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Das Nullemissionshaus in der Boyenstraße.

© Thilo Rückeis

Nullemissionshaus: Von wegen Luftnummer

Wer umweltbewusst wohnen will, muss nicht draufzahlen. Zu Besuch in Berlins erstem Nullemissionshaus.

So ein Ökobau ganz ohne CO2-Ausstoß, da muss man sicher auf vieles verzichten, oder? Christoffer Richartz überlegt, verzieht die Miene, dann fällt ihm doch etwas ein, das fehlt: „ein ordentlicher Altstadtkiez“. Na klar, den vermisst er hier.

Der Neubau liegt in der Boyenstraße zwischen Nordhafen und BND-Baustelle, in einem Quartier, das noch im Entstehen begriffen ist. Von der Dachterrasse aus sieht man in drei Himmelsrichtungen Kräne – plus die riesige Maschine, die gerade unten im Garten steht. Oder besser: auf dem Acker, der mal Garten werden soll. Vor drei Monaten ist Christoffer Richartz mit seiner Frau Barbara Richartz-Bausch eingezogen. Im Treppenhaus riecht es noch nach Farbe, auf dem Balkon bringen Handwerker gerade Verschattungen an. Und obwohl der erste Winter noch aussteht, können die beiden Rentner schon sagen: Ja, es hat sich gelohnt. Sie bewohnen 130 Quadratmeter in Berlins erstem „Nullemissionshaus“. Das bedeutet: moderne Wärmedämmung, dreifach verglaste Fenster, Fotovoltaikanlage auf dem Dach, effizientes Belüftungssystem.

2010 las Barbara Richartz-Bausch, damals Logopädin in Kreuzberg, einen Zeitungsartikel über ein umweltfreundliches Passivhaus, geplant von zwei Berliner Architekten. Sie rief an und fragte, ob die beiden nicht noch so ein Haus bauen wollten – diesmal aber bitte eines, in das sie selbst einziehen könne. Über Annoncen fanden sich schnell weitere Interessenten, so dass ihre Baugruppe schließlich auf 21 Parteien anwuchs. Ökologisch bewusst seien sie alle, sagt Barbara Richartz-Bausch, doch das dürfe man sich nicht wie bei einer Hippie-Kommune aus den 70ern vorstellen. Einer der Bewohner besitze zum Beispiel gleich drei Autos! Die muss er allerdings in der Straße abstellen, auf dem Grundstück gibt’s keine Parkplätze, dafür jedoch eine rekordverdächtig lange Reihe von Metallstangen zum Fahrradabschließen.

85 Prozent der Abluftwärme bleibt erhalten

Auf dem Dach.
Auf dem Dach.

© Thilo Rückeis

Von einem Handtuchwärmer abgesehen haben die Wohnungen keine Heizkörper – die Wärme wird durch einen komplizierten Belüftungsmechanismus im Gebäude gehalten. Wer das verstehen will, muss einen Blick hinters Haus werfen. Dort stecken zwei mannshohe Metallzylinder im Boden. Durch den einen wird Frischluft angesaugt, durch den anderen die verbrauchte Luft aus dem Gebäude ausgestoßen. Weil die Rohre von den Zylindern zum Haus in 1,20 Meter Tiefe verlaufen, wird die Luft im Sommer unterirdisch gekühlt, im Winter erwärmt. Im Keller fließen beide Luftströme – bloß durch Aluminiumfolie getrennt – aneinander vorbei, dabei gehen 85 Prozent der Abluftwärme in die Zuluft über. Ergebnis: In den kalten Wintermonaten sind die Zimmer oben im Schnitt 18 Grad warm, das Treppenhaus ebenfalls – deshalb gibt es nur eine Haustür, und die sollte am besten geschlossen bleiben.

Das System bedeutet aber auch, dass im Winter nur kurzes Durchlüften gestattet ist. Wer sich nicht daran hält, treibt für alle Bewohner die Heizkosten nach oben. Auch deswegen war es so wichtig, vorab Mitstreiter zu finden, die annähernd dieselben Ziele verfolgen, sagt Christoffer Richartz. Gegen Ende der Planungen musste die Baugruppe zahlreichen Interessenten absagen, doch hier ist man sich sicher: Berlins erstem „Nullemissionshaus“ werden weitere folgen.

Es ist nicht so, dass dieses Gebäude gar keine Abgase produziert. Im Keller steht ein quadratischer Kasten, wer ihn öffnet, entdeckt einen Automotor darin. Dies ist ein Blockheizkraftwerk, das bei Bedarf zusätzliche Wärme liefert und auch das Wasser erhitzt. Weil es mit Erdgas betrieben wird, entsteht Kohlendioxid. Da aber zusammen mit der Fotovoltaikanlage oben auf dem Dach mehr produziert wird als für den Eigenbedarf nötig, und somit Strom ins öffentliche Netz eingespeist wird, sinkt der Emissionswert, jedenfalls rechnerisch, auf Null.

Weniger als 2500 Euro werden die Baugruppenmitglieder am Ende pro Quadratmeter bezahlt haben. Geringe Nebenkosten sind garantiert. Womöglich wollen die Bewohner in Zukunft aber noch weitergehen und gebrauchtes Badewasser sammeln, um es für die Toilettenspülung zu nutzen. Bis jetzt herrscht keine Einigkeit darüber, denn dafür müsste das Wasser zunächst durch einen Biofilter, und um den nicht zu zerstören, wären etwa chemische Haarfärbemittel fortan tabu. Da muss jeder Bewohner erst mal selbst abwägen, wie öko er ist.

Die Architekten: Das Berliner Büro Deimel Oelschläger Architekten gibt es seit 1999. Mitte der Nullerjahre begannen Christoph Deimel und Iris Oelschläger mit dem Entwerfen von Passivhäusern, also solchen Gebäuden, die dank moderner Wärmedämmung ohne klassische Heizung auskommen. Sie selbst bewohnen ein Passivhaus in der Schönholzer Straße. In diesem Herbst startet ihr „Newtonprojekt“ auf dem Campus Adlershof, hier entstehen 100 Wohnungen, bei denen der gesamte Wärme- und Strombedarf über solarthermische sowie fotovoltaische Solaranlagen gedeckt wird. Es werden noch Käufer gesucht. Ein weiteres Passivhaus soll in der Prenzlauer Allee gegenüber der Bötzow-Brauerei entstehen. www.deo-berlin.de

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