zum Hauptinhalt

Berlin: Null Toleranz im Kiez

Anwohner in Kreuzberg und Mitte kämpfen gegen Obdachlosenheime und Fixerstuben

Von Sandra Dassler

Von Sandra Dassler

und Till Schröder

„Ich gebe auf". Diese Wore stehen über der persönlichen Erklärung von Wieland Giebel. „Mein Auto sollte abgefackelt werden“, schreibt er, „alle Reifen wurden platt gestochen, eine Parole an der Mauer des Engelbeckens lautete: ,Obdachlose willkommen – Wieland Giebel raus’“. Giebel, ehemaliger Kriegsreporter und Gründer des linken Elefanten Press-Verlages, wehrte sich mit anderen Anwohnern des zwischen Mitte und Kreuzberg gelegenen Engelbeckens gegen ein Heim für alkoholkranke Obdachlose, das der Träger „Siefos“ am Legiendamm/Ecke Waldemarstraße betreiben will. Der Bezirk hatte sich für diese Nutzung entschieden. Die Bürgerinitiative befürchtet die Verwahrlosung ihres Kiezes. Die Besitzer der Neubauten am Engelbecken machen sich auch um die Minderung des „Wohnwertes" Sorgen.

Mit dieser Sorge stehen sie nicht allein. Auch die Vermieter von Häusern in Kreuzberg und Moabit, in deren Nähe in den kommenden Wochen die ersten Druckräume für Fixer eingerichtet werden, schlagen Alarm. Sie verweisen auf Erfahrungen von Hausbesitzern, deren Mieter sich von Junkies, Dealern und Kriminellen so belästigt fühlten, dass sie auszogen.

„Das ist an sich keine neue Entwicklung“, sagt Ulrich Springer, Sachverständiger für Grundstücksbewertung und Mieten: „Aber noch vor zehn Jahren hat es die Hausbesitzer nicht gestört, wenn vor allem ältere Bürger ihren Kiez verließen. Da fanden sich für jede leere Wohnung 30 neue Mieter. Heute muss man froh sein, wenn es noch drei Bewerber gibt und wenigstens einer die Wohnung nimmt.“ Das Überangebot an privatem und gewerblichem Wohnraum ist nach Springers Ansicht der Hauptgrund für die Probleme und den Unmut mancher Hausbesitzer. Alle Experten seien sich darüber einig, dass Wohnungen an sozialen Brennpunkten, beispielsweise in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding, allein im Laufe des vergangenen Jahres um zehn Prozent an Wert verloren hätten.

Dies mit Initiativen gegen Minderheiten ändern zu wollen, hält Springer für unsozial und sinnlos. Er rät den Vermietern vielmehr, ihre Häuser so zu sichern, dass sich kein Bewohner bedroht fühlt. „Das beginnt bei den Tür- und Flursicherungen und Gegensprechanlagen. Möglicherweise muss man auch wieder einen Hauswart einstellen, der engen Kontakt zu den Mietern hält und dafür sorgt, dass die Tür zum warmen Treppenhaus am Abend geschlossen bleibt.“

Viele Soziologen beobachten die Entwicklung des sozialen Klimas in der Stadt seit längerem mit Sorge. Christine Hannemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Uni, meint: „Es hat immer und überall Proteste von Bürgern gegen Einrichtungen für Obdachlose, Penner, Fixer, Asylbewerber oder auch Roma gegeben. Aber es ist unverkennbar, dass der Ton aggressiver, das Klima intoleranter wird. Kein Wunder: Wer selbst Angst um seinen Arbeitsplatz und seine soziale Existenz hat, ist einfach unduldsamer gegenüber anderen Menschen.“ Außerdem, klagt Hannemann, versäume die Verwaltung allzu oft, die Einwohner über geplante Einrichtungen zu informieren.

Dass die Auseinandersetzungen solche Formen annehmen wie am Engelbecken, ist noch die Ausnahme. Die Betreiber des geplanten Obdachlosenheims haben sich ausdrücklich von der Gewalt gegen Wieland Giebel distanziert. Siefos-Geschäftsführerin Cornelia Leibholz kritisierte auch die Kreuzberger Gruppe „Kritik und Praxis". Die sieht in Giebel den Verursacher einer „wohlstandschauvinistischen Stimmungsmache" und will am Sonntag in der Nähe seines Hauses demonstrieren. Obwohl er doch aufgegeben hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false