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© Mike Wolff

Neukölln: Tanz den Tango Türk

Sinem Altan ist Komponistin der Neuköllner Oper. Mit elf zog sie zum Studium von Ankara nach Berlin.

Wenn Sinem Altan auf eine Frage antwortet, dauert es mitunter lange, bis sie wieder aufhört zu sprechen. Doch man lauscht der sprachgewandten 24-Jährigen sehr gern. Besonders in dem gemütlichen Arbeitszimmer der Neuköllner Oper, wo ein Klavier in der Ecke steht und „Herr Rufinger”, der Golden Retriever des Buchhalters, auf dem alten Sofa schläft. In dieser Atmosphäre, von vorfrühlingshaften Sonnenstrahlen beschienen, wandert die Hauskomponistin der Neuköllner Oper mit warmer und leicht heiserer Stimme die spannenden Stationen ihres noch jungen Lebens entlang.

Altan erzählt, wie ihr mit nur elf Jahren in ihrer Heimatstadt Ankara ein Auslandsstipendium angeboten wurde. Zu diesem Zeitpunkt spielte sie bereits über sechs Jahre Klavier, hatte viele Stücke komponiert und war Privatschülerin des aserbaidschanischen Komponisten Arif Melikov. „Ich hätte überall hingehen können, nach Frankreich oder in die USA. Doch der einzige Ort, an dem ich nicht erst mit 16, sondern schon mit elf Jahren Komposition studieren durfte, war die Hochschule für Musik ,Hanns Eisler‘“, sagt Altan. So kam Altan 1996 mit ihrer Mutter, die dafür ihren Beruf als Gymnasiallehrerin aufgab, nach Berlin. Der Vater, der als Finanzrichter arbeitete, blieb in Ankara, Altans acht Jahre jüngerer Bruder, der heute ebenfalls an der Eisler-Hochschule Geige studiert, wurde kurz darauf nach Berlin geholt.

Die Familie zog in eine kleine Wohnung in Wedding, und Altan besuchte parallel zu ihrer Hochschulausbildung das Musikgymnasium Carl-Philipp-Emanuel-Bach. „Es war ein großer Schock, aus dem bürgerlichen Ankara nach Wedding zu kommen. In eine auf mich damals sehr grau wirkende Welt mit Nachbarn, die zwar meine Sprache sprachen, aber ein komplett anderes Leben führten als ich“, erzählt Altan.

Noch härter jedoch habe es ihre Mutter getroffen. Sie erhielt von den Ausländerbehörden, „die meist wenig hilfreich und mit Unverständnis auf unsere Situation reagierten“, nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung und durfte deshalb nicht arbeiten. „Ich hatte zum Glück immer in der Musik und in den Schulen meine Zufluchtsorte“, sagt Altan, die 2000 unter anderem den ersten Preis bei „Jugend komponiert“ gewann.

Auf dem Gymnasium war sie die einzige Türkin, sie bekam zusätzlichen Deutschunterricht, und bereits nach einem Jahr unterhielt sie ihre Schulfreunde auf einer Klassenfahrt mit lustigen Geschichten auf Deutsch. Altans Arbeitstage waren ausgefüllt: Bis 15 Uhr war sie auf dem Gymnasium, danach bis abends an der Eisler-Hochschule. Dort studierte sie nach dem Abitur weiter Musiktheorie und setzte parallel ihr Kompositionsstudium an der UdK fort. Sie begann, an Musikschulen zu unterrichten, und entwickelte mit Freunden türkisch-deutsche Musikprojekte. 2005 wurde ihre 60-minütige Kurzoper „Mesir-Pastillen“ nach einer alten türkischen Legende beim Klangwerkstatt-Festival uraufgeführt.

In ihren Kompositionen beschäftigt sich Altan, die sich heute in Berlin zu Hause fühlt, immer auch mit ihrer kulturellen Herkunft. So auch in „Tango Türk”, ihrer aktuellen Produktion an der Neuköllner Oper, die noch bis Ende Februar zu sehen ist. „Die alten türkischen Tangos habe ich oft bei meinem Opa in Istanbul gehört. Doch selbst viele Türken kennen diese wunderbare Tradition nicht”, sagt Altan.

An der Neuköllner Oper hat sie 2008 mit dem Mozart-Singspiel „Türkisch für Liebhaber“ debütiert. Zurzeit steckt sie viel Energie in ihr Projekt „Yedo“. Das Trio aus Gesang, Laute und Klavier bewegt sich an den Grenzen zwischen Orient und Okzident, mit der Sängerin lebt Altan seit zwei Jahren in Neukölln in einer WG zusammen. Hier werden oft ausgelassen-fröhliche Premierenpartys gefeiert, denn Altans Freundeskreis ist groß und altersmäßig sowie kulturell bunt durchmischt. „Ich gehe manchmal aber auch einfach gern weg, in die Russendisko oder ins SO36“, sagt die lebenslustige junge Frau, der kaum etwas mehr widerstrebt, als für ein abgehobenes Wunderkind gehalten zu werden.

Abgehoben ist sie sicher nicht. Reif ist ein besseres Wort für Altan, die sich manchmal wünscht, von so kindlich-reiner Naivität zu sein wie in den Kompositionen, die sie mit sieben Jahren geschrieben hat. Bald möchte sie eine Oper komponieren – wenn sie die Zeit dafür findet. Denn sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, ist ihre Sache nicht. Sie sei eben ein echtes Großstadtkind, sagt Altan lachend und fügt hinzu: „Und da Berlin so voller Möglichkeiten für mich steckt, komme ich eben nie zur Ruhe.“ Eva Kalwa

„Tango Türk“ wird an der Neuköllner Oper noch bis zum 28. Februar aufgeführt. Die Karten kosten zwischen neun und 21 Euro, Termine und weitere Infos findet man im Internet unter www.neukoellneroper.de. Telefon 688 90 70.

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