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Schauergeschichten für den Mittelstand. Der Erfahrungsbericht von Bürgermeister Heinz Buschkowsky aus dem sozialen Brennpunktbezirk trägt den Titel „Neukölln ist überall“. Wahrscheinlich wird es das Sachbuch-Adventsgeschäft beleben – wie vor zwei Jahren das einwanderungskritische Buch des SPD-Parteikollegen Thilo Sarrazin.

© dpa

Neuköllns Bürgermeister: Buschkowsky ist überall

Neuköllns Bürgermeister liebt seinen Bezirk, so bunt wie er ist. Was er nicht vertragen kann, ist Sozialtransfer als Familientradition – und naive Multikulti-Politik. Darum geht es in seinem Buch, das sogar die Zustimmung seines SPD-Genossen Thilo Sarrazin findet.

Ein Mann sieht schwarz. Heinz Buschkowsky, Bürgermeister von Neukölln und nun auch Verfasser eines 397 Seiten langen Beitrags zur Integrationsdebatte, hat für eine nicht ganz kleine Bevölkerungsgruppe in seinem Neukölln nur noch Pessimismus übrig. Es sind die Armen, die Bildungsfernen, das Prekariat, das in Neukölln zu großen Teilen aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht. Es sind die, die in Buschkowskys Worten am „gesellschaftlichen Schnuller“ hängen.

Die Wendung sagt einiges über Buschkowsky, sein Neukölln – und über ein in Deutschland verbreitetes Verständnis von Sozialpolitik. Buschkowsky weiß natürlich und schreibt das auch, dass die Herkunft aus einer Einwandererfamilie niemanden dazu zwingt, ganz unten in der Gesellschaft vor sich hin zu leben – allerdings haben es Einwanderer viel schwerer. Buschkowskys Buch ist voller Beispiele von Aufstiegswillen, Interesse und Freude an Leistung, erbracht von Menschen und unter Umständen, die kein Mittelschichtskind so je erlebt haben dürfte. Buschkowsky mag sein Neukölln, das liest man aus jeder Zeile. Er mag das Gemisch von Leuten, er schwärmt von der Hindu-Community und seiner Lieblingschinesin, deren „Ente kross“ ihn ganz offensichtlich oft und nachhaltig über erlittenen Frust im Dienst hinweggetröstet hat. Was er nicht mag, sind die Leute, die den Schnuller auf Lebenszeit im Mund behalten wollen.

Bildergalerie: Buschkowsky, Sarrazin & Co - Nebenberuf Bestsellerautor

Die gehören zu den lebenden Klischees, zu den Hauptdarstellern des Neuköllner Straßen- und Nachtlebens, zu den Profiteuren der Schattenwirtschaft, sie bewohnen die Parallelgesellschaft, die Buschkowsky für ein Hauptproblem seines Bezirks hält: Menschen mit Migrationshintergrund, die in Berlin, in Deutschland gar nicht ankommen wollen – und ihre Kinder als Garanten staatlicher finanzieller Zuwendungen betrachten. Ihre Vorfahren kamen aus dem Nahen Osten, aus dem Libanon oder aus Palästina oder aus entlegenen Gebieten der Türkei. Sie kamen nicht als „Gastarbeiter“, sondern als Flüchtlinge – was unter anderem bedeutete, dass sie hier nicht arbeiten durften. Sie waren abhängig vom Staat und von Sozialhilfe, sie sind es geblieben mitsamt Kindern und Enkeln.

Buschkowsky fährt alle Klischees auf, die man kennt, um deutlich zu machen, wen er meint: Vor allem die jungen Männer in den schwarzen, tiefergelegten S-Klasse-Mercedessen mit der Vierfach-Auspuffanlage Modell röhrender Hirsch, die für nichts so viel Zeit verwenden wie für die ornamentorientierte, millimetergenaue Rasur ihrer Bärte; die älteren Frauen, verschleiert und bekopftucht, die nur arabisch sprechen und trotzdem bestens informiert sind über das, was ihnen von Amts wegen zusteht. Die Jugendlichen, die auf den Spielplätzen ihre kriminelle Energie ausleben, ein bisschen Kleingeld erpressen. Die Trupps von Männern jeden Alters, die jede Streifenwagenbesatzung in Not bringen, wenn die gegen jemand vorgehen will, der auf der Hermannstraße in der zweiten Reihe parkt, weil er zu faul ist, hundert Meter zu laufen. Was all diese Leute verbindet, ist laut Buschkowsky nicht ihre Herkunft, sondern ihre „Bildungsferne“. Die macht diese Leute zu lebenslangen Schnuller-Süchtigen, sie macht den Bezirk arm und das Bürgeramt gleich neben dem würdigen alten Rathaus zu einem Hort der Tristesse, auf dessen Fluren, wie ein Hinweisschild besagt, der Verzehr alkoholischer Getränke verboten ist.

Sarrazin findet Buschkowskys Buch "authentisch"

Schauergeschichten für den Mittelstand. Der Erfahrungsbericht von Bürgermeister Heinz Buschkowsky aus dem sozialen Brennpunktbezirk trägt den Titel „Neukölln ist überall“. Wahrscheinlich wird es das Sachbuch-Adventsgeschäft beleben – wie vor zwei Jahren das einwanderungskritische Buch des SPD-Parteikollegen Thilo Sarrazin.
Schauergeschichten für den Mittelstand. Der Erfahrungsbericht von Bürgermeister Heinz Buschkowsky aus dem sozialen Brennpunktbezirk trägt den Titel „Neukölln ist überall“. Wahrscheinlich wird es das Sachbuch-Adventsgeschäft beleben – wie vor zwei Jahren das einwanderungskritische Buch des SPD-Parteikollegen Thilo Sarrazin.

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Neukölln, mattschwarz: So wirkt der Bezirk durch des Bürgermeisters Brille betrachtet. Man findet die Klischees, wenn auch nicht in der Masse, die man erwartet, wenn man nur das Buch gelesen hat. Die Sonnenallee ist mit ihren arabisch beschrifteten Geschäften tatsächlich Schlagader in einem Einwandererkiez, in dem man nicht deutsch sprechen muss, um zurechtzukommen. Sprachlich passen sich längst eher die Deutschen an: „Rechtsanwältin – Avukat“ steht auf dem Türschild einer biodeutschen Juristin. Die Hermannstraße ist, vom Hermannplatz ausgehend, eine Folge von Internetcafés, Telecafés, Spielcasinos – Betrieb schon mittags –, Läden, in denen „weltweiter Geldtransfer in Minuten“ ermöglicht wird. Dann, seltsam fremd, das Geschäft für „orthopädische Schuhtechnik“ und der „Steinmetzmeister“ neben einem der großen schönen alten Friedhöfe mitten im Bezirk.

Orthopädische Schuhe und Grabsteine weisen Kulturpessimisten den Weg, wohin die Reise auf der Hermannstraße geht. Doch schon die Flucht in eine Seitenstraße Richtung Tempelhofer Flugfeld führt in das nett-jung-alternative Neukölln, in dem sich sogar ein Modeladen wie „Rita in Palma“ inszenieren kann und Harley-Freunde ihre bejahrten Kräder beim „Shovel Service“ richten lassen können.

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Doch in Anbetracht junger Männer hinter Kinderwagen würde Buschkowsky auf die nächste seiner zahlreichen Erkenntnisse aus einem langen Neuköllner Politikerleben kommen: Neukölln ist nett und spannend und krass und abwechslungsreich, solange man nicht die Zukunftschancen seiner Kinder ruiniert, indem man sie in Neukölln zur Schule schickt. Auch darüber schimpft Buschkowsky seit Jahren, auch das ist, wie die Geschichten von den frustrierten Polizisten, die gegen falsch parkende Fahrer der erwähnten tiefer gelegten Mercedesse gar nicht mehr vorgehen, bezirksbürgermeisterliches Herrschaftswissen, gewonnen in zahllosen Gesprächen und Sitzungen und Diskussionen, die es gebraucht hat, um aus Heinz Buschkowsky den humorigen Alarmisten zu machen, der er ist. So einfach und traurig ist es: „Die Dichte der sozialen Probleme Neukölln-Nord ist etwa doppelt so hoch wie in der gesamten Stadt.“ Jeder zweite Jugendliche unter 18 lebt von Hartz IV.

Als Politiker und Buchautor hat Buschkowsky zwei Motive. Das eine heißt Neukölln, das andere ist Groll auf die Gutmenschen und politisch Korrekten, die jahrzehntelang einen klaren Blick auf die Probleme der Integration verhindert haben. Der Inbegriff der Betreiber dieser „Gaukler-Politik“ ist für ihn der frühere Integrationsbeauftragte Günter Piening. Eine Ausnahme macht Buschkowsky für Thilo Sarrazin. In Sarrazins Wohnzimmer haben die beiden diskutiert, jetzt verbindet sie die These, der Ausgangspunkt aller Probleme und der Ansatz für alle Lösungen sei die „Bildungsferne“ in Unterschichtfamilien.

Sarrazin findet Buschkowskys Buch „authentisch“, der Mann aus Neukölln sei ein „handelnder Lokalpolitiker mit Herzblut“. Anders als andere ist Buschkowsky in Europa herumgereist und hat Ideen gesammelt. Auch die finden sich – und machen mitsamt Buschkowskys Witz und seiner ansatzweise vorhandenen Selbstironie „Neukölln ist überall“ zu einer Provokation aller Betrachter der Verhältnisse, die immer noch meinen, ein bisschen Quartiersmanagement und ausführliches Debattieren über Sprachtests werde schon reichen, um die inzwischen wenigstens erkannten Probleme zu beseitigen. Unfug, sagt Buschkowsky: Die Probleme werden immer größer.

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