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Berlin: Öde statt Handelszentrum - nun will auch Bechstein wegziehen

Mitten auf dem Moritzplatz lenkt ein SPD-Plakat die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf sich: Lächelnde, barfüßige Menschen sonnen sich in gestreiften Liegestühlen auf grünem Rasen, umgeben von Wohnblöcken und Bäumen. Ein Fußball liegt neben ihnen.

Mitten auf dem Moritzplatz lenkt ein SPD-Plakat die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf sich: Lächelnde, barfüßige Menschen sonnen sich in gestreiften Liegestühlen auf grünem Rasen, umgeben von Wohnblöcken und Bäumen. Ein Fußball liegt neben ihnen. Die Botschaft lautet: "Ihr Platz ist uns genauso wichtig wie der Potsdamer Platz." Der Moritzplatz kann es nicht sein.

Verdorrtes Gestrüpp in der Mitte des Rondells, das täglich von Tausenden Autos umkurvt wird. Statt Blumenbeet steht hier ein Hinweisschild für die U-Bahnlinie 8, die mit acht Ausgängen den Platz dominiert. Und deren Tunnel stellen auch die einzige gefahrlose Möglichkeit dar, von der einen auf die andere Straßenseite zu gelangen, denn Ampeln gibt es nicht. Schulkinder steigen aus dem Bus, rennen direkt vor den sich in den Kreisverkehr einfädelnden Autos über die Prinzenstraße, die Fahrer schütteln entgeistert den Kopf, hupen. An der Nordwestseite, zwischen Prinzen- und Prinzessinnenstraße, liegt das "Schlüsselgrundstück" des Platzes: rund 5500 Quadratmeter verödete Fläche. Jahrzehntelang hatte die 1912 eröffnete fünfgeschossige Wertheim-Filiale an dieser Stelle den Platz geprägt. Sonnabends und sonntags findet jetzt ein Trödelmarkt statt, in der Woche bieten die leer geräumten, staubigen Tapeziertische einen trostlosen Eindruck. Anfang der neunziger Jahre sollte hier einmal das "Europäische Handelszentrum" entstehen: ein achtgeschossiges Bürohaus, mit mehr als 20000 Quadratmetern Fläche. Firmen aus Ost und West sollten hier ihre Handelsrepräsentanz aufbauen, den durch den Mauerbau verödeten Platz beleben.

Für die damalige Zeit wegweisend war das ökologische Baukonzept mit Solartechnik, Teichoase, begrünten Dächern und wärmedämmenden Maßnahmen. Nichts davon wurde je umgesetzt. "Wir vermuten, der Investor hatte sich mit dem Projekt schlichtweg übernommen", sagt der Kreuzberger Baustadtrat Mathias Stefke (CDU). Die Zinsen für den Erbbaurechtsvertrag wurden nicht gezahlt, der Bezirk bemühte sich, das Grundstück wieder zurück zu erhalten. Die Gerichtsstreitigkeiten werden sich noch mindestens bis zum kommenden Frühjahr hinziehen. Danach könne der Bezirk, so Stefke, hoffentlich wieder darüber verfügen. Dennoch sei es schwierig, Unternehmer und Investoren für die Gegend zu begeistern, und zwar wegen der Lage. "Es gibt zwar einen direkten Bezug zu Mitte, aber der Platz liegt auch am Eingang zu SO 36, das ist nicht ganz einfach zu vermitteln." Von einem langsamen "Verfall" des Platzes will man im Bezirksamt nichts wissen. Doch der am Moritzplatz ansässige Pianohersteller Bechstein wird im November mit seinen Schau- und Verkaufsräumen in die Kantstraße nach Charlottenburg umziehen, nur die Werkstatt und ein kleiner Laden bleiben hier. "Dieser Platz ist einfach nicht einladend genug für unsere Kunden, viel ist uns versprochen worden, was sich alles ändern soll, aber hier glaubt man an fast gar nichts mehr", zieht Christian May vom Unternehmensvorstand Bilanz. Für ihn wird der Platz "sein Mauerblümchen-Dasein bestimmt noch lange behalten". Für Läden ist es schwer, an Kunden zu kommen. Zu kämpfen hat auch Knut Hipp vom Babyfachgeschäft auf der Ostseite. "Zu wenig Parkplätze, zu wenig Laufkundschaft, das ist eine Katastrophe hier."

Die Gewerbetreibenden sind unzufrieden, doch für die Anwohner hat der Moritzplatz auch positive Seiten. Die Rentnerin Annemarie Rehse urteilt: "Immerhin, hier gibt es viele Geschäfte zum Einkaufen, und die Verkehrsanbindung ist auch gut."

Ulrike Groppe

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