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Berlin: Neukölln: Da haben wir den Salat

Wenn Helmut Dick in der Frühe zwischen sechs und sieben Uhr seine Salatköpfe gießt, schläft die Gropiusstadt noch. Dann kann der Künstler in Ruhe seine 10 000 Jungpflanzen hegen und pflegen, ohne dass er angepöbelt wird.

Wenn Helmut Dick in der Frühe zwischen sechs und sieben Uhr seine Salatköpfe gießt, schläft die Gropiusstadt noch. Dann kann der Künstler in Ruhe seine 10 000 Jungpflanzen hegen und pflegen, ohne dass er angepöbelt wird. Wie neulich. Da kniete er zwischen seinen Setzlingen im abgezäunten Feld, als ein Anwohner schrie: "Gut, dass Sie hinter dem Zaun stehen. Da gehören Sie auch hin."

Nicht jeder in der Betonbausiedlung hat Verständnis für Helmut Dicks Kunstwerk. "Ein Salatfeld so groß wie ein Hochhaus" heißt es. Ende Juli hat der Rheinländer, der seit fünf Jahren in Amsterdam lebt, damit begonnen, die 1200 Quadratmeter große Fläche hinter dem 14-Geschosser in der Severingstraße 1 einzuzäunen. Er fräste die Grasdecke unter, zog Furchen und pflanzte die Salat-Setzlinge der Sorte "Nadine". Wenn das Wetter so bleibt, werden die Salatköpfe Mitte August erntereif sein.

Das Werk des 32-Jährigen gehört zum Projekt "Areale Neukölln", an dem sich 17 Künstler aus Deutschland, Österreich und Japan beteiligen. Die einzelnen Projekte sind im Zeitraum von Juli bis September im oftmals als "Schmuddelbezirk" bezeichneten Berliner Stadtteil zu sehen - teils nacheinander, teils ineinander verzahnt. "In Neukölln findet kaum Kunst statt", sagt Dick, "daher wollten wir uns mit diesem Bezirk beschäftigen. Sonst spielt sich in der Hinsicht fast alles in Mitte oder Prenzlauer Berg ab." Das Bild des Bezirks wollen die Künstler mit ihren Projekten verändern. So werden auf der Karl-Marx-Straße beispielsweise Fußgänger, die stehen bleiben, mit einer Radarfalle geblitzt. Im Britzer Garten soll Meeresrauschen wie im Urlaub aus den Lautsprecherboxen dringen und der versperrte, unbeleuchtete Sportplatz am Hertzbergplatz wird Nacht für Nacht von einem Stadionsprecher mit Worten des Trostes und der Motivation besprochen werden.

Die Ideen sind im letzten Jahr geboren worden, als sich die Künstler zu einem Inspirationstreffen in Neukölln zusammengefunden haben und durch die Straßen gezogen sind. Als sicher war, dass die Kulturprojekte mit 150 000 Mark aus dem Hauptstadtkulturfonds und mit 30 000 Mark von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie unterstützt werden, stand den "Arealen Neukölln" nichts mehr im Wege.

Für Helmut Dick war von Anfang an klar, dass er "etwas in der Gropiusstadt machen" wollte. Dies sei eine typische europäische Trabantenstadt, die ebenso in London, Paris oder Amsterdam zu finden sei. Doch den Anwohnern - die entweder zufällig vorbeikommen oder zielgerichtet und neugierig zu Dicks Salatfeld flanieren - steht meist nur "Was will der Künstler uns damit sagen?" auf der Stirn geschrieben. "Für mich haben die Hochhaussiedlung und das Salatfeld eine gemeinsame Mentalität", erklärt Dick, während er in T-Shirt und Shorts die kleinen, grünen Köpfe abspritzt. Beiden läge ein rationaler Umgang mit Raum zugrunde.

"Auf möglichst engem Raum ist möglichst viel untergebracht. Im Hochhaus sind es Menschen, auf dem Feld die Salatköpfe." Zudem habe die Salat-Pflanze "etwas Verletzliches", sie gelte als Sonderkultur. "Der Salat ist ein sensibles Gemüse, das gehegt werden muss", findet der Künstler, "und die Leute in Hochhäusern sind Menschen mit Gefühlen." Für Dick liegt das Gemeinsame auf der Hand. Für die meisten Besucher am Salatfeld-Zaun ist diese Verbindung nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Doch einige gesellen sich dennoch zu ihm, befragen ihn, ermutigen ihn gar. Dass aber immer wieder Leute vorbeikommen, die ihn als Spinner abkanzeln, nimmt der Künstler gelassen hin. Manchmal seien es nur seine kinnlangen Haare und der Ohrring, der am linken Ohr baumelt, die bei einigen Leuten das blanke Entsetzen hervorriefen, sagt Dick und schmunzelt. "Wird Zeit, dass sie in die Zivilisation zurückkehren", sei ihm schon hinterhergerufen worden. Doch einige mokieren sich auch über die angeblichen Kosten für die Bewässerung der Pflanzen. Sie glauben, dass das zu Lasten ihres Wasserverbrauchs geht. "Dabei bezahlt das alles die Wohnungsbaugesellschaft GEHAG", winkt Dick ab. Dennoch kann er zum Teil die Ressentiments gegen ihn nachvollziehen.

Den Neuköllner ABM-Kräften, die ihn beim Fräsen, Einzäunen und Pflanzesetzen unterstützt haben, war die ganze Sache reichlich suspekt. "Die dachten, da kommt so ein Typ mit einem Stroh-Hut, setzt sich unter einen Baum und kommandiert", vermutet er, "den musste ich erstmal klar machen, worum es mir geht". Der gelernte Gärtner ist keinem böse, der seine Ideen nicht nachvollziehen kann. Was die meisten nicht wissen: Das Kunstwerk ist seine Abschlussarbeit am Amsterdamer "Sandberg-Institute". Besteht er, hat er den "Master of Fine Art" in der Tasche - eine Art Doktortitel der Kunst. Die Neuköllner schert das nur wenig. Weil Dick das weiß, erwähnt er es gar nicht erst. Spätestens, wenn die Salatköpfe geerntet werden, glaubt Dick, kommen sie sowieso alle an. Dann verteilt er die Pflanzen nämlich: ganz für umsonst.

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