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In der großen Pause spielt Glendis Demiri (Mitte) mit seinen Klassenkameraden immer Fußball. Lehrerin Fanny Jeschek (rechts) schaut zu.

© Daniel Godeck

Online-Petition gegen Abschiebung: Schüler setzen sich für albanischen Klassenkameraden ein

Glendis soll bleiben: In Berlin-Lichtenberg stemmen sich Schüler gegen die Abschiebung ihres albanischen Klassenkameraden. Schon 47.000 haben die Online-Petition unterschrieben.

Am meisten freut sich Glendis immer auf Mathe und Englisch. Und, natürlich, auf die großen Pausen. Mit dem Erklingen der Pausenglocke sprintet der Siebtklässler zusammen mit seine Klassenkameraden auf den Schulhof, um sich beim Kicken ordentlich auszupowern. Eigentlich aber ist es für den 14-Jährigen derzeit eher nebensächlich, ob nun Rechnen oder Fußball auf dem Stundenplan steht. Er ist froh, dass er überhaupt jeden Tag seine Schule in Lichtenberg besuchen kann. "In meiner Heimat sind die Schulen nicht so gut", sagt Glendis Demiri - auf Deutsch, natürlich. Aber trotz fortgeschrittener Integration droht ihm und seiner albanischen Familie die Abschiebung. Seine Klasse und seine Lehrerin am Manfred-von-Ardenne-Gymnasium machen dagegen mobil.

Albanien ein sicheres Herkunftsland? Zweifel sind angebracht

Auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Eine Mutter mit ihren drei Kindern, nicht einmal ein Jahr in Deutschland, nicht politisch verfolgt, und - und das ist wohl maßgeblich - geflüchtet aus Albanien. Es sind dies nicht die besten Voraussetzungen, um in Deutschland eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder gar einen deutschen Pass zu bekommen. Denn seit die Bundesregierung die Liste der sicheren Herkunftsstaaten im Herbst auf weitere Balkanländer ausgeweitet hat, sind die Aussichten auf Asyl für albanische Flüchtlinge schwindend gering. Albanien gilt als sicheres Herkunftsland, in dem keine politische Verfolgung droht.

Sind die Demiris also bloße Wirtschaftsflüchtlinge, deren Abschiebung nur eine Frage der Zeit ist?

So einfach ist es nicht. Denn jenseits der nüchternen Fakten stehen hinter jedem Asylersuchen Menschen und Schicksale. Bei den Demiris nahm alles im Sommer 2015 seinen Anfang. Damals war Glendis gemeinsam mit seiner Mutter Arjana, seinem zwei Jahre älteren Bruder Gridi sowie der sechsjährigen Schwester Gresa aus seiner Heimat unweit der albanischen Hauptstadt Tirana nach Deutschland gekommen. Zwar nicht aus den Wirren eines Bürgerkrieges wie im Fall der Schutzsuchenden aus Syrien, aber aufgrund der aussichtslosen und ernüchternden Zustände im Land. "Obwohl es dort enorme Probleme wie Blutrache und Korruption gibt, wurde der Asylantrag abgelehnt", berichtet Glendis' Klassenlehrerin Fanny Jeschek. Auch Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl sagen, in Albanien sei die Situation für viele Menschen fatal - aufgrund von Nepotismus und organisiertem Verbrechen.

Die Perspektivlosigkeit in Albanien lässt sich beispielhaft an der Gesundheitsversorgung festmachen: Als Brillenträger hat Glendis einige Beschwerden an seinen Augen. "Hier in Deutschland ist die Behandlung sehr gut", berichtet der ruhige, etwas zurückhaltende 14-Jährige. In seinem Heimatland hingegen sei überhaupt nichts unternommen worden. "Der Arzt in Albanien hat einfach gesagt: 'Ach, ist doch alles in Ordnung.'"

Nach drei Tagen gehörte er schon zur Klassengemeinschaft

Nichts ist in Ordnung, findet Lehrerin Jeschek. Mit den 32 Schülern ihrer Klasse will sie die drohende Abschiebung von Glendis und seiner Familie verhindern. Nicht nur wegen der Zustände in Albanien, die sind das eine. Das andere, und das wiegt für Jeschek und die Klasse 7d viel schwerer, hat mit der guten Integration und den Potenzialen des albanischen Schülers zutun. Obwohl der 14-Jährige noch nicht einmal ein Jahr lang in Berlin lebt, gilt er in seiner Schule als vorbildlich integriert. Nach nur einem halben Jahr in einer Willkommensklasse konnte er im Februar bereits in eine reguläre 7. Klasse wechseln, die 7d von Fanny Jeschek. "Anfangs hatte ich Sorgen, ob das so funktioniert", berichtet die Klassenlehrerin. Nach drei Tagen habe man jedoch gar nicht mehr gemerkt, dass er neu in der Klasse sei.

Der Schlüssel dafür hat, wie so oft, in der Sprache gelegen. In Turbozeit hat Glendis Demiri Deutsch gelernt. "Er kam hier rein und sofort super mit", sagt Jeschek. In Latein zum Beispiel hat er ein halbes Schuljahr Rückstand aufholen können. "Glendis ist sehr intelligent", fügt die 28-jährige Lehrerin hinzu. Gleichzeitig habe er in der Klasse schnell Freunde gefunden. Auch Glendis' Geschwister besuchen Schule und Kindergarten, gelten als gut integriert.

Die Ausländerbehörde hat den Asylantrag von Mutter Arjana Demiri als unbegründet abgelehnt. Nach derzeitigem Stand ist die Abschiebung lediglich bis zum 28. April aufgeschoben. Ein Asylfolgeantrag wird momentan von den zuständigen Stellen geprüft.

Mehr als 47.000 haben die Petition bereits unterzeichnet

Um symbolisch ein Zeichen gegen die Abschiebung zu setzen, hat Glendis' Lehrerin eine Online-Petition ins Leben gerufen. Sie trägt den Titel: "Gegen die Abschiebung von Familie Demiri! Es eilt sehr!" Mehr als 47.000 Unterstützer haben die Petition, die sich unter anderem an die Berliner Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) richtet, bereits unterzeichnet. "Ich hätte niemals damit gerechnet, dass das so ein Erfolg wird", sagt Fanny Jeschek.

Auch die Schüler selbst sind für ihren Klassenkameraden aktiv geworden. Der 13-jährige Eric, der gerne mit Glendis Basketball spielt, hat auf die Verbreitungskraft des Internets gesetzt und ein rund einminütiges Video (Titel: "Bitte helft") zusammengebastelt, welches er auf seinem Youtube-Kanal hochgeladen hat. Mit Instrumentalmusik unterlegt, sind darin Manga-Bilder zu sehen, die Botschaften wie "Wir wollen dass er bleibt" unterstreichen sollen. "Ich dachte mir, so finden wir noch mehr Leute, die unterschreiben", sagt er, der Glendis "supernett" findet. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden: "24 haben dadurch mehr unterschrieben."

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In ähnlichen Aktionen haben die Lichtenberger Schüler zudem handgeschriebene Flyer verteilt und eine Unterschriftenliste gestartet.

Integration hat keinen Einfluss auf Asylverfahren

Die zuständige Senatsverwaltung für Inneres und Sport wollte sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. "Die Senatsverwaltung äußert sich grundsätzlich nicht zu Einzelfällen", teilte ein Sprecher mit. Angesichts der vorerst aufgeschoben Abschiebung ergänzte er aber, dass "wahrscheinlich Duldungsgründe bestehen" oder eine nähere Prüfung des Falles notwendig sei. Dies kann zum Beispiel bei einer Reiseunfähigkeit der Fall sein. Daher sei auch eine Aufenthaltserlaubnis nicht ausgeschlossen.

Dass Glendis Demiri in seiner Schule bereits gut integriert ist, hat für den Erfolg oder Misserfolg des Asylverfahrens indes keine Bedeutung. "Für ein Asylverfahren ist die Frage der Integration in dem Land, in dem Schutz begehrt wird, nicht relevant", so der Sprecher der Innenverwaltung weiter. Entscheidend sei allein, ob die Situation im Herkunftsland eine Schutzgewährung rechtfertige.

Auch die Online-Petition kann allenfalls ein symbolisches Zeichen sein. "Eine Petition hat auf den Asylentscheid als solchen keinen unmittelbaren Einfluss, dieser kann nur mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln angegriffen werden", erklärte der Sprecher.

So hoffen Lehrerin wie Schüler der Klasse 7d weiter, dass der albanische Neuankömmling auch in Zukunft im Matheunterricht und beim Kicken in der Pause dabei ist. "Es wird immer geklagt", schiebt Lehrerin Jeschek noch hinterher, dass es hierzulande zu wenige Kinder gebe. Sollte der albanische Schüler tatsächlich abgeschoben werden, dann, da ist sich die Pädagogin sicher, "wäre das ein verschwendetes Talent."

Daniel Godeck

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