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Berlin: Nicht immer willkommen

Manche Gaststätten setzen auf ein junges Image, ältere Menschen fühlen sich zuweilen als Störfaktor

Obwohl der Anteil älterer Menschen immer größer wird, setzt die Gastronomie offenbar verstärkt auf junges Publikum. „Alles, was neu eröffnet, wird meist von jungen Leuten aufgemacht. Die denken dann oft auch nur an junge Leute“, sagt Norbert Raeder. Er spricht, um Beispiele zu nennen, vom Aussterben alter Caféhäuser, von Coffee Shops, von Plastikbechern, einer Lokal-Kultur, mit der Ältere wenig anfangen könnten. Raeder ist 38 Jahre, selbst Gastronom. Er sagt, „dass man es mit Kaffee und Kuchen allein nicht mehr schafft, die Miete zu bezahlen.“ Mit dem Drang vieler Lokalbesitzer, gerade jüngeres Publikum anzusprechen, gebe man Älteren das Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Norbert Raeder fühlt sich als deren Anwalt. Er ist Landesvorsitzender der Grauen, der Grauen Panther.

Allerdings gibt es keinen handfesten Beweis bewusster Ausgrenzung, teilt die Hotel- und Gaststätteninnung mit. Aber das Gefühl vieler älterer Menschen, als Gast nicht immer willkommen zu sein, ist vorhanden. Hier und da berichten Angestellte hinter vorgehaltener Hand von Anweisungen, ältere Gäste nicht allzu eifrig zu bedienen. Um denen das Gefühl zu geben, deplatziert zu sein und das vermeintlich jugendliche Image des Lokals nicht zu verderben. Allein ein Blick in Coffee Shops und etliche Biergärten zeigt überwiegend jüngere Gäste. Die Generation über 50 fühlt sich von der Enkelgeneration der Gastronomen nicht oder kaum noch angesprochen.

Ein Beispiel: Das Café am Neuen See im Tiergarten war, als es noch nicht „Cans“ abgekürzt wurde, über Jahrzehnte ein beliebter Ausflugstreff für ältere Berliner, die es sich hier bei Scholle, Kaffee, Kuchen und Berliner Weiße gemütlich machten. Ein Ort für Kränzchen, von der Jugend belächelt. Ein kleiner und bescheidener Biergarten wurde erst in den achtziger Jahren angelegt, das mit den Jahrzehnten angestaubte Café kam dann in neue, jüngere Hände und nahm einen ungeahnten Aufschwung. Das traditionsreiche Haus am See ist längst ausgeufert und mit seinem großen Selbstbedienungsteil und dem riesigen Biergarten – wie etwa auch der nahe Schleusenkrug oder die Fischerhütte am Schlachtensee – zum „Kult“ geworden. Ein Paradebeispiel für den Wunsch zahlreicher Gastronomiebetriebe, gerade jüngere Leute mit einem großen Selbstbedienungsangebot anzusprechen. Die Älteren fühlen sich, wie ein Blick in die Runde des Cafés am Neuen See bestätigt, offenbar weniger angezogen als jüngere und mittlere Jahrgänge. Woran das liegt? Eine Kellnerin zuckt die Schulter. „Vielleicht am Angebot, Kuchen gibt es bei der Selbstbedienung.“ Ältere kommen, nur nicht auffallend viele, sie essen Pizza und Salat, das junge Personal im Bedienungstrakt ist zu jedem freundlich, keiner der „Senioren“ beschwert sich, dass er lange warten muss. Die Geschäftsführung erklärt, dass sie nichts sagen darf, dass aber alle Generationen willkommen sind, also natürlich auch ältere Gäste, weil sie Geld haben.

Klaus-Dieter Richter von der Hotel- und Gaststätteninnung nennt genau dieses Argument, weshalb er nicht glauben will, dass ältere Gäste hier und da vergrault werden oder dieses Gefühl verspüren. „Jeder Gastronom braucht Geld, und die Älteren haben doch oft mehr Geld.“ Anna Maria Müller, der Landesvorsitzenden des Berliner Seniorenverbandes, sind bislang Klagen nicht zu Ohren gekommen. Es hänge doch auch von der Art der gastronomischen Einrichtungen ab, „ich würde auch nicht in die Eckkneipe gehen“. Marion Dinse von der Berliner Verbraucherzentrale gibt zu bedenken, dass sich Betroffene nur zu Wort melden, „wenn sie das Gefühl haben, sich auch wehren zu können“. Es sei niemand verpflichtet, einen anderen zu bedienen, und es sei durchaus möglich, dass manche Gastwirte nicht wollten, dass sich ältere Leute stundenlang nur an einer Tasse Kaffee aufhalten. Aktenkundig aber sei nichts, heißt es.

Gastronom Norbert Raeder sagt, dass in seinem Musiklokal „Kastanienwäldchen“ an der Reinickendorfer Residenzstraße das „Alle-Generationen-Konzept“ mit wechselndem Tagesprogramm funktioniert. Gerade habe er einen Sommergarten aufgemacht. Er, Raeder, kenne keine Ab- und Ausgrenzungen. Und alle stünden auf Rock ’n’ Roll. Die Band, die ihn in seinem Lokal spiele, sei zusammen mindestens 500 Jahre alt.

Christian van Lessen

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