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Schwarzfahrer: Ohne Ticket zum Drogendealer

Vor dem Amtsgericht Tiergarten müssen sich täglich Schwarzfahrer verantworten. Fast alle sind Hartz-IV-Empfänger und geständig. Auf der Skala krimineller Handlungen rangiert das Vergehen ganz weit unten.

Wohin er denn immer so schwarzgefahren sei, will die Richterin wissen. „Zum Arzt“, sagt Eugen E. und nuschelt noch ein paar unverständliche Worte. „Auch zu ihrem Dealer?“ Der Angeklagte rafft sich zu einem klaren Bekenntnis auf. „Warum sollte ich lügen, natürlich, ja.“ Der 32-jährige Eugen E. ist heroinabhängig, arbeitslos und hat ein längeres Vorstrafenregister. Die zehn Schwarzfahrten, für die er vor dem Amtsgericht Tiergarten steht, fallen da nicht weiter ins Gewicht. Die Richterin verhängt eine Geldstrafe über 3600 Euro, abzuzahlen in kleinen Raten. Nach einer halben Stunde ist die Hauptverhandlung beendet.

Schwarzfahrer gehören zur täglichen Arbeitsroutine für die Amtsjustiz. Auf der Skala krimineller Handlungen rangiert das „Erschleichen von Fahrleistungen“ ganz weit unten. Erst wer drei- oder viermal erwischt wurde, muss mit einer Anzeige und Geldstrafe rechnen. Eugen E. aus dem Wedding wurde schon mehrfach wegen Schwarzfahrens verurteilt. Deshalb fällt seine Geldstrafe relativ hoch aus. Theoretisch könnte er auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden.

Auf einen Verteidiger hat Eugen E. verzichtet. Nur eine Dolmetscherin ist mitgekommen, weil er aus Kasachstan stammt. Wie die meisten Schwarzfahrer ist E. voll geständig und akzeptiert das Urteil, auch wenn er kaum in der Lage sein wird, die Strafe abzubezahlen. Gegenwärtig arbeite er in einer Fahrradwerkstatt, als Ein-Euro-Jobber, und mache nebenher eine Therapie. Seit zwei Monaten besitze er eine Monatskarte, nur leider hat er sie zum Bedauern des Gerichts nicht mitgebracht.

Die Richterin ist nach der Verhandlung bester Laune. Ein kleiner schneller Schwarzfahrerprozess passe als „kleene Auflockerung“ gut zwischen die zähen Verfahren um Körperverletzungen oder Bandendiebstähle. Keine Zeugen, keine Gutachter, keine Verschleppungstaktiken der Verteidigung. Nach dem Geständnis des Angeklagten folgen ein kurzes Plädoyer der Staatsanwaltschaft und schließlich das Urteil. Ein Schnellverfahren wie aus dem Lehrbuch.

Nur der Angeklagte muss erscheinen, sonst platzt die Sache. Steffen M. zieht es vor, seiner Hauptverhandlung fernzubleiben. Der Mann hatte dreimal fahrscheinlos die Dienste der Bahn AG in Anspruch genommen. Das Gericht schickte ihm einen Strafbefehl über 1250 Euro, dagegen legte M. Einspruch ein. Am Infoschalter der Bahn habe man ihm gesagt, er könne auch ohne Fahrschein mitfahren, die Bahn werde ihm dann eine Rechnung nach Hause schicken.

Um den Sachverhalt zu klären, hat Richterin Birgit Balzer drei Bahnmitarbeiter als Zeugen anreisen lassen, zwei extra aus Hannover. Ein Schaffner erzählt, das mit der Rechnung nach Hause sei grundsätzlich möglich, allerdings mit saftigem Aufschlag auf den Fahrpreis. M. allerdings habe ihn danach gar nicht gefragt. Aha. Der Einspruch wird abgewiesen, der Strafbefehl ist gültig. Die Zeugen lassen sich ihre Auslagen vom Gericht ersetzen. Die Kosten des Verfahrens trägt Steffen M., rein theoretisch. „Fast 100 Prozent der Schwarzfahrer vor Gericht sind Hartz-IV-Empfänger“, sagt Richterin Balzer. Das Gericht versuche gar nicht erst, die Verfahrenskosten bei ihnen einzutreiben.

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