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Berlin: ÖTV-Streik: Bereits am ersten Tag standen Busse und Bahnen still - Rückblick auf den Streik im Jahr 1992

Der Auftakt war so stark wie die Forderung. 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt statt der von den Arbeitgebern angebotenen 4,8 Prozent hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Streikjahr 1992 auf ihre Plakate geschrieben, und dafür begann der Arbeitskampf auch mit einem Paukenschlag.

Der Auftakt war so stark wie die Forderung. 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt statt der von den Arbeitgebern angebotenen 4,8 Prozent hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Streikjahr 1992 auf ihre Plakate geschrieben, und dafür begann der Arbeitskampf auch mit einem Paukenschlag. Am ersten Streiktag schon, dem 27. April, ließ die ÖTV den öffentlichen Nahverkehr ruhen: Busse, U- und S-Bahnen standen still und Zehntausende von Berufspendlern im Stau. Selten sah man auf den Straßen so viele Fahrradfahrer. Nach dieser kräftigen Ouvertüre begnügten sich die Gewerkschaften in den nächsten Tagen eher mit Nadelstichen gegen die Arbeitgeber, bevor es in die heiße Phase eines Flächenstreiks gehen sollte.

Der damalige Berliner ÖTV-Vorsitzende Kurt Lange erklärte damals, man wolle zunächst die Belästigungen für die Bürger gering halten, aber den Arbeitgebern deutlich machen, "dass sich die Beschäftigten nicht dem Lohndiktat beugen werden". Gut anderthalb Wochen sollte der gesamte Arbeitskampf dauern, der wegen des unterschiedlichen Tarifgefüges offiziell auf den Westteil der Stadt beschränkt war. Aber Gewerkschafter sind solidarisch: Und so entschlossen sich mittendrin beispielsweise ganz "spontan" die Ost-Beschäftigten der Verkehrsbetriebe zu einem 24-stündigen Sympathiestreik. Gut anderthalb Monate später probten die Ost-BVGler dann noch einmal den Ausstand - diesmal im eigenen Interesse, für eine schnellere Ost-West-Angleichung.

Nach einer Woche zogen die Gewerkschaften alle Register: Bestreikt wurden die BVG, die Stadtreinigung, Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Bewag und Gasag. Auch die Post war betroffen; im zentralen Briefverteilamt an der Möckernstraße stapelten sich die Briefe. Ein besonders wirkungsvolles Mittel - minimaler Einsatz mit maximalen Auswirkungen - hatte die ÖTV auf den innerstädtischen Flughäfen eingesetzt: In Tegel und Tempelhof traten die Mitarbeiter der Flughafenfeuerwehr in den Ausstand. Folglich hoben von dort keine Flugzeuge ab, dafür gab es am Himmel über Schönefeld ein Verkehrsaufkommen wie nie zuvor. Die Stadt regierte auf die doch erheblichen Einschränkungen bei den öffentlichen Dienstleistungen weitgehend gelassen. "Das totale, allumfassende Chaos haben wir auch gestern wieder nicht entdecken können. Irgenwie sind alle irgendwann angekommen oder gleich zu Hause geblieben, die müllgierigen Ratten halten sich vorerst bedeckt in ihren Winterquartieren", konstatierte der Kommentator des Tagesspiegels.

Was so kraftvoll begonnen hatte, endete am Abend des elften Tages mit einer Einigung zwischen den Tarifparteien, die zu Misstönen in den Gewerkschaften führte. Bei der Urabstimmung über ein Streikende versagte die Basis ihrer Führung das entsprechende Votum. Nur 44 statt der notwendigen 50 Prozent sprachen sich dafür aus. Zu Ende war der Streik trotzdem. Den 9,8 Prozent war man nicht viel näher gekommen: 5,4 Prozent wurden erreicht.

sik

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