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Berlin: Ökomärkte: Biochampagner und Computerkasse

Ungeheuerliches ging offenbar vor, in den vergangenen Wochen in der Schönhauser Allee 10 bis 11 in Prenzlauer Berg. Hinter großen, zuletzt bis in die tiefe Nacht hinein erhellten Fensterscheiben herrschte emsiges Werkeln, Wimmeln und Räumen, immer wieder neugierig beäugt von Passanten und Kneipenpublikum.

Ungeheuerliches ging offenbar vor, in den vergangenen Wochen in der Schönhauser Allee 10 bis 11 in Prenzlauer Berg. Hinter großen, zuletzt bis in die tiefe Nacht hinein erhellten Fensterscheiben herrschte emsiges Werkeln, Wimmeln und Räumen, immer wieder neugierig beäugt von Passanten und Kneipenpublikum. Zu erkennen waren vor allem jede Menge Holz, Regale, Kisten, Dosen, Flaschen und dergleichen. Doch was da wuchs, hätten weite Teile der Jugendszene von einst, Ökopaxe, Körnerfreaks und Kressegärtner schier für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten: ein Biosupermarkt mit Strichcodekasse und Vollsortiment, vom Recycling-Klopapier übers vollökologische Wangen-Rouge bis zur rückstandsfreien Rübentorte. Notfalls per Minutenshopping, ohne langwieriges Tante-Emma-Gebaren, sollen hier künftig vor allem die Schicken und Schnellen der neuen Bevölkerungsschichten in Prenzlauer Berg den täglichen Bedarf decken. Heute ist Eröffnung.

Die Synthese aus Müslidomäne, Lifestyle-Schick und Computerkasse auf rund 300 Quadratmetern ist die Idee der beiden Gründer Ullrich Unbekannt und Stefan Buschek. Nicht Niedrigpreisgeschäft mit ökologischem Feigenblatt wollen sie sein, sondern der Ökofrischemarkt, in dem sich der Student von nebenan versorgen kann, der ernährungsbewusste Jungunternehmer den teuren Biochampagner aber nicht missen muss. Und "Frische, Frische, Frische" wollen sie bieten, betonen sie immer wieder. Ein Lager gibt es nicht. Bestellt wird täglich.

Die Betonung des eigenen Profils ist überlebenswichtig. Der reine Ökosupermarkt für den sparsamen Lebenskünstler - diese Karte sticht nicht mehr. Schon vor zwei Jahren hat einige Kilometer weiter, in der Schönhauser Allee 65, die Bio Company einen doppelt sogroßen Supermarkt mit reinem Ökoangebot eröffnet. Die Devise: gute Ware ohne hohe Investitionen in Einrichtung und Ausrüstung. Ein Erfolg, wie der Sprecher der mittlerweile vier Filialen, Robert Erler, versichert. Vorsichtig geschätzt, liegen die Gewinnzuwächse bei 10 bis 15 Prozent, mit einzelnen Spitzen beim Ökofleisch von über 200 Prozent. Dem BSE-bedingten Aufschwung der Biobranche wollen aber weder die Company noch die beiden Neugründer ihre Erfolge verdanken. Sie haben schon über zwei Jahre Erfahrung mit ihrem Bioladen in der Hufelandstraße sammeln können. Zuwächse hatten sie auch dort schon, bevor die BSE-Krise den Großhändlern Lieferschwierigkeiten bereitete. "Derzeit steigen die Preise, weil vielen Züchtern die Ställe leergekauft wurden", sagt Unbekannt.

Doch auf lange Sicht wird es zum Erfolg mehr brauchen als die Angst vor Rinderwahn. Auch das weiß der studierte Ökonom, der nach dem Mauerfall mit einem Versandhandel für Ökoprodukte begonnen hat, "weil man ja nach all dem irgend etwas machen musste, womit man sich noch identifizieren konnte". Nach all den Jahren gibt er sich nun reichlich illusionslos. Die weltanschaulich aufgeladene Atmosphäre der frühen Körnerstuben war ihm schon im alten Geschäft nicht recht. Im schicken Frischemarkt in Prenzlauer Berg soll nun möglichst gar nichts mehr an ideologische Ballaststoffe erinnern.

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Ole Töns

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