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Berlin: Norbert Schmitt (Geb. 1954)

Dabei war sein Lebensmotto "Alles ist besser als tot"

Norberts letzte Lebensjahre waren ein verzweifelter, trotziger Kampf. Gegen die Ämter, die Sachbearbeiter, die Krankheiten. Gewicht, Herz, Stoffwechsel, Atmung, oder etwas gewählter: „Metabolisches Syndrom“. Eine böse Quittung für ein genuss- und sinnenfrohes Leben. Als er kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus an einer Blutvergiftung stirbt, wirken seine Gesichtszüge entspannt und erlöst. Die Qualen – vorbei. Dabei war sein Lebensmotto: „Alles ist besser als tot.“

Geboren wurde er in Bamberg, der Vater Beamter, die Mutter Telefonistin. Die Schulzeit wird zum Ende problematisch; er ist aufmüpfig im Sog der Rockmusik. Das Studium der Philosophie und Germanistik bricht er enttäuscht ab. Will für die Kunst leben. Zieht in die Stadt der Freigeister. Es bleibt die Leidenschaft für die Macht der Worte, Brecht, Kraus, Morgenstern. Aus Alltagssituationen entwirft er Satiren und Grotesken.

Im Kreuzberger Kiez rund um das Kottbusser Tor ist er eine Erscheinung, eine Buddha-Gestalt mit Herz, Riesenbauch und Lebensfreude. Als Sänger, Rezitator und Schauspieler lokale Berühmtheit, Pfeife und Glas immer in Reichweite. Er lebt frei nach einem Kreisler-Chanson „Ich möchte mühelos mein Geld verdienen / Ich hab für Arbeit kein Geschick / Drum möchte ich in die Politik.“

Das war nicht immer so. Er nahm einmal jeden Job an, um seinen Gesangsunterricht zu finanzieren. Seitdem ist er gesegnet mit einer ausgebildeten Stimme, die Räume füllen und Gänsehaut erzeugen kann. Nur mit dem Geldverdienen klappt es nicht so. Weder als Blues- und Countrymusiker, Gesangslehrer noch als Schauspieler. Da kommt er über Nebenrollen in einer Serie und Bierwerbung nicht hinaus. Auch sein Einstieg in die Politik als Kreuzberger Kandidat für die Grauen Panther missglückt.

Sein Programm „Der liederliche Brecht“ soll den Durchbruch bringen, Erotisches und Politisches. Aber bei der Auswahl seiner Mitspieler hat er nicht immer eine glückliche Hand: Sie bescheren unfreiwillig komische Verfremdungseffekte seines ambitionierten Vortrags. Vom Hut, der rumgeht, kann er nicht leben. Zu einem besser bezahlten Auftritt in einem Restaurant erscheint er nicht. Die Nerven, der Stress, das Herz. Auftritte auf Beerdigungen, für Freunde, bringen keinen Stress. Aber auch kein Geld.

Aber wo Schatten ist, ist auch Licht. Sein Sonnenschein heißt Yvonne. Er lernt sie beim Arztbesuch kennen. Sie bietet ihm ein Stück Apfel an. Das „Eva-Prinzip“ wird er diese Begegnung fortan nennen. Gleiche Gewichtsklasse, gleiche Wellenlänge. Er kann sie zum Lachen bringen, was ihr bislang eher selten geschah. Er umwirbt die gelernte Pferdepflegerin liebevoll, und sie wird für die letzten zwei Jahre sein Halt. Sie verordnet eine Rosskur: Reduktionsdiät und Bewegung. Mit ein wenig Erfolg.

Selbst die drei Treppen von seiner Wohnung auf die Straße runter sind eine Höchstbelastung. Wenn Yvonne per Handy fragt, wo er unterwegs ist, bleibt manchmal nur die Antwort „In der Moschee“. Erschöpft und schweißgebadet sitzt er dann nach den Treppen auf dem Fenstersims eines Gebetsraums im Parterre. Manchmal gelingt der Ausflug – zum nahegelegenen Imbiss. Auf die Currywurst will und kann er nicht verzichten. Nicht für immer.

Muss er aber, denn es folgt sein metabolischer Albtraum. Er kommt ins Krankenhaus, immer wieder. Intensiv ist jetzt nur noch die Apparatemedizin, nicht das Leben. „Wenn du gehen willst, dann geh!“, sagt Yvonne. Er geht.

Ihr bleibt ein Teil seiner Asche im Medaillon. Seiner Schwester in Amerika die Urne. Die ist leicht und wiegt schwer. So wie Norbert. Erik Steffen

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