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Berlin: Noch lange nicht Schloss

Ein Kleinod in Tegel: Die Geschichte des Hauses ist eng mit der von Marie Agnes von Heinz verbunden. Sie wird heute 100. Eine Würdigung.

Das Haus ist einer der liebenswürdigsten und zugleich historisch bemerkenswertesten Orte Berlins. Denn das Humboldt-Schlösschen in Tegel, das Elternhaus der Brüder Humboldt und Wohnhaus von Wilhelm von Humboldt, bewahrt im Äußeren wie im Inneren den Geist und die Kultur des frühen 19. Jahrhunderts. Es ist das Denkmal einer ungewöhnlich fruchtbaren Epoche, die heute durch das Projekt des Humboldt-Forums wieder ins Blickfeld gerückt wird. Dass das Haus und sein Erbe sich scheinbar unversehrt präsentiert darstellen, verdankt sich nicht zuletzt einer Frau: Marie Agnes von Heinz, Witwe des Ur-Urenkels Wilhelm von Humboldts. Sie begeht an diesem Freitag das staunenswerte Ereignis ihres 100. Geburtstags.

Nicht zuletzt? Eigentlich doch zuerst: Denn Marie Agnes von Heinz legte die Grundlagen dafür, dass sich dieses lebendige Dokument der Kultur der Berliner Klassik erhalten hat. Als sie 1945 in das Haus zurückkehrte, war es von Krieg und Besatzung völlig ramponiert. Leer war es außerdem, denn die Sowjetarmee hatte die Kunstwerke und Einrichtungen, mit denen Humboldt es gestaltet hatte, abtransportiert. Mit der ihr eigenen Energie und dem Gefühl der Verantwortung für das Humboldt’sche Erbe nahm sie sich der Wiederherstellung des Schlosses an. Und schon von 1949 an, beginnend mit dem 200. Geburtstag Goethes, konnten wieder regelmäßige Führungen stattfinden.

Hinter dieser Anstrengung steht ein Schicksal, dem wahrhaftig keiner der Schläge erspart blieb, die Krieg- und Nachkrieg für Frauen dieser Generation bereithielten: der Mann 1941 zu Beginn des Russlandkrieges gefallen, der Bruder 1944, das älteste Kind gestorben, der Vater von den Russen interniert, dann im Lager Buchenwald umgekommen. Und weder ihr Studium der Versicherungsmathematik noch die Herkunft aus alter baltischer Familie waren die geeignete Vorbereitung für die Sisyphusarbeit, Schloss und Familie durch Not- und Nachkriegszeit zu bringen.

Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich erfolgreich der Aufgabe stellte, das Gesamtkunstwerk des Tegeler Hauses wieder zum Leuchten zu bringen. Und tatsächlich gelang es, die Symbiose von Haus und Park wiederherzustellen und den Kampf um die Rückgabe von Mobiliar und Kunstwerken aufzunehmen.

Doch schon in den fünfziger Jahren, als Marie Agnes von Heinz die Sanierungsarbeiten des Schinkel-Baus vorantrieb, entwickelte sich Schloss Tegel zum Anziehungspunkt – für internationale Besucher, für die Offiziere der französischen Besatzungsmacht, aber vor allem für die Berliner, die damals das kulturelle Leben der Stadt bestimmten. Eine große Zahl von ihnen konnte sie in dieser Zeit, in der die Stadt langsam wieder auf die Beine kam, zu Gästen, Freunden und Weggefährten zählen. Im Schlösschen Tegel verkehrten zum Beispiel Ernst Reuter, der legendäre Bürgermeister, Edwin Redslob, Tagesspiegel-Herausgeber und FU-Gründungsrektor, Kultursenator Joachim Tiburtius und Margarete Kühn, die Direktorin der Berliner Schlösser, deren Namen mit der Erhaltung von Schloss Charlottenburg verbunden ist.

Anfang der neunziger Jahre ist schließlich noch der Teil der Sammlungen, der auf der Museumsinsel verblieben war, nach Tegel zurückgekehrt, so dass das Schlösschen das Vermächtnis der Humboldts wieder voll einlöst. Marie Agnes von Heinz zog sich mit den siebziger Jahren, als sie die Verantwortung für Tegel ihrem Sohn Ulrich von Heinz überließ, erleichtert in den Schwarzwald zurück. Zum Geburtstag hat ihr der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit versichert, dass Berlin sich ihrer Verdienste um die Wiederherstellung des Humboldt-Schlösschens und seiner einzigartigen Aura bewusst sei. Und hat ihr den Respekt für dieses Lebenswerk bezeugt. Hermann Rudolph

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