zum Hauptinhalt

Berlin: Nicht mehr voll unter Dampf

Vor 50 Jahren war die Modelleisenbahn noch das ultimative Weihnachtsgeschenk für Jungen. Heute müssen die Fachgeschäfte um ihre Kunden kämpfen.

Modellbahnen? Wer liebt sie noch, die kleinen Lokomotiven und Wagen, die – exakt dem Vorbild nachgebildet – durch eine Bilderbuchlandschaft zuckeln? Oder auch einfach nur auf einem Schienenkreis, der auf dem Fußboden aufgebaut ist, ihre Runden drehen? Früher gab es in jedem zweiten oder dritten Haushalt eine solche Bahn, sagt Hartmut Weidemann, Inhaber des Geschäfts „Modellbahnen am Mierendorffplatz“ in Charlottenburg. Heute seien die kleinen Bahnen vielleicht noch in jeder 100. Wohnung zu finden. Die Folge: Die Zahl der auf Modellbahnen spezialisierten Geschäfte nimmt stetig ab. Vor allem im Ostteil der Stadt gibt es kaum noch Händler. In diesem Jahr hat auch die Spandauer Institution Hobby Schult an der Klosterstraße geschlossen – nach über 40 Jahren. Nur gut zwei Dutzend Geschäfte gibt es noch in Berlin.

Auch am Mierendorffplatz werden seit 30 Jahren die kleinen Züge verkauft, die je nach Modell gar nicht so klein sind. Die kleinsten in Serie hergestellten Bahnen fahren auf 6,5 Millimeter schmalen Gleisen im Maßstab 1 : 220, Spur Z genannt. Eine Schnellzug-Dampflokomotive ist nur etwa elf Zentimeter lang. Bei den größten Modellen sind die Gleise 45 oder gar 64 Millimeter breit. Loks der Spur II können mehr als einen halben Meter lang sein. So eine Anlage braucht Platz.

An fehlender Fläche liegt es aber nicht, wenn die Geschäfte mit den Kleinen nicht mehr recht florieren. „Die Kunden sind alt geworden“, sagt Weidemann. Und Kinder gibt es immer weniger. Modellbahner seien vor allem die Jahrgänge aus den 50er und 60er Jahren. Für viele war damals eine elektrische Modelleisenbahn der Weihnachtstraum schlechthin. Schaufenster von Händlern, die dort eine Anlage aufgestellt hatten, auf der die Züge vollautomatisch über die Gleise ratterten, waren dicht umlagert – von Groß und Klein. Heute finden sich solche Anreize kaum noch. Das KaDeWe, das den Modellbahnbereich ebenfalls reduziert hat, ist eine Ausnahme. Die kleine Anlage dort steht nicht nur zur Weihnachtszeit. Und auch in einigen Bahnhöfen finden sich immer noch einfach gestaltete Anlagen, auf denen die Züge nach einem kleinen Obolus Fahrt aufnehmen.

Und dann gibt es noch die ganz Großen: Loxx im Alexa am Alexanderplatz hat zum Teil im Maßstab 1 : 87 Berlin nachgebaut. Am (Fantasie-)Flughafen starten und landen schon seit 2005 Flugzeuge, derzeit wird – neben dem Potsdamer und Leipziger Platz – der Hauptbahnhof nachgebaut; originalgetreu mit kurzem Dach, wie Ausstellungsleiter Jörg Wreh sagt. Auch im Modell kann die Bauzeit lang sein: Elf Monate hat ein Mitarbeiter am Kanzleramt gebastelt. Fast 200 000 Besucher kommen nach Wrehs Angaben jährlich, um sich die Gebäude – und Züge – anzusehen. Nur ein kleiner Teil seien eingefleischte Modellbahner. Viele Touristen wollten einfach nur das Mini-Berlin auf der Großanlage sehen.

Auf Touristen setzt auch das Fachgeschäft Turberg an der Lietzenburger Straße in Charlottenburg. „Den größten Umsatz machen wir mit Berlin-Besuchern“, sagt Inhaber Michael Turberg. Viele fänden zu Hause keine Händler mehr, weil die Läden bundesweit aufgegeben werden. Mehr Umsatz pro Kunde, heißt die Devise bei Turberg, der neun Mitarbeiter beschäftigt.

Dabei seien die Ansprüche der Käufer an die Modelle höher geworden, sagt Weidemann. Da werde eine Lokomotive sieben Mal gedreht, um auf jeder Seite nachzusehen, ob alle Einzelheiten auch exakt dem Vorbild nachempfunden sind. Die Detailtreue hat aber auch dazu geführt, dass kleine Lokomotiven nicht selten rund 500 Euro kosten.

Doch seien die Preise nicht die Ursache, dass das Interesse an den kleinen Bahnen schwindet, davon ist Weidemann überzeugt. Wer bereit sei, viel Geld für einen Computer oder ein Handy auszugeben, greife auch bei Modellbahnen zu – wenn der Wunsch vorhanden ist.

Hier habe aber auch die Industrie gepennt, bemängelt Weidemann. In den besten Zeiten, Mitte der 80er Jahre, hätten sich Hersteller wie der Marktführer Märklin zu sehr auf ihre Stammkunden verlassen und die Werbung bei den Nicht-Bahnern schleifen lassen. „Wie soll man denn aber erwarten, dass ein heute 40-Jähriger, der noch nie in einem Zug gesessen hat, sich für die Modellbahn begeistert“, sagt Weidemann. Märklin musste vor wenigen Jahren Insolvenz anmelden, hat sich inzwischen aber wieder aufgerappelt.

Ob es das Geschäft am Mierendorffplatz noch in 20 Jahren geben wird, wagt er nicht vorauszusagen. In Zukunft würden Hersteller Modelle nur noch nach Vorbestellung produzieren, die dann im Internet verkauft werden. Modellbahnen werde es weiter geben, aber weniger Händler.

Zur Startseite