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Berlin: Neuköllner Behörde erwägt Einbau von Kameras - Etliche Bezirke haben Wachdienste

"Hier kein Sozialamt", steht auf einer Tür im zweiten Stock des Neuköllner Rathauses. Das "kein" ist umkringelt.

"Hier kein Sozialamt", steht auf einer Tür im zweiten Stock des Neuköllner Rathauses. Das "kein" ist umkringelt. Dabei ist die Abteilung für Soziales und Gesundheit eine Etage höher gut zu erkennen - am Gedränge. Die Holzsitze im Treppenhaus sind restlos belegt mit dösenden, Zeitung lesenden und rauchenden Antragstellern. Junge Paare sind darunter, eine junge Frau ist mit ihrem Baby da. Zwei Dutzend Menschen stehen in einem der Flure an die Wand gelehnt, Dokumente in den Händen. "Zweieinhalb Stunden" warte er schon, sagt ein Mann, der sich auf den Boden gesetzt hat, Und das, obwohl er einen Termin hat.

Vergangenen Dezember ist hier einer "ausgeklinkt", erzählt der stellvertretende Amtsleiter, Thomas Schröder. Der Begleiter einer Antragstellerin sei auf eine Sachbearbeiterin losgegangen. Als ihr ein junger Kollege zu Hilfe eilen wollte, habe der Begleiter einfach zugeschlagen. Der Beschäftigte sei krankgeschrieben worden, habe sich auf eigenen Wunsch in eine andere Abteilung versetzen lassen. "Solche Vorfälle kommen immer wieder vor - leider", sagt Schröder. Über 20 Mal rückte vergangenes Jahr die Polizei ins Neuköllner Rathaus ein, heißt es bei Beschäftigten des Sozialamtes, mit über 40 000 Klienten das größte in Deutschland.

Üble Beschimpfungen durch Sozialhilfeempfänger seien alltäglich, aber auch Tätlichkeiten gebe es immer wieder. Auf Kopierer sei schon eingeschlagen, ein Locher sei durch ein Zimmer geworfen worden, es habe Tritte gegen den Abfertigungstresen gegeben. Auch sei es schon vorgekommen, dass ein Antragsteller, um sein Begehren zu unterstreichen, ein Beil auf den Tisch gelegt habe, erzählt eine Angestellte. Manche Kollegen wünschten sich nun Panzerglasscheiben. Zum Teil brächten Besucher ihre Kampfhunde mit. "Wir verkörpern für die Leute den Staat und werden persönlich verantwortlich gemacht", sagt die Frau.

Tätlichkeiten gegen die Beschäftigten des Bezirksamts will die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung nun mit dem Einbau von Überwachungskameras entgegentreten. Das Bezirksamt prüft derzeit einen entsprechenden Antrag der CDU-Fraktion. Deren Sprecher, Rolf Taßler, erhofft sich von den Kameras abschreckende Wirkung. Auch Neuköllns Sozialstadtrat, Dietrich Schippel (CDU), befürwortet die Initiative. An anderer Stelle seien damit "gute Erfolge erzielt" worden, sagt er. In England und in Leipzig zum Beispiel, wo ganze Plätze unter Beobachtung stehen. Von der Überwachung verspricht sich Schippel, dass sich die Leute in den Gängen "zurücknehmen". Im Zweifelsfall könne man damit Gewalttäter identifizieren. Schon jetzt gibt es Sicherheitsvorkehrungen. Die Türen zwischen zwei Arbeitszimmern stehen immer offen, einige Plätze haben Alarmknöpfe, zudem wurden Mitarbeiter zum "Deeskalations-Training" geschickt.

Lange Wartezeiten, "enttäuschte Erwartungen" und die "unzureichende" Ausstattung der Warteräume sind nach Auffassung von Thomas Schröder mit am aggressiven Auftreten der Sozialamtskunden schuld. Zwar würden Termine vergeben, wegen des hohen Krankenstandes in der Leistungsabteilung komme man aber kaum nach. Wie in anderen Sozialämtern auch seien die 180 Beschäftigten des Amtes überlastet. Bis zu 200 Fälle betreue jeder Sachbearbeiter. Es herrsche "Unzufriedenheit und Frustration".

"Prinzipiell nicht gut", findet Weißensees Bezirksbürgermeister Gert Schilling (SPD) die Idee mit den Video-Kameras. Dem Überwachungsstaat komme man damit ein Stückchen näher, sagt Schilling, der auch Vorsitzender des Sozialausschusses des Rats der Bürgermeister ist. Das Aggressionspotenzial könne eher durch eine bessere Betreuung entschärft werden, also durch mehr Mitarbeiter. In Weißensee etwa seien fünf zusätzliche Sachbearbeiter für die Jobvermittlung eingestellt worden. Die Vermittlungsquote sei dadurch nach oben geschnellt. Die Sicherheit der Beschäftigten des Weißenseer Sozialamts werde zudem mit Hilfe von Wachschutzbeamten erhöht. Auch durch die Ämter von Wedding, Mitte und Prenzlauer Berg patrouillieren Sicherheitsdienste.

Vorbehalte macht zudem der Datenschutzbeauftragte, Hansjürgen Garstka, geltend. So lange noch keine Straftat begangen worden sei, verstoße eine permanente Aufzeichnung auf Videoband gegen Persönlichkeitsrechte, sagt seine Sprecherin. Erlaubt sei lediglich, dass ein Angestellter das Geschehen live an Bildschirmen überwache.

Tobias Arbinger

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