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Berlin: Noch nie in seiner Geschichte war Berlin so sehr auf sein Hauptstadt-Standbein angewiesen

Hauptstadtfinanzierung ist ein hochaktuelles Thema. Von seiner Behandlung hängt nicht zuletzt ab, wie Berlin mit seiner neuen Rolle zurechtkommen wird.

Hauptstadtfinanzierung ist ein hochaktuelles Thema. Von seiner Behandlung hängt nicht zuletzt ab, wie Berlin mit seiner neuen Rolle zurechtkommen wird. Aber ein ziemlich deutsches Thema ist es auch. Niemand sonst widmet sich ihm, und die beliebten Vergleiche Berlins mit Paris oder London scheitern auch an diesem Punkt. Für die Lösung des Problems ist deshalb der Blick auf diese Hauptstädte zentralstaatlich regierter Staaten nicht allzu ergiebig. Woher also Maßstäbe, Erkenntnisse, Vorschläge gewinnen, mit denen man zu einer konstruktiven Debatte des Thema kommen könnte?

Kann die Geschichte Fingerzeige geben? Diese Hoffnung steht zumindest im Hintergrund eines Forschungsvorhabens über die Finanzierung der Reichshauptstadt, das in den vergangenen Jahren vorangebracht worden ist. Und natürlich war sie auch ein hauptsächlicher, hauptstädtischer Nebenzweck der daraus hervorgegangenen Tagung, die die Historische Kommission zu Berlin mit Unterstützung der Stiftung Preußische Seehandlung zum Thema "Hauptstadtfinanzierung in Deutschland" veranstaltete. Das Ergebnis ist so eindeutig wie lehrreich. Die Untersuchung der Haushaltspläne von Stadt, Preußen und Reich durch die Historiker Harald Engler und Felix Escher zeigt, dass Preußen und Reich ihre Hauptstadt knapp hielten, dass dies aber nicht der entscheidende Gesichtspunkt ist.

Die direkten Zuwendungen für Berlin blieben bedeutungslos, eine gezielte institutionalisierte Förderung der Hauptstadt fand nicht statt, Bevorzugung gegenüber den anderen preußischen Städten wie Frankfurt am Main oder Kassel gab es nicht. Berlin blieb für die Finanzierung des Ausbaus, den die stürmisch wachsende Hauptstadt erforderlich machte, auf Anleihen verwiesen. Das gilt für Kaiserreich und Republik. Mehrfach mussten Preußen und Reich die drohende Zahlungsunfähigkeit Berlins verhindern. Auch im Dritten Reich änderte sich das nicht grundsätzlich.

Auf der anderen Seite profitierte Berlin eminent von den Mitteln, die Preußen und Reich in Berlin ausgaben. Im Kaiserreich erreichten sie nahezu drei Viertel des Haushalts der Stadt, in der Weimarer Republik sank diese Quote - auch eine Folge des gestiegenen Finanzvolumen Groß-Berlins -,im Dritten Reich nahm sie wieder zu, auf fast achtzig Prozent. Dabei spielten vor allem die Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Kultur eine maßgebende Rolle. Zumal Preußen, aber auch das Reich, verwendeten einen Großteil ihrer Mittel für die wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen, die sich seit der Reichsgründung in Berlin etablierten.

Was lehrt uns das? Berlin florierte als Hauptstadt nicht so sehr wegen der Zuschüsse von Reich und Preußen, sondern weil diese sie als Hauptstadt begriffen und nutzten. Es wurde gleichsam vor allem auf indirekte Weise zur Kaiserstadt und dann zur legendären europäischen Metropole. Ohne den Hintergrund des Reiches, aber vor allem auch Preußens, das durch seine Größe im Reich eine dominierende Stellung innehatte, hätte die Stadt ihre Rolle nie spielen können. Es kommt hinzu, dass das Hauptstädtische nicht nur von der Hauptstadt kam - und kommen musste -, sondern auch davon, dass Berlin zu einem florierenden Wirtschafts-, Finanz- und Dienstleistungszentrum wurde. Für das Gesamtgefüge der Stadt war die Hauptstadt nur ein Standbein, freilich ein besonders wichtiges - die Erkenntnis, wie wichtig es war, gehört zu den Erträgen der Studie -, aber sie hatte auch noch sehr belastbare andere.

Ohne Reich und Preußen und die großen Industrien und Banken keine Hauptstadt Berlin? Wenn das die Lektion der Geschichte wäre, könnte man an ihr immerhin ablesen, wie ungeheuer anders und abenteuerlich neu die Situation der Hauptstadt ist, die die Bundesrepublik bekommen hat. Diese Einsicht wurde eindrucksvoll konturiert durch das sozusagen aktuelle Nachwort zur Tagung, das Willi Weinzen mit seiner Darstellung der Finanzierung Berlins vor und nach der Wende beisteuert. Das Thema hat seinen eigenen hoch ambivalenten historischen Spannungsbogen. Man muss sich nur vor Augen führen, welchen gewaltigen Sturz der Übergang von der Vor-Wende-Finanzierung zur Eingliederung in die bundesstaatliche Normalität nach 1994 bedeutete. Vorher qua Bundeshilfe eine Orientierung am Bedarf, dann ein kleines, ziemlich strapaziertes Schiff im föderalen Geleitzug, die damit verbundene Abrüstung von 14 Milliarden Mark auf Null in nur vier Jahren - ein "einzigartiger Subventionsabbau", wie Weinzen sagte.

Und nun? Die zwischen Bonn und Berlin vertraglich vereinbarte Regelung der Abgeltung der Hauptstadtkosten ist über Ansätze nicht hinausgekommen. Weinzen spitzte seine Argumentation ironisch zu: Berlin könnte mit den für allgemeine Aufgaben pro Jahr vorgesehenen Mitteln immerhin dem Innenminister die Kosten des Bundesgrenzschutzes für einen großen Staatsbesuch ersetzen, allerdings nur einmal im Jahr. So wird es auf die Dauer nicht weitergehen können; ohnedies ist das Berlin-Bonn-Gesetz bis 2004 befristet, dann soll eine neue Vereinbarung geschlossen werden. Wie die aussehen könnte, weiß niemand. Als Rechtsgrundlage kommt nur der Ausgleich für Sonderbelastungen in Frage, den das Grundgesetz im Artikel 106 vorsieht. Unberührt davon ist offenkundig, dass Berlin - ohne Preußen, in einer massiv föderalisierten Republik, bei der Aufgabenteilung mit Bonn - stärker auf dem Hauptstadtbein stehen muss als je in seiner Geschichte.

Weinzen schob die Empfehlung nach, der Bund solle Berlin nicht schlechter behandeln als Bonn. Dann würde er die Stadt freilich sehr viel besser behandeln als jetzt. Immerhin ist, so glaubt er zu spüren, "ein anderer Umgang mit Berlin im Werden". Aber so weit scheint es damit auch nicht her zu sein: Man solle, sagte Weinzen, das "zarte Pflänzchen" um Himmelswillen nicht zertrampeln.

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