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Vergebliche Liebesmüh: Hans Albers und Ilse Werner in "Große Freiheit Nr. 7".

© Imago

Olympia-Bewerbung: Der berühmteste Hamburg-Film hat Berliner Wurzeln

Kultureller Städteaustausch: Der Kinoklassiker „Große Freiheit Nr. 7“ wurde an der Spree gedreht – und „Der Hauptmann von Köpenick“ besetzte ein Finanzamt in Hamburg-Eimsbüttel. Ein Hamburg-Film aus Berlin also und ein Berlin-Film aus Hamburg.

Von wegen Konkurrenz! Bei allem Olympia-Wettrennen zeigt sich doch immer wieder, wie eng Berlin und Hamburg miteinander verwoben sind. „Hamburg ist eine wunderbare Stadt mit zurückhaltendem englischen Charakter“, so beschrieb die gebürtige Berlinerin Inge Meysel ihre Zweitheimat. „Die Berliner dagegen sind aufgeschlossen und für jeden Menschen offen.“ Die Schauspielerin hatte bis ins hohe Alter eine Wohnung in Schöneberg, Lebensmittelpunkt aber war die Hansestadt. Entscheiden mochte sie nicht: „Mir liegt beides nicht und beides doch.“

Nun gut, auf der Reeperbahn nachts um halb eins ist englische Zurückhaltung nicht sehr ausgeprägt. Die Amüsiermeile ist für das Identitätsgefühl der Hamburger wohl so wichtig wie für die Berliner der Kurfürstendamm, Unter den Linden oder aber die Friedrichstraße zu der Zeit, als die Reeperbahn-Hymne entstand. Das war 1912, Ralph Arthur Roberts, ihr Texter und Komponist, arbeitete damals noch fürs Hamburger Thalia-Theater, gründete aber 1928 in Berlin das Theater in der Behrenstraße und wurde 1940 auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf begraben, gestorben an einer Austernvergiftung. Möglich, dass die tödliche Delikatesse aus Hamburg stammte.

Goebbels hatte sich einen antibritischen Marinefilm gewünscht

Wirklich berühmt wurde seine Glorifizierung des Hamburger Nachtlebens aber erst durch den Hans-Albers-Film „Große Freiheit Nr. 7“, Helmut Käutners Melodram um den in St. Pauli als Stimmungssänger gestrandeten Seemann Hannes, der sich in die junge Gisa (Ilse Werner) verliebt, sie an den Werftarbeiter Willem (Hans Söhnker) verliert und – „Seemanns Braut ist die See“ – wieder auf große Fahrt geht. Ein Film, sollte man meinen, der Hamburg pur ist. Ein Irrtum: Mitunter münden Elbe und Spree geradewegs ineinander.

Ursprünglich hatte die Berliner Produktionsfirma Terra-Filmkunst ausschließlich an Hamburg als Drehort gedacht. Goebbels’ Wunsch nach einem antibritischen Marinefilm hatte Käutner ausmanövriert, aber etwas im Seemannsmilieu, dazu möglichst zum Lobe des deutschen Liedguts, sollte es schon sein. Gemeinsam mit Richard Nicolas schrieb der Regisseur das Skript, und am 5. Mai 1943 konnten die Außenaufnahmen in Hamburg beginnen.

Kunstnebel gegen die Hakenkreuzfahnen

Klippen gab es weiterhin genug: „Große Freiheit“ als Titel? Ging nicht, die Hausnummer 7 musste angehängt werden, damit niemand im Publikum auf falsche Gedanken kam. Auch durften die vielen Tarnnetze im Hafen auf keinen Fall mit ins Bild, eine Herausforderung für den Kameramann. Hakenkreuzfahnen dagegen waren sehr erwünscht, auch da wusste sich Käutner zu helfen: „In die Bildtotalen und Großaufnahmen mit Hafenhintergrund ließ ich künstlichen Nebel legen, so dass kein Hakenkreuz mehr sichtbar war.“ Gegen den alliierten Bombenhagel des Unternehmens „Gomorrha“ war mit solchen Tricks aber nichts auszurichten. Zwischen dem 25. Juli und dem 3. August 1943 sank Hamburg in Schutt und Asche, was das Filmteam im Keller des Hotels Atlantic überstand. Doch von einem Drehplan konnte keine Rede mehr sein. Also zog man nach Berlin um, in die Filmstudios an der Tempelhofer Oberlandstraße. Seit 1913 waren am Südrand des Tempelhofer Feldes Filme entstanden.

Die Angaben, was genau dort gedreht wurde, gehen auseinander. Aber ob es nun lediglich die Innenaufnahmen waren oder die Große Freiheit auf 70 Metern Haus für Haus nachgebaut wurde – nach einem Bombenangriff war auch Berlins St. Pauli hin und das Filmteam musste erneut umziehen, diesmal in die Prager Barrandow-Studios. Dort konnten die Dreharbeiten Anfang November beendet werden.

Erst nach dem Krieg lief der Film in Deutschland

Vorerst bekamen die deutschen Zuschauer den Film allerdings nicht zu sehen, Großadmiral Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, hatte sein Veto eingelegt: „Dönitz vertrat die Meinung, der Film verstoße gegen die See- und Weltgeltung Hamburgs, und im Übrigen würden sich deutsche Seeleute nicht betrinken“, schilderte es Käutner. Also wurde „Große Freiheit Nr. 7“ für die deutschen Kinos verboten und erstmals am 15. Dezember 1944 in Prag gezeigt. Die deutsche Premiere fand erst am 6. September 1945 statt – natürlich in Berlin, in der Filmbühne Wien am Kurfürstendamm, im Haus des heutigen Apple-Stores.

Half also Berlin kräftig beim Polieren des Hamburg-Mythos, so konnte sich die Hansestadt zwölf Jahre später revanchieren. Wieder hieß der Regisseur Helmut Käutner, diesmal war seine Hauptfigur eine historische Person: der „Hauptmann von Köpenick“, der Schuster Wilhelm Voigt, der am 16. Oktober 1906, als Hauptmann verkleidet, einen Trupp Soldaten unter sein Kommando gestellt, im Rathaus Köpenick den Bürgermeister verhaftet und die Stadtkasse beschlagnahmt hatte. Carl Zuckmayer hatte aus dem Stoff ein Stück gemacht, das 1931 am Deutschen Theater in Berlin Premiere hatte.

Nun, 50 Jahre nach der Köpenickiade, griff Käutner nach dem schon wiederholt verfilmten Stoff, mit Heinz Rühmann in der Titelrolle. Ein Dreh am originalen Schauplatz in Ost-Berlin war allerdings ausgeschlossen. Meist wurde ohnehin in den Ateliers der Real-Film, Vorläufer des Studios Hamburg, gedreht. Für den wichtigsten Außendrehort aber, das Rathaus Köpenick, musste ein Finanzamt im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel herhalten.

Ein Hamburg-Film aus Berlin, ein Berlin-Film aus Hamburg? Bei Sportwettkämpfen wie den Olympischen Spielen würde man wohl sagen: Unentschieden.

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