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Senioren in Aufruhr. Der Ruhm der Aktivisten aus der Stillen Straße in Pankow ist bereits bis Großbritannien und Iran gedrungen. An diesem Nachmittag gibt es gerade polnischen Solidaritätsbesuch und ein Musiker einer Kreuzberger Initiative schaut ebenfalls aus diesem Grund vorbei.Foto: Björn Kietzmann

© Björn Kietzmann

"Occupy-Omas": Besetztes Klubhaus für Senioren als Hort des Widerstandes

Die Besetzer der Seniorenfreizeitstätte in Pankow kämpfen für ein Ziel, die Stadtnomaden auf einer Brache in Kreuzberg eher nicht. Der hartnäckige Protest zeigt langsam Wirkung.

Besetzungen laufen immer irgendwo, gerade ist die Cuvrybrache in Kreuzberg dran. Spontane Landnahmen gehören zur lokalen Folklore, sind ein Stück Berliner Protestkultur. Doch dem anarchischen Biotop droht die Auszehrung. Die Besetzer sind in die Jahre gekommen, wirken schlaff und kraftlos. Im Winter spürte man das schon, als das Occupy-Camp im Regierungsviertel widerstandslos von der Polizei geräumt wurde. Vor kurzem gab das Tacheles auf, die angedrohte Guggenheim-Lab-Besetzung fand gar nicht erst statt. Am Kottbusser Tor, angeblich von Gentrifizierungsopfern dauerbesetzt, baumelt nur ein einsames Transparent am Eisenviadukt der U-Bahn.

Doch fernab der bekannten Subkulturreviere, im Pankower Villenviertel Niederschönhausen, erhält die lahmende Besetzerszene eine unerwartete Auffrischung. Ein Gruppe dynamischer Rentnerinnen, politisch bislang unauffällig, hat ihr Seniorenfreizeitzentrum okkupiert. Der Bezirk wollte die Freizeitstätte schließen, die Bridge- und Rommé- und Sportgruppen auf andere Häuser verteilen und das sanierungsbedürftige Gebäude verkaufen. Eine Sparmaßnahme wegen des klammen Haushalts. Die 300 Nutzer, viele davon alleinstehend, seit 14 Jahren eine gute Gemeinschaft, waren schockiert, dass man so über ihre Köpfe hinweg entscheiden würde. Sie legten ihr Veto ein, protestierten vor dem Rathaus, in der BVV, doch „überall wurden wir abgewiesen“, sagt Brigitte Klotsche, Vizechefin des Beirats. Eines Abends saßen die Damen beisammen und beratschlagten die nächsten Schritte.

Das Occupy-Camp in Berlin ist Geschichte:

Da wurde die Idee mit der Besetzung geboren, „ganz spontan, ohne viel Nachdenken“, sagt die 73-jährige ehemalige Kitaleiterin, jetzt für die Pressearbeit zuständig. Seit Beginn der Besetzung ist eine riesige Welle an Aufmerksamkeit und Anerkennung über sie hinweggerollt. Gregor Gysi von den Linken kam vorbei, die Schauspielerin Jasmin Tabatabai machte eine Soli-Lesung. Das iranische Fernsehen war schon da, der britische „Guardian“ hat über sie geschrieben, im „Solidaritätsbuch“ gibt es Einträge auf Chinesisch, Französisch und Russisch. Ein besetztes Klubhaus für Senioren als Hort des Widerstandes gegen den Staat, das gibt es offenbar nur in Berlin.

Video: Mieterprotest am Kotti

"Cool, Oma"

Fünf Frauen und ein Mann gehören zum harten Kern der Besetzer, sie schlafen im Schachzimmer, im Bridgezimmer oder im Klubraum. Morgens wird gemeinsam gefrühstückt, dann kommen die ersten Besucher und werden durchs Haus geführt, Petitionen sind abzustimmen, Nachbarn und Sympathisanten bringen Essen vorbei. Gerade hat es sich der Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, in der Küche gemütlich gemacht. Er hat frisches Gemüse mitgebracht und bespricht die weitere Aktionsstrategie – „an den Czaja müssen wir ran“, den CDU-Sozialsenator. Die Linken haben in der BVV als einzige Partei gegen die Schließung des Hauses gestimmt. Der hartnäckige Protest zeigt langsam Wirkung. Der Pankower Grünen-Abgeordnete Andreas Otto schlägt vor, das Haus an einen freien Träger abzugeben und für die Sanierung Geld zu sammeln.

Anfangs habe sie noch schlecht geschlafen, erzählt Margret Pollak, 67, und rollt vergnügt ihre großen Augen. Immerhin ist es ihre erste Besetzung. Die ehemalige OP-Schwester fürchtete, die Polizei würde nachts an die Tür klopfen, aber nach 27 Besetzungstagen ist klar, dass eine Räumung für das Bezirksamt einem PR-Gau gleichkäme.

Video: Rentnerprotest in Pankow

Das weltweite Interesse hat das Selbstvertrauen und den Durchhaltewillen der Seniorinnen beflügelt. Auf den Transparenten an der Stillen Straße sind die Protestnoten auf Deutsch und Englisch zu lesen, dazu der auch in Kreuzberg verbreitete Slogan: „Wir bleiben alle“. Ehemalige Hausbesetzer hätten sie schon besucht, erzählt Brigitte Klotsche, „die sind ja jetzt auch Rentner“. Dass das Haus offen ist für jeden, der kurz mal Hallo sagen möchte, fanden die Alt-Autonomen bedenklich. Früher verrammelte man lieber den Eingang und warf Steine vom Dach.

„Wir machen hier ja nix kaputt.“ Ingrid Pilz, 76, eine kleine zierliche Frau, dezent geschminkt, kümmert sich ums Kochen. Es laufe alles sehr harmonisch, sagen die Damen, am Abendbrottisch wird der nächste Tag besprochen „und viel gelacht“, viel mehr als sonst. Das plötzliche Berühmtsein nach einem langen Leben in der Normalität ist schließlich aufregend. Von ihrem Enkel bekam Frau Pilz schon ein dickes Lob für ihre Renitenz: „Cool, Oma“.

Ein paar Kilometer weiter südlich, in Kreuzberg, im Camp der besetzten Cuvrybrache, ist unterdessen das für 18 Uhr anberaumte Plenum ausgefallen. Vorne an der Spreemauer lassen Studenten den Tag ausklingen und beobachten die Party-Schickeria, die auf Schlauchbooten und Flößen über die Spree kurvt. Zwei Männer hocken an der Feuerstelle am „Räuber-Lab“, einem Strandbarprovisorium aus Sperrmüll, schweigen, rauchen und trinken Bier. Eine Frau in Pluderhose und Sonnenhut schimpft auf die „Alkis“, weil sie ihren Rucksack nicht wiederfindet, den sie vor zehn Tagen auf der Brache zurückgelassen hatte. Es wird geklaut hier, nachts kommen Junkies „und machen Stress“, erzählt Jerry. Mehrfach habe er die Polizei gerufen. Anwohner sind vom nächtlichen Lärm genervt, doch wer sich beschwert, wird als „intolerant“ abgestempelt.

"Freiraum für Austausch, Kollektivität, Selbstorganisation, Stadtplanung"

Jerry ist ein hagerer, braun gebrannter Ex-Straßenmusiker mit einer Vorliebe für Jever-Pils und Zigarillos. Er sei hier der „Häuptling des Tipi-Feuers“. Bis zur Trennung hat er bei seiner Freundin in Treptow gewohnt. Jetzt wohnt er eben hier, als „Nomade“. Politische Statements sind ihm absolut nicht zu entlocken.

Mitten auf dem verwilderten Platz residiert Ingrid, Mutter zweier erwachsener Töchter. Sie „verarztet Neuankömmlinge“, kocht „Hühnersuppe zur Wiederherstellung des Humors“ und tritt ansonsten für „Liebe, Freiheit und Frieden ein“. Mit den anderen, den Trinkern und Drogenabhängigen, möchte sie nichts zu tun haben.

Die Brache ist ein verwilderter Campingplatz, offen für alles und jeden, ein Refugium der Gestrandeten. „Hier entsteht Freiraum für Austausch, Kollektivität, Selbstorganisation, Stadtplanung“, verspricht das Transparent am Bauzaun, doch eingelöst ist davon nichts. Der Eigentümer habe die Räumung des Geländes angekündigt, sagen die Besetzer, auch das blieb erst mal folgenlos. Eigentlich sollte das Guggenheim Lab auf der Brache Station machen, doch Kreuzberger Aktivisten hatten die Macher mit der Androhung verschreckt, das Gelände zu besetzen und die Lab-Programme zu stören.

Die Geschichte wiederholt sich als Farce. Was mal eine widerspenstige Berliner Hausbesetzerszene war, taugt heute allenfalls noch als Fotokulisse für Touristen. Es sieht so aus, als gehöre die Zukunft den Aktivistinnen aus Pankow. Senioren-Delegationen aus Lichtenberg und Wedding waren schon da, um zu lernen, wie das funktioniert, so eine Freizeitstättenbesetzung. Mit Nachahmern in anderen Bezirken ist also zu rechnen. Wird ja überall so viel geschlossen und gekürzt.

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