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Berlin: Nur Allah straft die Mörder

Die stämmige Frau mit dem weißen Kopftuch macht Platz. Ihr Ehemann kommt zur Tür und übernimmt das Gespräch.

Von Frank Jansen

Die stämmige Frau mit dem weißen Kopftuch macht Platz. Ihr Ehemann kommt zur Tür und übernimmt das Gespräch. "Unsere Gemeinde hat mit dem Mord nichts zu tun", sagt Necdet Erkovan und zuppelt bedächtig am weißgrauen Vollbart. "Yusuf wurde von auswärtigen Kräften umgebracht. Das war schlimm." Die Hand gleitet wieder durch den Bart. Erkovan gibt sich unerschütterlich. Wie er da in der Tür seiner Charlottenburger Wohnung steht, mit grauer Pluderhose und schwarzer Strickkappe auf dem Schädel, gibt der wuchtige Mann das Idealbild eines muslimischen Patriarchen ab. Doch der 52 Jahre alte Erkovan ist vermutlich kein harmlos frömmelnder Mensch. Die Polizei glaubt, der Türke sei in einen Mord verwickelt, der vor viereinhalb Jahren in Berlin geschah und bis heute nicht aufgeklärt werden konnte. Jetzt stehen die mutmaßlichen Hintermänner wieder im Rampenlicht.

8. Mai 1997, gegen 0.50 Uhr, ein Altbau in der Oudenarder Straße in Wedding. Drei Männer brechen die zweiflügelige Tür der Wohnung von Halil Ibrahim Sofu auf, genannt "Yusuf". Das maskierte Trio kennt offenbar den Weg durch den Flur zum Schlafzimmer. Im Ehebett liegt der 29-jährige Sofu, zwischen seiner Frau und der jüngsten Tochter. Die Eindringlinge ziehen ihre Handfeuerwaffen und drücken sofort ab. Drei Kugeln treffen den schlafenden Sofu im Gesicht, weitere sieben Geschosse den Körper. Der Medizinstudent ist auf der Stelle tot. Frau und Tochter bleiben unverletzt, darauf scheinen die professionell agierenden Täter geachtet zu haben. Nach den Schüssen verschwindet das Trio in der Nacht. Auftrag ausgeführt: Es gibt in Deutschland keine zwei Kalifen mehr, sondern nur noch einen - Metin Kaplan.

Der Name steht für eine Kombination von religiösem Fanatismus und krimineller Energie, wie sie die Bundesrepublik selten erlebt hat. Bis zum Vereinsverbot in der letzten Woche führte Kaplan die türkische Islamistenorganisation "Der Kalifatsstaat". Die zuletzt 1100 Anhänger - in Berlin etwa 50 - folgten Hassparolen, die der Fantasie eines Amokläufers entstammen könnten. "Kalif" Kaplan hetzte gegen die Demokratie, gegen Israel, die Juden - und einst auch gegen seinen Rivalen, Halil Ibrahim Sofu.

Der nicht minder fanatische "Gebietsjugendemir von Berlin" hatte es 1996 gewagt, sich im Verein zum Gegenkalifen aufzuschwingen. Kaplan tobte. Und belegte Sofu mit zwei "Fatwas", einer Art islamischen Richtersprüchen. Was Kaplan wollte, war eindeutig. Das Vereinsblatt "Ümmet-i-Mohammed" zitierte im Sommer 1996 aus einer Fatwa: "Was passiert mit einer Person, die sich, obwohl es einen Kalifen gibt, als einen zweiten Kalifen verkünden lässt? Dieser Mann wird zur Reuebekundung gebeten. Wenn er nicht Reue bekundet, dann wird er getötet." Kaplans Wille geschah.

Die Vorgehensweise des Vereins gegen Abtrünnige "stellt eine Gefährdung der inneren Sicherheit dar", skizzierte Innenminister Otto Schily einen der Gründe für das Verbot. Der Mord an Sofu war das spektakulärste, aber vermutlich nicht das einzige Kapitalverbrechen. Mitte März 1996 wurde in Salzgitter der 52-jährige türkische Bäcker Yilmaz Ayan erschossen, nachdem er sich vom "Kalifatsstaat" gelöst hatte. Drei Monate später starb in Düsseldorf Zübeyde Gökbulut. Auch die 24 Jahre alte Frau des Kaplan-Stellvertreters Hasan Gökbolut wollte aussteigen. Sie erhielt Besuch: Genickschuss. Danach wurde, wie in Salzgitter und später in Berlin, systematisch verdunkelt. Selbst bei Angehörigen der Opfer mühten sich Kripo und Staatsanwälte vergebens ab.

Ein Jahr fahndete in Berlin eine "Ermittlungsgruppe Kalif" nach Sofus Mördern. Das Ergebnis sei "frustrierend", sagt ein Experte: Keine Fingerabdrücke, keine Tatzeugen, keine Tatwaffe. Von den ermittelten drei Tatverdächtigen kamen zwei in Untersuchungshaft - und mussten aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen werden. "Vielleicht haben die Mörder ein Blutgeld an Sofus Familie gezahlt", sinniert ein anderer Fachmann, "jedenfalls zeigten auch die Angehörigen kein Interesse an Aufklärung." Emine Sofu lebte nach dem Mord noch eine Zeitlang unter falschem Namen in Berlin, dann verließ sie mit den Kindern die Stadt - wohin, ist nur zu vermuten. Dennoch geben die Sicherheitsbehörden nicht auf. "Ich bin Optimist", sagt der Experte, "ich gehe davon aus, dass doch mal einer quatscht".

Nur ein Teilerfolg war möglich: Im November 2000 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf Metin Kaplan zu vier Jahren Haft. Die Richter werteten die Todes-Fatwas gegen Sofu als öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Der auch angeklagte Hasan Gökbulut erhielt drei Jahre, tauchte aber während des Prozesses unter. Seit letzter Woche hoffen Polizei und Justiz auf eine neue und vermutlich letzte Chance, auch die Mörder finden und bestrafen zu können. Nach dem Verbot der Kaplan-Bewegung wurden bundesweit Moscheen und Wohnungen durchsucht. In dem beschlagnahmten Material könnten sich Hinweise auf die immer noch frei herumlaufenden Täter von Berlin, Salzgitter und Düsseldorf finden. Nun ist reichlich zu sichten.

Necdet Erkovan wird etwas ungemütlich. "Was fragen Sie mich nach den alten Geschichten", knurrt der Mann, der bis zum Verbot den Berliner "Kalifatsstaat"-Ableger führte. Warum sich die mutmaßlichen Mörder Sofus kurz vor der Tat bei Erkovan trafen, was dort besprochen wurde - keine Chance auf eine Antwort. Der Patriarch will sich auch nicht zu dem Material äußern, das die Polizei letzte Woche bei ihm beschlagnahmt hat - "was soll die Fragerei?"

Wedding, Jasmunder Straße. In einem kleinen Ladenlokal versammeln sich bärtige Männer zum Gebet. Die Moschee in dem Mietshaus ist der letzte Treffpunkt der ungefähr 20 übrig gebliebenen Sofu-Anhänger in Berlin. Über den dicken, grauen Teppichboden kommt ein Mann mit grünem Turban und langem schwarzen Umhang angelaufen. "Was wollen Sie hier?" Auf die Frage nach Sofus Tod kommt prompt "wir wissen nichts." Die anderen Männer blicken feindselig. Nein, keiner weiß, wo Sofus Familie lebt. Der Mann mit dem Turban hebt den rechten Arm: "Gehen Sie jetzt!"

Tural Türkeli gibt sich offen. Der "islamische Architekt" gehört angeblich keiner Gruppierung an, kennt allerdings die Berliner Fundamentalistenszene ziemlich gut - und präsentiert selbst gern fromme Inbrunst. "Der Islam ist Ausdruck der Unendlichkeit, der Gerechtigkeit und der Liebe", deklamiert der Mann mit dem schwarzen Vollbart. Alles, was die "Unendlichkeit" begrenzt, lehnt Türkeli ab - zum Beispiel den Parlamentarismus, Parteien und so weiter.

Sofu habe er gemocht, "Yusuf war selbstlos und sehr, sehr großzügig." Türkeli erinnert sich, wie er bewirtet wurde, "durch einen Vorhang gab seine Frau etwas den Gästen, ohne sich zu zeigen." Den Mord verurteilt Türkeli - und präsentiert Theorien wie sein Bekannter Necdet Erkovan. In Kaplans Verein könne er sich keine Mörder vorstellen, sagt Türkeli. "Von Metins Fatwas haben Geheimkräfte profitiert", der Moscheen-Architekt hebt langsam beide Hände, "um die Muslime gegeneinander auszuspielen".

Ein Mann, der über den Mord und seine Hintergründe einiges wissen könnte, scheint plötzlich verschwunden: Ömer Bingöl, Prediger der nach dem Verbot geschlossenen Muhacirin-Moschee der Kaplan-Anhänger in Kreuzberg. Auch Bingöls Wohnung in Neukölln wurde letzte Woche durchsucht, wenige Tage später ist er nicht anzutreffen. Ein ähnlich frommer türkischer Nachbar behauptet sogar, Bingöl habe die Wohnung schon vor mehreren Wochen verlassen. "Das ist typisch für die Ermittlungen in diesem Milieu", ein Sicherheitsexperte lächelt gequält, "man dringt nicht durch. Wir haben es mit Leuten zu tun, die einfach unser Rechtssystem nicht anerkennen."

Für Kaplans Statthalter Necdet Erkovan ist "die Sache mit Sofu abgeschlossen". Ohne Strafe für die Mörder? Erkovan streicht über seinen Bart. "Gerechtigkeit übt Allah."

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