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Berlin: Noch mal schnell zu Warhol

Ein Eisesschock durchrann uns, gegen den der Permafrost draußen geradezu milde wirkte: "Was?!

Ein Eisesschock durchrann uns, gegen den der Permafrost draußen geradezu milde wirkte: "Was?! Nur noch bis Sonntag geht die Warhol-Ausstellung? Oh verdammt, schon wieder dasselbe."

Immer dasselbe. Welches Gen bringt uns Menschen eigentlich dazu, nie irgendetwas früher zu erledigen als auf den durchaus letzten Drücker? Obwohl wir doch alle Zeit der Welt hätten. Wochenlang läuft ein Film im Original in geräumigen Kinos mit großen Leinwänden. Doch erst, wenn nur noch die stupide deutsche Synchronfassung in irgendeiner Bezirksklitsche übriggeblieben ist, stürzen wir alarmiert hinein: Bald wird der Film ganz aus dem Programm genommen worden sein. Monatelang zeigt die Neue Nationalgalerie die große Andy-Warhol-Ausstellung - aber wenn uns nicht ein Freund auf ihr nahes Ende hingewiesen hätte, hätten wir sie wie zahlreiche Vorgängerinnen in unseren Lebensakten unter "Versäumt wg. Blödheit" ablegen müssen. Doch auch so droht uns nun die erbärmliche Un-Tätigkeit des Schlange Stehens. Auch dies wussten wir vorher, und nicht einmal dies hat uns angetrieben. Was ist das für ein Gott, der uns dieses Gen gegeben hat!

Am Freitagvormittag zumindest ist er ein halbwegs gnädiger: Die Schlange erstreckt sich nur vor der Garderobe. Die schenken wir uns. Und da sind sie dann alle wieder: Die Marilyns, Maos und Mona Lisas. Die Suppendosen, Cola-Flaschen, Freiheitsstatuen. Die zermantschten Autos, zerfetzten Leiber, elektrischen Stühle. Die ganze tolle Konsumwelt. Ihre ganze Selbstfeier, ihre ganze Ausweglosigkeit. Und auch sie sind alle wieder dabei: Die Wissbegierigen mit den Kopfhörern der tragbaren Kunsterklärung. Die jungen Männer, die vor ihren Freundinnen Eindruck schinden, indem sie sensible, gebildete oder besonders originelle Bemerkungen machen. Die Studentinnen mit Professor, der Sätze sagt, wie "Das macht nichts, wenn da mal die Ausführung unvollkommen ist: Das ist wie das Leben selbst." Die Unangekränkelten, die sich vor ein Bild der Freiheitsstatue stellen und sich überlegen, wo denn dann die Brooklyn-Bridge wäre: "Hier! Komm mal her auf die Brücke! Da vorn ist dann das World Trade Center!"

Das World Trade Center ... Man braucht sich wohl nicht zu fragen, welche Siebdruckserie Warhol, würde er noch leben, jüngst produziert hätte. Welches Konterfei er als Pop-Ikone erkannt, farbig unterlegt und in den Marktprozess neu-eingegliedert hätte. Nur - dass diese Arbeit inzwischen die Medien selbst erledigen.

Holger Wild

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