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Berlin: Nicht wirklich, wirklich nicht

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Der Parlamentspräsident und die Vorsitzenden der Ausschüsse haben gewisse Neutralitätspflichten, denn sie sprechen für alle Fraktionen. CDUFraktionschef Nicolas Zimmer meinte nun, die Hauptausschuss-Vorsitzende Hella Dunger-Löper (SPD) sei in ihrer Rede zur Haushaltsberatung von dieser Regel abgewichen; sie habe sich „etwas koalitionslastig“ ausgedrückt. „Aber ich nehme Ihnen das nicht wirklich übel“, fügte er hinzu. PDS-Fraktionschef Stefan Liebich fand die Kritik der Opposition am rot-roten Etat „nicht wirklich eine Überraschung“. Franz Müntefering verriet dem Tagesspiegel im Doppelinterview mit Gerhard Schröder, dass er die lateinischen Gebete, die er als Messdiener hersagte, nicht verstanden hat: „Du hast es auswendig gelernt, aber du wusstest nicht wirklich, was es bedeutet.“

Nicht wirklich: Das ist eine modische Floskel. Alle reden so, als sei sie eine elegante Wendung. Irrtum, sie bedeutet ja so viel wie unwirklich, irreal. Benutzt wird sie im Sinne einer schwammigen Einschränkung. Man behauptet etwas und nimmt es im gleichen Atemzug teilweise zurück. Anders die Bekräftigung: wirklich nicht! Da weiß man wenigstens, woran man ist.

Nein, die Kritik der Opposition am rot-roten Etatentwurf kam wirklich nicht überraschend. Jede Opposition kritisiert jede Regierung; das ist in Ordnung. Herr Liebich aber war „nicht wirklich“ überrascht. Man sieht, wie überflüssig diese Floskel ist. Herr Zimmer nahm Frau Dunger-Löper „nicht wirklich“ übel, was sie gesagt hat. Ja, wollte er sie nun kritisieren oder nur aus Oppositionslust ein bisschen pieken? Sprachlich instinktsicher beteuert das liebe Kind: Ich habe nicht geschwindelt, wirklich nicht. Man stelle sich vor, ein Angeklagter würde dem Richter erzählen, er habe nicht wirklich gestohlen. Eine so zweideutige Aussage wäre keine Basis für seine Verteidigung.

Richter urteilen auf der Grundlage von Beweisen, die Bürokraten und mit ihnen die Politiker dagegen „auf Basis“. Sie gönnen der Grundlage ihres Handelns einfach den Artikel nicht mehr, wirklich nicht. Stefan Liebich sagte in der Etatdebatte, man möge „auf Basis von Tatsachen und nicht von unbewiesenen Behauptungen“ urteilen. SPD-Fraktionschef Michael Müller meinte: „Auf Grundlage dieses Urteils“ (des Landesverfassungsgerichts) liege mit dem Haushalt „ein zielführendes Sanierungsprogramm“ vor. Puh, das ist ja ordentlich nichts. „Zielführend“ ist nicht nur überflüssig, sondern auch scheußlich, genau so hässlich wie die „Lösungskonzepte“, von denen immer die Rede ist, wobei das Bezugswort Probleme prinzipiell verschluckt wird. Herr Müller wollte sagen, dass der Haushalt dem Ziel diene, die maroden Finanzen zu sanieren. Doch so schlicht redet keiner. Wir haben es einerseits mit sinnlosen Füllwörtern zu tun. Andererseits werden Formulierungen sinnwidrig verkürzt, als solle vertane Redezeit aufgeholt werden. Schade.

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