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Berlin: Norbert Randow (Geb. 1929)

"Mein Herr, dass ich hier bin, ist nicht meine, sondern Ihre Schuld!"

Übersetzer sind die Diplomaten des Worts, ohne sie gelingt nichts in der Verständigung der Völker. Sei es als Dolmetscher im Schatten der Mächtigen oder als Freunde und Förderer der Autoren, ohne sie hielte die babylonische Sprachverwirrung auf ewig an. Dennoch verdient man in diesem Beruf beschämend wenig, und nicht immer entschädigt die Liebe zur Sache für die Mühen.

„Ohne persönliche Kontakte und Interesse mache ich nichts“, bekräftigte Norbert Randow. Und: „Das Zwischenmenschliche comes first.“ Auch in der Politik, wo er seine Abneigung nicht verhehlen konnte, als die Parteibürokraten die Träume seiner Jugend ruinierten. „Den Rest hat es mir gegeben, als ich Ulbricht und Co. und die dazugehörigen Ehefrauen beim Übersetzen aus der Nähe erlebt habe: Ein Gangster, aber auch ein Fuchs, und auch wieder völlig behämmert.“

Im Februar 1962 wurde Norbert Randow, Assistent am Slawischen Institut der Humboldt-Universität, wegen „antisowjetischer Hetze und Beihilfe zur Republikflucht“ inhaftiert. Sein Vergehen? Er hatte das Manuskript eines in den Westen geflohenen Freundes aufbewahrt und zudem gegenüber dem Staatsanwalt trotzig bekräftigt, dass er Boris Pasternaks Roman „Doktor Schiwago“ für ein bedeutendes Buch halte.

Das Urteil: drei Jahre Gefängnis. „Ich habe im Knast viele hervorragende Leute getroffen, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah.“ Trotz aller Schikanen – Norbert Randow bewahrte Haltung. Als ihn ein Offizier wegen einer Bagatelle anschnauzte, entgegnete er höflich: „Mein Herr, dass ich hier bin, ist nicht meine, sondern Ihre Schande!“

Nach seiner Freilassung wurde ihm die Rückkehr an die Universität verwehrt. In seiner Stasi-Akte steht: „Beobachten, dass nirgends eine Anstellung erfolgt.“

Das war sein Glück. Keine Bevormundung mehr, die freie Existenz war für ihn, der wenig zum Leben brauchte, eine Arbeitserlaubnis ohne Auflagen.

Seine Schwester hatte einen Weißrussen geheiratet. Zusammen mit ihm las Randow sein erstes Buch von Wassil Bykau, „Die Toten haben keine Schmerzen“. „Mich interessierten zunächst einmal die Autoren, die in Weißrussland verboten waren und die unter Stalin ermordet wurden. Und da gab es ja einige.“

Für den Verlag Volk und Welt gab er eine Anthologie heraus, die all jene Erzähler versammelte, die in Weißrussland totgeschwiegen wurden. Die Literaturgeschichte ist oft auch die Geschichte des Martyriums derer, die ihrer Würde beraubt werden sollen, damit das Volk seiner Würde beraubt werde.

Bulgarien war Norbert Randows große Liebe. Im Sommer 1952 reiste er das erste Mal nach Sofia. Er verliebte sich in eine Bulgarin, und auch wenn die Romanze kein glückliches Ende fand, die Liebe zum Land blieb, obwohl ihm eine kritische Rezension über ein missglücktes deutsch-bulgarisches Wörterbuch als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bulgariens“ verübelt wurde. Die Funktionäre drangsalierten ihn zuweilen, von den Schriftstellern hingegen wurde er geliebt.

Nach seiner Gefängnisstrafe durfte er zunächst einige Jahre nicht nach Bulgarien einreisen, aber er übersetzte mit unermüdlichem Fleiß. Eines der Glanzstücke ist die Übertragung und Kommentierung der „Slawobulgarischen Geschichte“ des Athosmönches Paissi von Chilendar. Das Werk aus dem 18. Jahrhundert hatte den eigentlichen Anstoß zur Entwicklung eines bulgarischen Nationalbewusstseins gegeben und letztlich zur Befreiung des Landes von der türkischen Fremdherrschaft geführt.

Die Sprache und die Geschichte eines Volkes bewahren heißt, seine Freiheit bewahren. Das klingt abstrakt. Was wir konkret von den Bulgaren lernen können? Großherzigkeit und Zivilcourage. Am 10. März 1943 widersetzte sich das Land der Auslieferung von 8600 Juden. Insgesamt wurden fast 50 000 bulgarische Juden vor der Deportation gerettet. Die Bulgaren wussten, was es heißt, unterdrückt zu werden, und sie hatten gelernt, sich zu wehren.

Jede Stimme eines Widerständigen, die in eine andere Sprache übersetzt wird, ist eine gerettete Stimme. Norbert Randow war darin unermüdlich. Hunderte Übersetzungen von ihm garantierten den kleinen Grenzverkehr für all jene, die gewillt waren und sind, die europäischen Nachbarn wirklich kennenzulernen. „Es gibt“, so rühmte der bulgarische Autor Milen Radev, „nur wenige Freunde unseres Landes, die ihr persönliches und berufliches Leben auf so ehrliche und tiefgründige Weise mit Bulgarien verbunden haben. Für mich ist Norbert ein Bulgare aus Norddeutschland.“

In seiner Wohnung in Moabit, in der er gemeinsam mit seiner Ehefrau Theda lebte, bewahrte Norbert Randow die umfangreichste Sammlung bulgarischer Literatur jenseits von Bulgarien auf. Zehntausend Bände, die er der Bibliothek der Humboldt-Universität schenkte, an die er ohne Groll zurückgekehrt war, um der Arbeit willen. „Wie denn sonst, wenn wir einander zu wenig kennen, sollten wir dereinst von unserem Heimatland Europa sprechen können?“ Gregor Eisenhauer

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