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Berlin: Nur eine Nummer

Im Sozialamt Pankow fehlen bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter. Antragsteller stehen schon im Morgengrauen für die begrenzte Zahl von Wartenummen an

Der junge Mann kommt die Stufen im Sozialamt Pankow mit energischen Schritten hoch, bevor er vor dem Pförtnerhäuschen stehen bleibt. „Ich hätte gerne eine Nummer“, sagt er. Doch er kommt zu spät. „Tut mir Leid. Wir haben keine Nummern mehr“, sagt die Pförtnerin. Es ist Donnerstagnachmittag 13.30 Uhr. Um diese Zeit versucht bereits die zweite Schicht im Pförtnerhäuschen die Menschen in „Notfall“ und „kann wieder gehen“ einzuteilen. Die Sprechzeit beginnt eigentlich um 15 Uhr, aber es gibt seit neun Uhr morgens keine Wartenummern mehr für Neu-Antragsteller wie diesen jungen Mann. Er muss wieder gehen. Auch die Nummern für regelmäßige Besucher sind knapp. So verläuft zurzeit ein ganz normaler Tag im Sozialamt Pankow.

Seit Wochen fehlen, wie berichtet, bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter. Der geplante Umzug aus dem baufälligen Haus in das größere, zentrale Sozialamt mit mehr Mitarbeitern in der Friesenstraße in Prenzlauer Berg gestaltet sich schwierig. „Zum Teil liegt das daran, weil die Verlegung von Kabeln nicht klappt“, sagt Pankows Sozialstadtrat Johannes Lehmann (SPD.) Von den 27 Mitarbeitern sind mal acht, mal zehn, an diesem Donnerstag gar 15 im Dienst. Der Rest ist im Urlaub, hat frei oder ist krank. Zudem sind fünf Stellen unbesetzt. Viele Besucher werden täglich weggeschickt.

„Irgendwann standen überarbeitete Kollegen weinend vor mir“, sagt eine Gruppenleiterin. Deshalb würden seit einigen Wochen nur begrenzt Besucher angenommen. Für die, die einen neuen Antrag stellen, gibt es 40 Nummern, weil in der Erstantragsstelle an diesem Tag nur eine der drei Kräfte arbeitet. Für regelmäßige Besucher gibt es 13 Nummern pro Mitarbeiter, je nachdem, wie viele im Dienst sind. Zweimal in der Woche, Dienstags und Donnerstags, ist Sprechzeit. An beiden Tagen werden die Nummern bereits ab sechs Uhr vergeben. Die Mitarbeiter von der Putzkolonne haben den Pförtnerinnen erzählt, dass bereits früh um 4.45 Uhr die Ersten vor der Tür stehen.

„Ich sehe, dass die Nummernbegrenzung im Moment notwendig ist“, sagt Sozialstadtrat Lehmann. Das Hauptproblem sind aus seiner Sicht jedoch nicht die Urlaubszeit und der hohe Krankenstand, sondern die unbesetzten Stellen im Sozialamt. „Finden wir qualifizierte Mitarbeiter, lehnen sie ab“, beklagt Lehmann. Er vermutet als Grund die Zeitverträge, die neue Mitarbeiter bekommen. Von der Senatsverwaltung für Soziales fühlt er sich im Stich gelassen. „Der Stellenpool der Verwaltung ist eine einzige undurchsichtige Suppe“, sagt er. So lange ein Mitarbeiter sanktionsfrei eine Stelle ablehnen könne, werde sich an der Personalnot nichts ändern, meint er. Vor allem würden Fallmanager gebraucht. Seit etwa einem Jahr läuft in den Sozialämtern des Bezirks das Projekt „Modernes Sozialamt für professionelle Betreuung und ein besseres Klima“. So auch in dem Haus in Pankow. Mitarbeiter wurden dazu eigens zu Fallmanagern ausgebildet, die vor allem Sozialhilfeempfänger in Jobs vermitteln sollen. Doch funktioniert auch dieser Bereich im Moment nur eingeschränkt. „Wenn ich den Fall eines Kollegen bekomme, der nicht da ist, kann ich nur das Geld auszahlen“, sagt eine Fallmanagerin.

Ein Zettel an der Scheibe des Pförtnerhauses macht Besucher auf die Personalnot aufmerksam. Ein erfolgloser Geschäftsmann, der zum ersten Mal hier ist, schimpft: „Hören sie mal: Ich habe nur noch 50 Cent in der Tasche und weiß nicht, wovon ich leben soll.“ Die Pförtnerin schickt ihn zur Gruppenleiterin, die entscheiden soll, ob er ein Notfall ist oder noch „irgendwie die nächsten zwei Monate“ über die Runden kommen kann. „Wer wirklich in Not ist, geht nicht weg“, sagt die Pförtnerin hinterher.

Kurz nach 14.30 Uhr quillen die Flure des dreistöckigen, baufälligen Gebäudes über vor Menschen. Über den Köpfen der Wartenden löst sich der Putz von der Decke, auch außen sieht das Haus schäbig aus. Die Balkontüren sind notdürftig mit Brettern zugenagelt, weil die Balkone wegen Absturzgefahr abgerissen werden mussten. Für eine Sanierung hat der Bezirk kein Geld. Gegen 16 Uhr sind rund 30 Besucher abgewiesen worden. Die meisten werden wiederkommen, um zu warten.

Suzan Gülfirat

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