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Berlin: Operation gelungen, Krankenhaus tot

Am Dienstagmittag ist es schon sehr still auf dem weitläufigen Klinikgelände an der Turmstraße. Nur noch ein paar Dutzend Mitarbeiter arbeiten im Krankenhaus Moabit, das in der Nacht zu Donnerstag um Mitternacht schließen wird.

Am Dienstagmittag ist es schon sehr still auf dem weitläufigen Klinikgelände an der Turmstraße. Nur noch ein paar Dutzend Mitarbeiter arbeiten im Krankenhaus Moabit, das in der Nacht zu Donnerstag um Mitternacht schließen wird. Das Personal ist damit beschäftigt, Räume und Flure leer zu räumen. "Wir sollen alles besenrein hinterlassen", sagt Pflegedienstleiterin Gertrud Hergenhahn. Am späten Nachmittag folgt eine interne Abschiedsfeier in der früheren Rettungsstation, die seit Anfang Oktober geschlossen ist. Protestaktionen, wie es sie in den Jahren häufig gegeben hatte, bleiben dagegen aus. "Dafür hat keiner mehr die Energie", meint Gertrud Hergenhahn.

Fast alle Patienten, die weiterhin der Pflege bedürfen, liegen längst in anderen Kliniken. Die letzten "zwei Handvoll" würden bis maximal Mittwochvormittag betreut, sagt Jochen Kwast, der scheidende Leiter des Rechnungswesens. Nur die Telefone klingeln ständig: Ehemalige Patienten und Kiezbewohner wollen dem Personal danken und ihrem Ärger über die Gesundheitspolitik des Senats Luft machen. Das Personal versteht die Schließungsgründe ohnehin nicht: "Wir wurden in einen großen Lostopf geworfen und haben das große Los gezogen", sagt die Stationsleiterin der Unfallchirurgie, Helga Feierabend, ironisch. "Wir sind gezogen worden", verbessert eine Krankenschwester. Andere Kollegen reden drastischer: "Man hat uns beschissen."

Ende 1998 hatte die damalige Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) die traditionsreiche Klinik mit rund 600 Betten und 1500 Mitarbeitern auf ihre Streichliste gesetzt. In der so genannten Planungsregion Mitte sei die "Krankenhaus-Dichte" einschließlich der Uniklinik-Standorte Virchow und Charité besonders hoch, hieß es. Daraufhin begannen Demonstrationen und Unterschriftenaktionen, an denen sich einige Prominente beteiligten. 600 Ärzte setzten sich vor allem für das "modellhafte" Tumorzentrum ein. Auch ein Förderverein entstand. Doch die Krankenkassen weigerten sich, erbrachte Leistungen zu bezahlen - wegen angeblich zu langer Liegezeiten. Die Klinik musste Insolvenz beantragen. Erst als die Geschäftsführung der Schließung im April zustimmte (wobei sie von "Erpressung" sprach), wurde der Konkurs abgewendet. SPD-Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler warf der Klinik vor, "unwirtschaftlich gearbeitet" zu haben.

Juristisch besteht die Krankenhaus-GmbH noch bis März 2002. Aber die meisten Mitarbeiter mit guten Berufschancen haben die Klinik verlassen und neue Jobs angetreten. "Die jungen Krankenschwestern gingen weg wie warme Semmeln", sagt Pflegedienst-Chefin Hergenhahn. Der Betrieb ließ sich kaum noch aufrecht erhalten. Zuletzt wurden rund 760 Kündigungen ausgesprochen. "Das sind die Leute, die keine neue Arbeit gefunden haben", sagt Rechnungswesen-Chef Kwast. Von den letzten sieben Anwesenden in der Unfallchirurgie weiß noch niemand, wie es beruflich weitergeht.

Das Gelände an der Turmstraße soll ein medizinischer Standort bleiben. Drei Abteilungen arbeiten weiter: Das St.-Hedwigs-Krankenhaus übernimmt die Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Krisen-Interventionszentrum; der Krankenhaus-Verbund Vivantes und das Klinikum am Friedrichshain führen die Onkologie und Hämatologie sowie die Strahlentherapie fort. Unter Mitwirkung der bisherigen Klinikleitung entsteht ein Konzept für die Ansiedlung weiterer Gesundheitseinrichtungen. Einige Ärzte haben bereits Praxen auf dem Grundstück, weitere könnten folgen. Teile des Krankenhaus-Inventars, darunter Geräte in den Operationssälen, werden deshalb vorerst nicht abtransportiert. Vielleicht finden sich ja neue Nutzer.

Die Geschichte des Krankenhauses Moabit

Als im Jahr 1872 eine Pockenepidemie in Berlin ausbrach, wurden die Kranken in eilends errichteten Barracken in der Turmstraße isoliert. Das Seuchenlazarett war die Keimzelle des Krankenhauses Moabit, das zu den ältesten medizinischen Einrichtungen der Stadt gehört. Bereits 1891 konnte Robert Koch im neu eingerichteten bakteriologischen Laboratorium seine grundlegenden Untersuchungen für einen wirksamen Impfstoff gegen die Tuberkulose durchführen. Eduard Sonnenburg, ab 1890 Leiter der Chirurgischen Abteilung, operierte erstmals den Blinddarm, bevor die Entzündung in die Bauchhöhle durchgebrochen war. Die soziale Ausrichtung des Krankenhauses setzte sich in den zwanziger Jahren mit dem Aufbau von Ehe- und Sexualberatungsstellen fort. Auch die erste städtische Krankenpflegeschule Berlins wurde hier gegründet. Es war dies die Glanzzeit des Krankenhauses: zahlreiche jüdische Ärzte prägten den hervorragenden internationalen Ruf des Hauses. Von 1933 an "säuberten" SA-Männer das Krankenhaus von politisch nicht genehmem Personal. Viele medizinische Entwicklungen hatten im Krankenhaus Moabit ihren Ursprung. Werner Forßmann arbeitete hier, der für seine Entwicklung des Herzkatheters als erster Deutscher nach 1945 den Nobelpreis für Medizin erhielt. 1998 wurde das bis dahin städtische Krankenhaus in eine GmbH überführt, mit den Gesellschaftern Land Berlin und der Diakonie.

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