilitätsgesetz sieht mehr Fahrradwege vor

Auch das Mobilitätsgesetz sieht mehr Fahrradwege vor, damit das Radeln attraktiver wird. Dazu gibt es zwei Hauptstrategien, sagt der Berliner ADFC-Sprecher Nikolas Linck: Es soll, wie berichtet, ein Vorrangnetz für Radfahrer geben, das ihnen auf besonders wichtigen Strecken Priorität vor dem Autoverkehr einräumt, besonders gut ausgebaute Wege bietet und eventuell eine „Grüne Welle“ garantiert. Außerdem sind Radschnellwege vorgesehen, etwa entlang von Wasserwegen oder Bahntrassen; dazu hatte der ADFC bereits einen Ideenwettbewerb mit Bürgerbeteiligung veranstaltet, dessen Ergebnisse der Senatsverwaltung vorliegen.

„Es ist situationsabhängig, was genau sich umsetzen lässt“, sagt Linck. „In einer bereits gebauten Stadt wie Berlin können Sie nicht nach Schema F bauen.“ Klaus Bondam sieht das anders: Für ihn hängt es lediglich am politischen Willen, wem Platz zugebilligt wird. Denn in Kopenhagen gibt es Straßen, bei denen eine Fahrspur in einen Fahrradweg umgewandelt wurde, auch gegen den Protest der Autofahrer, denen in den vergangenen Jahren tausende Parkplätze zugunsten des Fahrradverkehrs weggenommen wurden. „Das ist das Leben, sage ich dann, es wird immer jemanden geben, der sauer ist.“ Eine weiße Linie zu ziehen mache noch keinen Fahrradweg, es brauche die Abtrennung vom Kraftfahrzeugverkehr, möglichst durch eine angehobene Bordsteinkante.

ADFC-Mann Linck ist da realpolitischer eingestellt: Immerhin seien Abtrennungen für Radstreifen eingeplant worden, wo es möglich ist. „Berlin will in Deutschland zum Vorreiter für geschützte Radfahrstreifen werden“, heißt es dazu aus der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Deren Gestaltung, zum Beispiel in Form von Plastikpollern oder Blumenkübeln, muss aber erst noch in den Vorgaben zum Radverkehrsplan, der wiederum spätestens zwei Jahre nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes folgen soll, festgelegt werden.

Außerdem steht im Entwurf, dass an Hauptverkehrsstraßen Radwege oder -streifen mit erschütterungsarmem Belag und in sicherem Abstand zu parkenden Autos entstehen. Dazu soll unzulässiges Parken auf Radstreifen unterbunden werden. Die gestrichelten Radwege, auf denen Kraftfahrzeuge fahren und halten dürfen, fallen komplett weg.

Berlin kann viel lernen von Kopenhagen

Damit berührt das Gesetz einen weiteren wichtigen Aufgabenkomplex: Die Sicherheit der Radfahrer. Genauso wie Kopenhagen hat Berlin bald eine „Vision Zero“, also das Ziel, möglichst keine Unfälle mit schweren Verletzungen oder Todesfolge zu haben. Das ist ambitioniert, denn 2016 starben noch 56 Menschen bei Verkehrsunfällen, 2086 wurden schwer verletzt. Bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung endet der Unfall in 72,5 Prozent der Fälle mit einer Verletzung, insgesamt kommt es nur bei jedem zehnten Unfall zu einer körperlichen Schädigung – Radfahrer sind also eine Risikogruppe, sowohl als Gefährdete als auch als Gefährder, etwa für Fußgänger.

Nikolas Linck sieht neben einer generellen Senkung des Tempolimits besonderen Handlungsbedarf an Kreuzungen: Zweispuriges Abbiegen etwa führe zu schlechter Einsehbarkeit und daher zu mehr Unfällen. „Durch vorgestreckte Gehwege und spitze Winkel beim Abbiegen könnte man Gefahrenpunkte entschärfen.“ Genau drei Kreuzungen hat der rot-rot- grüne Senat seit Amtsantritt vor knapp einem Jahr umbauen lassen.

Ein weiterer Komplex, bei dem Berlin von Kopenhagen lernen kann, ist der multimodulare Verkehr: In Vorortzügen der dänischen Metropole können Radler ihr Gefährt gratis mitnehmen. Das sei im wachsenden Berlin aber unrealistisch, sagt ADFC-Sprecher Linck. „Der Nahverkehr ist am Limit. Da können wir nicht als Radfahrer kommen und sagen, wir wollen überall und immer unsere Fahrräder mitnehmen.“ Bereits jetzt dringt der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg auf die Anschaffung von Zügen mit mehr Radplätzen. Außerdem soll die Nutzung der Nextbike-Leihräder bald im Ticket inbegriffen sein, damit auch der Weg von und zum Bahnhof ohne Auto zurückgelegt werden kann – und sich Pendler keine Sorgen wegen Fahrraddiebstahls machen müssen.

Der Senat hat für die Umsetzung aller Vorhaben ein eigenes Unternehmen gegründet, die infraVelo GmbH, den Bezirken bewilligte er neue Stellen in den Straßen- und Grünflächenämtern. Allerdings hat jüngst der Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung, Vollrad Kuhn (Grüne) beklagt, dass es an Bewerbern für die Posten mangele. Auch wenn in dieser Legislaturperiode 200 Millionen Euro für den Radverkehr und seine Entwicklung eingeplant sind – die Umsetzung wird länger als die kommenden vier Jahre dauern. Das gilt besonders für die Verwirklichung großer Infrastrukturprojekte. So heißt es denn auch beim Senat schon: „Fahrradstädte wie Kopenhagen und Amsterdam haben dafür mehr als 30 Jahre gebraucht.“

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