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Es geht doch! Hier zumindest. Doch nicht überall in der Stadt gibt es eine derartige Infrastruktur wie hier in Mitte.

© dpa

Öffentliche Toiletten in Berlin: Lasst mich müssen können!

Die Silvesterparty ist vorbei, die portablen Toiletten rund um das Brandenburger Tor sind abtransportiert. Zurück bleibt eine Stadt, die Bewohnern und Gästen im öffentlichen Raum kaum Möglichkeiten bietet, mal schnell auszutreten. Es ist Zeit für eine neue Kultur urinaler Gastlichkeit!

Die Natur rief an diesem Dezembermorgen auf dem Britzer Damm, sie rief heftig und laut und plötzlich. Sie musste das wohl tun, nachdem ein am Abend zuvor mit einer großen Menge Bier erarbeiteter Kater nach dem Aufstehen mit einer großen Menge Wasser neutralisiert und das Gemisch hernach acht Kilometer auf dem Fahrrad durch die Gegend geschaukelt worden war. Kurzum: Es wurde, Kilometer vor dem Ziel, gemusst – und zwar dringend!

Was macht der zivilisierte Stadtbewohner da? Einfach dem nächstgelegenen Gebrauchtwagenhandel ans Flatterband pieseln? I wo! Den örtlichen Einzelhandel behelligen? Da muss die Not schon sehr groß sein, um sich im Moment des Überlaufens auf „Kundentoilette hamwa nich“-Gespräche mit Drogeriekettenfachangestellten einzulassen. Mit letzter Kraft wurde also das Smartphone gezückt und „City-Toilette Berlin“ eingegeben. Die Enttäuschung über das Ergebnis überwog dann kurzzeitig sogar den Harndrang: Dass das offizielle Stadtportal berlin.de einen Notbedürftigen aus der Ortsmitte 700 Meter weit zu einer U-Bahn-Station am äußerem Rand von Britz leitet, ist selbst auf dem Rad herausfordernd!

Daran war zu denken, als die Gespräche in der Silvesternacht in diesem Jahr einmal nicht nur um die enthemmt böllernden Jugendlichen vor dem Haus kreisten, sondern auch um jene wachsende und um Neujahr herum besonders augenfällige Zahl an Partytouristen aus aller Welt und ihren oft unkontrollierten Harndrang. „Da kann man den kompletten Tiergarten mit Dixiklos zustellen“, hieß es vonseiten einiger eher zweifelhafter Partygäste, „der Brite pinkelt auf seinen Reisen ja doch überallhin“. Dem war nun aber vehement zu widersprechen: Denn erstens gibt es „den Briten“ genauso wenig wie „den Deutschen“. „Und zweitens ist doch gerade Großbritannien ein Hort des Friedens und der Freude für Harndranggeplagte!“

Denn auch daran ist zu denken: Besucht man beispielsweise „den Briten“ auf seiner eigenen Insel, ist man begeistert von den Möglichkeiten, loszuwerden, was beizeiten loszuwerden ist. London ist bis in die Randbezirke ein Mekka gut ausgeschilderter Urinale. Und auch auf dem abgelegensten Wanderparkplatz in Cornwall gibt es – nicht immer, aber doch oft – ein Herzhäuschen, gerne auch in akzeptablem hygienischen Zustand!

Museen, Kneipen, Kaufhäuser müssen ihre Toiletten offensiv anpreisen!

Es geht doch! Hier zumindest. Doch nicht überall in der Stadt gibt es eine derartige Infrastruktur wie hier in Mitte.
Es geht doch! Hier zumindest. Doch nicht überall in der Stadt gibt es eine derartige Infrastruktur wie hier in Mitte.

© dpa

Deutschland braucht eine neue Kultur urinaler Gastlichkeit – und Berlin, internationaler Schmelztiegel mit viel Harndrang im öffentlichen Raum, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Der flächendeckenden Ausstattung mit frei zugänglichen Toiletten muss bei der Stadtentwicklung besonderes Augenmerk gelten. Denn sicher braucht es auch mehr und bessere Fahrradwege und im Winter ein wirkungsvolleres Vorgehen gegen Schnee- und Eisglätte, sicher braucht es auch, irgendwann, einen funktionierenden Flughafen BER. Aber nichts schmückt eine Stadt so wie ein solides Netz von Bedürfnisanstalten. Nicht zuletzt ihre Gäste aus aller Welt erfahren hier unaussprechlichen Komfort in einem Moment, in dem sie besonders dankbar dafür sind!

Dabei steht mitnichten nur die öffentliche Hand in der Pflicht. Schon rufen die Kolleginnen durchs Büro, dass eine flächendeckendere Ausstattung der Stadt mit City-Toiletten ohnehin keine Lösung sei, „weil wir uns da eh nicht allein drauftrauen“. Die Palette der Möglichkeiten kann und muss viel breiter sein: Anreize müssen geschaffen werden, damit Museen, Kneipiers und Kaufhäuser ihre Toiletten zur Verfügung stellen und das auch offensiv – mit mehrsprachigen Schildern an der nächsten Straßenecke – bewerben.

Vielleicht reicht es schon, etwa in einer Plakatkampagne, die positiven Nebeneffekte derartiger Gastlichkeit herauszustreichen. Denn es ist ja schließlich so: Wer pinkeln lässt, gewinnt Freunde und vielleicht sogar Kunden fürs Leben. Beim nächsten Ausflug nach Britz wird etwa das „Britzer Stübchen“, an jenem besagten Morgen Retter in allerhöchster Not, um ein paar verkaufte Biere reicher. An dem Tag selbst war daran leider nicht zu denken. Doch anders als beim Pinkeln gibt es ja Geschäfte, in denen sich die positiven Effekte erst nach einem längeren Zeitraum einstellen.

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