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Berlin: Nixe Ella

Sie schwimmt, sie radelt und sie sprintet: Ella Matthes ist 90 Jahre alt. Jetzt machte die Charlottenburgerin zum 21. Mal das Sportabzeichen

Der Arzt hat es ihr verboten. Ella Matthes darf keinen Sport machen, bis die Entzündung an ihrem linken Fuß operiert ist. Kein Sport heißt aber nicht, dass sie nicht die sieben Treppen hinauf in ihre Wohnung laufen darf. Findet Ella Matthes und macht das jetzt jeden Tag. Sie ist übrigens 90 Jahre alt. Dieses Jahr erhielt sie das Sportabzeichen. Schon zum 21. Mal, und zwar in allen Disziplinen: Schwimmen, Weitsprung, Sprint, Kraftübungen und Ausdauer.

Im Norden von Charlottenburg, nahe der Siemensstadt, sitzt Ella Matthes auf einem ihrer kirschroten Wildledersessel. An der Wand im Flur hängen drei Schmetterlinge unter Lupenglas. Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann, er hatte die Dekoration ausgesucht. Sie trägt einen modischen Kurzhaarschnitt, einen altrosafarbenen Wollpullover und eine graue Stoffhose. Am Freitagabend, zur Preisverleihung des Landessportbundes, ging sie ganz elegant in Schwarz.

Mit dem Training für die fünf Disziplinen hat Ella Matthes erst begonnen, als sie 60 Jahre alt war. „Geschwommen bin ich schon früher, aber Weitsprung, Sprint und die Kraftübungen, das kam später.“ Als sie klein war, schickte ihre Mutter sie in die Schwimmhalle. „Ich sollte nicht auf der Straße rumhängen, und Schwimmen war das Billigste.“ Später hat Ella Matthes selbst Schwimmen unterrichtet. Wenn sie heute die 1000 Meter schwimmt, bräuchte sie eigentlich eine eigene Bahn, weil sie langsamer ist als die anderen. Doch ihre Kameraden ließen das nicht zu, sagt sie stolz: „Sie kennen mich noch von früher.“ Genau wie die Leute vom Sportplatz. Jeden Sonntag holt sie ihr Fahrrad aus dem Keller und fährt hin. „Wir müssen schon um acht da sein, wegen der Abnehmer.“ Die Abnehmer notieren die einzelnen Werte der Sportler.

Sie wollte das ja eigentlich alles nicht, aber irgendwann sagten Bekannte: „Ella, du bist so sportlich, komm doch mal mit.“ Sie sprang sofort 1,10 Meter aus dem Stand. „Das haben sie dann gleich aufgeschrieben.“ Beim 50-Meter-Sprint läuft meist jemand mit ihr mit, für alle Fälle. „Ich mache zwar keine dollen Zeiten, aber ich schaffe immer mein Soll“, sagt sie. Beim Schwimmen war sie irgendwann immer die Erste, weil niemand in ihrer Altersklasse mehr mitschwamm. „Nixe Ella“ steht auf einer der vielen Urkunden, die sich in ihrem Schrankwand-Regal stapeln. Oft radelt Ella Matthes auch durch die Jungfernheide zum Grab ihres Mannes. Und dann schimpft sie: „Du könntest ruhig noch bei mir sein.“

Aufgewachsen ist Ella Matthes in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg. In ihrer Jugend habe sie zweieinhalb Jahre „politisch wie ein Zwitter gelebt“, sagt sie. „Ich wusste nicht, wem ich glauben soll, Adolf oder meinen Freunden, die oft im Ausland waren." Sie arbeitete im Büro der Oberschlesischen Steinkohlegruben, nach dem Krieg war sie Stenographin. Später, als von ihren Freunden kaum noch wer übrig war, ging sie auf Reisen, mit jüngeren Bekannten: nach Dubai, an die Chinesische Mauer oder nach Las Vegas. „Es war für meine Freunde selbstverständlich, mich mitzunehmen“, sagt Ella Matthes stolz. Für die Zeit nach der Fußoperation hat der Arzt ihr Stützen angeboten. Aber sie lehnte ab. Für die sieben Treppen braucht eine wie sie doch keine Hilfe.

Maxi Leinkauf

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