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Berlin: Ninas Märchenstunde

Frau Korn kann reden ohne Punkt und Komma. Sie erzählt wundervolle Geschichten, nicht nur im Advent

Sofort fallen die weißen Fensterbögen im Wohnzimmer auf, eine Sonderanfertigung. Man vermutet sie nicht im 14.Stock eines Plattenbaus. „Eine Freundin hat sie für mich aus Pappe gebastelt“, sagt Nina Korn. Die Fensterbögen passen zum Rest ihres Wohnzimmers. Warmes, orangefarbenes Licht. Über dem Sofa hängt ein großes, gemustertes Wandtuch. Kissen mit kleinen Spiegeln, ein dunkelbrauner Holzparavent. Alles ein bisschen wie Tausendundeine Nacht. So soll es sein. Nina Korn braucht diese Atmosphäre. Sie ist Märchenerzählerin.

Erzählerin, darauf legt sie Wert. Nicht: Vorleserin. „Das Erzählen ist die eigentliche, die ursprüngliche Kunst. Es gab sie lange, bevor es eine Schriftsprache gab.“ An einer Wand, neben dem gerahmten Bild des Schriftstellers Wilhelm Hauff, hängt ein Schwarzweißfoto. Es zeigt eine dunkelhaarige 20-Jährige, die vor 200 Menschen Märchen erzählt.

Es ist Nina Korn. Da stand sie zum ersten Mal auf einer Bühne. Ihre Mutter, die Märchenerzählerin, war krank. Den Auftritt am Abend wollte sie nicht absagen. „Du musst das machen“, hat sie zu ihrer Tochter gesagt.

45 Jahre ist das her. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften wurde Nina Korn Hörspieldramaturgin für Märchen. Bis 1989 war sie das, bis zur Wende.

„Die Kinder im Westen kennen heute weniger Märchen als die im Osten“, sagt Nina Korn. Das betrübt sie. „Die Sprachkultur verschwindet.“ Wenn sie wieder mal zum Erzählen in einer Schulklasse ist, erfährt sie, dass die Kinder Worte wie „betrübt“ oder „Knabe“ nicht mehr kennen. „Schöne, alte Wörter, die einen reich machen. Wunderbar altmodisch, finden Sie nicht? “

Sie öffnet eine kleine Holzkiste, ihre Wortschatztruhe, in der noch mehr alte Wörter liegen, auf Papierschnipsel geschrieben. „Flugs, todbang, vertraut.“ Die Märchenerzählerin seufzt. Dann hebt sie wieder an zur freien Rede. Sie spricht über das Fernsehen, das die Fantasie tötet. Über Lehrer, die klagen, dass Kinder nicht mehr richtig zuhören können. Wieder über alte Wörter. Man merkt, dass es ihr Vergnügen bereitet. Sie redet fort ohne Punkt und Komma, während draußen die Sonne untergeht. „Merken Sie’s?“, fragt Nina Korn. „Ist doch klar, dass ich Erzählerin werden musste.“

Es gibt nur wenige Märchen, die sie nicht vorträgt, weil sie grausam sind. Eines handelt von einem Mädchen, das nicht sprechen darf. Es ist ein böser Fluch. Spräche sie, würde sie ihre Brüder töten.

Nina Korn hat mal versucht, einen halben Tag lang nichts zu sagen. Es klappte nicht. „Ich wäre todunglücklich geworden, hätte ich durchgehalten.“

Nina Korn, Fischerinsel 5, Mitte, Tel. 20452108 oder www.maerchenfrauen.de

Sie wollen lernen, Märchen professionell vorzutragen? Dann kommen Sie einfach in die Workshops von Geschichtenerzählerin Nina Korn.

Termine: Mi, 15. oder Mi, 22. Dezember, Fischerinsel5, Mitte.

Am besten die Lieblingsgeschichte gleich mitbringen. Gebühr: acht Euro pro Person, Tee inklusive.

Anmeldung unter Telefonnummer 20452108 (Anrufbeantworter). Jeder wird zurückgerufen.

Marc Neller

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