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Ein Spreewaldbauer hat Unterkünfte für Saisonarbeiter zu einem Flüchtlingscamp umgewandelt. Die Lebensverhältnisse werden kritisiert. Doch die Bewohner scheinen zufrieden zu sein.

© Sandra Daßler

Oberspreewald-Lausitz in Brandenburg: Umstrittenes Flüchtlingscamp in Vetschau

Ein Spreewaldbauer hat auf seinem Gelände ein Flüchtlingscamp eingerichtet. Helfer klagen über die Zustände. Wie sieht es dort aus? Ein Besuch in Vetschau.

„Was machst du, wenn plötzlich 20 Flüchtlinge auf deinem Gartenzaun sitzen?“ Gerhard Müller (Name geändert) lächelt und hebt vielsagend sein Smartphone hoch. Fluch und Segen zugleich seien die Dinger, sagt er – vor allem, seit die Asylsuchenden hier sind. Morgens um fünf, wenn aus unerfindlichen Gründen – vielleicht liege es ja an der Zeitverschiebung – mehrere Afghanen oder Iraner unter seinem Schlafzimmerfenster lautstark mit ihren Angehörigen zu Hause telefonieren, verfluche er die Technik. Ja, manchmal auch die Flüchtlinge.

Obwohl die eigentlich weniger Stress machen als befürchtet, sagt Müller. Er steht vor seiner Haustür, nicht weit entfernt vom Eingang zur Flüchtlingsunterkunft. Dort erklärt ein Wachschutzmann gerade sehr nett, doch konsequent einem 19-jährigen Afghanen oder besser gesagt dessen um einiges älteren Begleiterin: „Ich darf hier keine Fremden mehr reinlassen. Befehl vom Chef.“ Er grinst halb anzüglich, halb bedauernd: „Das müsst ihr künftig anderswo machen, vielleicht im Wald. Tut mir wirklich leid.“

18 Quadratmeter, Dixi-Klos und Duschcontainer

Der junge Afghane ist enttäuscht: „Bisher durfte ich Besuch mit ins Zimmer nehmen“, sagt er zu seiner deutschen Begleiterin: „Aber bald habe ich ja meine eigene Wohnung. Wie die da...“. Er zeigt auf drei Männer, die Teile eines Schrankes auf ihren Fahrrädern in Richtung Innenstadt bugsieren. Dort sieht Vetschau, nahe Cottbus gelegen und mit knapp 8.500 Einwohnern, tatsächlich wie eine Stadt aus. Ansonsten ist es hier fast überall ländlich. Vor allem in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft, die Asylsuchende nur „das Camp“ und Einheimische nur „das Lager“ nennen. Es besteht aus vielen 18 Quadratmeter großen massiven Wohneinheiten, die der Spreewaldbauer Karl-Heinz Ricken für Hunderte osteuropäische Saisonarbeiter in einer ehemaligen Garagenanlage bauen ließ. Innentoiletten gibt es nicht, vor den Türen stehen Dixi-Klos und Duschcontainer.

200 davon hat Ricken Anfang dieses Jahres als Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt. Damals war die Not groß und der Landkreis Oberspreewald-Lausitz dankbar. Immerhin boten die Räume so etwas wie eine Privatsphäre, waren allemal besser als Turnhallen oder Zelte.

Protest und Gegen-Protest

Sechs Monate später haben der Verein Opferperspektive und der Flüchtlingsrat heftige Vorwürfe im Namen der Asylsuchenden erhoben: Die Dixi-Klos seien besch... – im wahrsten Sinne des Wortes, das Essen ungenießbar und zu wenig, das Duschwasser nicht warm, die soziale und ärztliche Betreuung mangelhaft.

In einem öffentlichen „Brandbrief“ hat die Opferperspektive die Mängel beschrieben und außerdem von mindestens vier rechtsmotivierten Angriffen in Vetschau seit April 2016 und von häufigen rassistischen Beleidigungen und Anfeindungen durch Anwohner berichtet. Flüchtlinge seien außerdem grundlos aus Supermärkten gewiesen worden.

Nachdem Vertreter des Landkreises und Politiker unter anderem von der Linkspartei sich vor Ort umgesehen und die meisten Vorwürfe als unberechtigt zurückgewiesen hatten, gab es eine Demonstration. Nach Angaben der Opferperspektive beteiligten sich daran etwa 50 Flüchtlinge. Nach Angaben von Spreewaldbauer Ricken, der vom unteren Niederrhein stammt, waren es nur 25 bis 30.

160 Flüchtlinge, 23 Toiletten

„130 haben also nicht demonstriert“, sagt Ricken bedeutungsvoll und zählt auf, dass er für die 160 Flüchtlinge 23 Toiletten hat – zwar Dixiklos, aber mit fließendem Wasser ausgestattet. Er zeigt den Speiseraum, zu Mittag gebe es immer warme 800-Gramm-Portionen, zum Abendessen mehrere Sorten Wurst und Käse. Gemüse und Obst sowieso.

Für die soziale und gesundheitliche Betreuung sei das DRK zuständig, aber auch dessen Angestellte würden anständig arbeiten. Woher dann die Kritik? Aufgehetzt würden die Flüchtlinge, sagt Ricken. Es gebe jemanden, der einen privaten Feldzug gegen ihn führe. Dabei sei er selbst vor einigen Jahren von Rechten massiv angegriffen worden, weil er osteuropäische Saisonarbeiter beschäftigt. Die wohnen in den gleichen Wohneinheiten wie die Flüchtlinge: 400 Menschen aus Rumänien und Polen. Man erkenne sie daran, dass sie im Gegensatz zu den Asylsuchenden schäbige Kleidung und immer Gummistiefel trügen, erzählen Anwohner wie Müller. „Aber wir haben uns an sie gewöhnt, sie kommen seit vielen Jahren“, sagt er. Gerade wenn die Saison zu Ende gehe, steige die Zahl der Diebstähle: „Ob das tatsächlich die Erntehelfer sind oder Freunde von denen – keine Ahnung. Wenn einer von Rickens Leuten erwischt wird, schmeißt er den- oder diejenigen gleich raus. Hat er jedenfalls gesagt.“

Afghane wurde bei einer Messer-Attacke schwer verletzt

Die Arbeit der Erntehelfer ist schwer, das wissen die Einheimischen. „Die müssen echt schuften, während Flüchtlinge gar nicht arbeiten dürfen“, sagt eine Verkäuferin im nahe gelegenen Discounter. Dass Asylsuchende des Marktes verwiesen wurden, kann sie nicht bestätigen. „Natürlich wird manchmal geklaut. Aber das machen auch Erntehelfer oder Einheimische. Wir rufen immer die Polizei.“

Die Polizei kann die Klagen der Opferperspektive nicht nachvollziehen. „Von häufigen rassistischen Gewalttaten ist uns nichts bekannt“, sagt eine Sprecherin. Wenn es zu Einsätzen komme, dann meist, weil die Flüchtlinge untereinander stritten. Oft spiele Alkohol eine Rolle. Die einzige schwere Straftat geschah vor einigen Wochen, als ein Afghane mit einem Messer schwer verletzt wurde – von einem betrunkenen Landsmann.

Manchmal bekämen sich auch Saisonarbeiter und Flüchtlinge in die Haare, erzählen Anwohner. Die einen feiern bis weit in die Nacht, die anderen müssen früh raus und können nicht schlafen. „Das ist auch Konfliktpotenzial, wenn neue Arbeiter kommen oder welche abreisen“, sagt Bauer Ricken. Und findet, dass es doch eigentlich ganz gut läuft. Sehr glücklich wirkt er allerdings nicht.

"Das Problem ist, dass wir nichts zu tun haben."

„Man unterstellt hier jedem Unternehmer, dass er kein soziales Gewissen, kein Herz habe“, sagt er: „Aber wenn die eigene Familie selbst einmal geflüchtet ist, dann weiß man, was das heißt, und dann will man helfen.“ Wie viel er für die Flüchtlinge bekommt, möchte er nicht sagen. Reich werde man davon nicht. Schon der Sicherheitsdienst verschlinge viel Geld. Und das Essen schmecke allen, auch Einheimische kämen zum Mittag.

Über das Essen klagt keiner der Flüchtlinge, über die Essenszeiten schon eher. Morgens sehr früh, mittags sehr spät, aber doch zu früh für jene, die erst um 2 oder 3 Uhr mit dem Zug vom Deutschkurs aus Cottbus zurückkommen. „Es ist hier nicht so schlecht“, sagt ein junger Mann aus Somalia: „Es gibt nette und weniger nette Betreuer, und wir können ohne Angst in die Supermärkte gehen. Das Problem ist, dass wir nichts zu tun haben. Und hier absolut nichts los ist.“

Flüchtlinge sähen aus wie aus dem Ei gepellt

Deshalb möchten viele Flüchtlinge nach Berlin. Oder wenigstens nach Cottbus. Oft laufen sie zum nahen Bahnhof, vor allem die jungen Flüchtlinge sähen aus wie aus dem Ei gepellt, sagt eine Vetschauerin. „Mit neuen weißen Turnschuhen, das weckt natürlich den Futter- und Sozialneid. Die Gegend hier ist ja nicht gerade mit Wohlstand gesegnet.“ Wer es dennoch zu etwas Wohlstand gebracht hat, sei erst recht ängstlich, sagt die Frau, dann werde schnell verallgemeinert: „Die Saisonarbeiter klauen, die Flüchtlinge plündern die deutschen Sozialsysteme.“

Frauen haben Fahrrad fahren gelernt

Die Berichte über die Toiletten seien deshalb bei den Bürgern schlecht angekommen. „Das ist doch Wasser auf die Mühlen der AfD“, meint die Vetschauerin. Gerhard Müller stimmt ihr zu: „Da fragt sich doch jeder, ob die ihren Dreck nicht alleine wegmachen können.“ Und er erzählt endlich die Geschichte von den 20 Flüchtlingen auf dem Gartenzaun zu Ende: Das seien alles Männer gewesen, die zugeschaut haben, wie ihre Frauen Fahrrad fahren lernten. Er habe freundlich sein wollen und die Übersetzungsfunktion seines Smartphones genutzt. „Gehen Sie bitte von meinem Zaun herunter, er bricht sonst zusammen“, hat er eingegeben. Das Handy hat dann etwas auf Arabisch zu den Flüchtlingen gesagt. Und die seien flugs vom Zaun gestiegen. Hätten sich sogar entschuldigt. Und alle grüßen ihn jetzt. Meist grüßt er zurück.

Sandra Daßler

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