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Berlin: Nur die Bademode hat sich geändert

Den Besuchern im neuen Zille-Museum erscheinen „Pinselheinrichs“ Milieustudien auch 73 Jahre nach seinem Tod noch aktuell

„Den echten Zille-Berliner? Klar gibt’s den noch!“, sagt Thomas Schwalbe bestimmt. Der 56-jährige Musikwissenschaftler zeigt auf die bunte Strandszene, die vor ihm an der Wand hängt. „Gehen Sie ins Strandbad Wannsee oder zum Müggelsee, da treffen Sie genau solche Typen und solche prallen Körper. Nur die Bademode hat sich geändert.“ Wie sehr die Milieustudien Heinrich Zilles die Menschen bis heute ansprechen, zeigte sich am Sonntag im Nikolaiviertel. Das neue Zille-Museum war erstmals für das Publikum zugänglich, und schon lange vor Kassenöffnung standen die Fans des Künstlers vor der Tür Schlange. Den ganzen Tag über waren die noch provisorischen Museumsräume gut gefüllt. Auch 73 Jahre nach seinem Tode trifft der Zeichner offenbar den Geschmack des Publikums. „Die Menschen identifizieren sich wieder stärker mit der damaligen Zeit“, vermutet Museumsdirektor Albrecht Pyritz (39). Die Zukunfts-Euphorie der Nachwendejahre sei abgeebbt, jetzt gebe es eine „Zeit der Rückbesinnung“.

Ein besonders überzeugter Vertreter der Rückbesinnung ist der Verkäufer Benno Radke. Der 40-Jährige, der hin und wieder als Altberliner Sänger auftritt, spaziert an diesem Sonntag stilecht mit 20er-Jahre-Knickerbocker und Schiebermütze durch die Ausstellung. „Ich bin ein Stück Zille“, sinniert er und erzählt dann in schwärmerischem Ton von der Kindheit im Wedding, von Hinterhauswohnungen ohne Warmwasser und mit Außenklo. „Erstaunlich, wie vertraut einem die Menschen scheinen“, sagt er und zeigt auf die Porträtzeichnung einer korpulenten Frau. „Genau so sah eine Nachbarin von mir aus.“ Zilles bis heute aktuelle Botschaft ist für Radke ein Lob der Bescheidenheit: „Er zeigt uns, dass man auch ohne viel Geld zufrieden sein kann, dass man eine Molle genauso genießen kann wie einen Cocktail.“

Vor allem die vielen älteren Besucher fühlten sich oft an ihre eigene Jugend erinnert. „Das haben wir früher auch gemacht“, sagt Rentnerin Helene Prohl und zeigt auf zwei graue, gebückte Reisig-Sammlerinnen. „Ich weiß, wie mühsam das ist.“ Für den Geschichtsstudenten Tobias Fölß sind die Bilder aus den Armenvierteln Berlins praktisches Anschauungsmaterial. „Zille hat das soziale Milieu der Vorkriegszeit so genau dargestellt, dass man einen guten Eindruck von jenen düsteren Zeiten bekommt“, sagt der 22-Jährige. Außerdem sei sein schwarzer Humor „einfach zeitlos“. Lars von Törne

Zille-Museum, Propststraße 8, geöffnet täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (48 Seiten) 12 Euro, Informationen: Tel. 2466 0226

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