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Orkan vor zehn Jahren: Die Tragödie von Schwanenwerder

Vor zehn Jahren wütete ein Orkan auf Schwanenwerder, zwei Kinder starben. "So etwas vergisst man nicht", sagt Albrecht Broemme, damals Chef der Feuerwehr. Und er erinnert sich - und erzählt von einem Sturm, der urplötzlich kam und den Tod brachte.

Es war eine trügerische Idylle, damals, am 10. Juli vor zehn Jahren. Man hörte das Laub rascheln, ab und an zwitscherte ein Vogel. Anwohner haben ihren Rasen auf dem Grundstück gemäht, Radrennfahrer sind über die hügelige Inselstraße auf Schwanenwerder gesurrt.

„Und dann war es, als ob jemand beim Wetter einen Schalter umlegt“, sagt Georg Schertz. Er war früher Polizeipräsident und ist Inselbewohner seit seiner Kindheit. Er kann sich noch genau erinnern, es war ein Mittwochabend. Sonst gebe es vor einem Unwetter diese Ruhe vor dem Sturm, die Tiere spüren das und bringen sich in Sicherheit. „Aber der Orkan kam von einer Sekunde auf die andere, und zwei Fischreiher wurden von den Böen gegen unser Haus geschmettert.“ Es ist ein Tod bringender Orkan.

Als Schertz ein paar Hausnummern weiter an der Inselstraße seinen Hund im Garten sucht, brüllen Betreuer auf dem bewaldeten Ferienlager-Grundstück an der Inselstraße 7 gegen die tosenden Böen an: Alle Mann vom Wasser nach oben! In den Bunker auf dem Hügel, aber schnell! Maik G., 14, aus Köpenick, und Sascha S., 15, aus Frankfurt am Main, sind nicht schnell genug, einer will wohl noch etwas aus dem Zelt holen.

Die Orkanböen, so messen es die Meteorologen, rasen jetzt mit 153 Kilometer pro Stunde auf einer nur 500 Meter schmalen Schneise quer von Südwest gen Norden durch Berlin. Orkanstärke 14 gibt es auf der Skala gar nicht mehr, die endet bei 12, ab 118 Stundenkilometer.

Die Bäume, die die Jugendlichen erschlagen, sind mannsdick. Sascha kann man im Chaos im Zelt unterm Ast erst einmal nicht finden. „Ich habe mich neben den Jungen gekniet, er lag da mit aufgerissenen Augen, und habe ihm die Lider geschlossen“, sagt Albrecht Broemme. Dann hat er gebetet. „So etwas vergisst man nicht“, sagt er heute.

Als Broemme sich zehn Jahre später an das Unglück mit vier Toten in Berlin und drei in Brandenburg erinnert, kommt er gerade aus Fukushima. Der Leiter der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) muss am 10. Juli diesen Jahres beruflich nach Tunesien, doch zur Gedenkveranstaltung um 18.30 Uhr am Feuerwehrdenkmal am Mariannenplatz in Kreuzberg werden hochrangige Vertreter der Feuerwehr kommen, Kirchenvertreter, Einsatzkräfte, Notfallseelsorger, Helfer der Krisenintervention, die an dem Einsatz beteiligt waren.

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Für Albrecht Broemme ist es einer seiner schwersten Einsätze im Leben: In Berlin stürzen bei dem Jahrhundertorkan 2500 Bäume um. In Pankow und in Reinickendorf werden zwei Männer von Bäumen erschlagen. Broemme ist Chef der Feuerwehr, und die Kinder sterben beim Jugendlager der Freiwilligen Feuerwehr.

An jenem Tag vor zehn Jahren beobachtet Broemme auf Schwanenwerder noch die herumtobenden Kinder von Feuerwehr-Kollegen, die bei den Anschlägen in New York ums Leben gekommen sind. Zur Zeltlagerbegegnung fährt auch der damalige Innenminster Otto Schily. Die jungen Amerikaner sind so begeistert, sie wollen jetzt spontan auch alle übernachten, wie Broemmes Tochter. Aber der sagt: Tut mir leid, das geht nicht, ihr seid alle nicht angemeldet, und seine Tochter fährt er im Auto nach Hause.

Dann der Anruf. Es gibt dort ein Unwetter, und es gibt Tote. Broemme setzt die Tochter sofort bei einem Feuerwehrangehörigen in unmittelbarer Nähe ab. Dessen Kind überlebt den Orkan auf dem Bezirksgelände.

Der Feuerwehrchef kommt aber erst nicht rauf auf Schwanenwerder, ein riesiger Baum liegt über der Straße auf der Zugangsbrücke. Die Feuerwehr muss erst über den Wasserweg aufs Grundstück. Die Rettungskräfte, die über den Stamm klettern, fährt der gerade zurückgetretene Polizeichef Schertz mit seinem Auto immer wieder den kleinen Hügel hinauf, bis zu der Stelle, wo sich die Inseleinbahnstraße teilt. Heute hängt da links noch windschief das Nummernschild 7, ein Vorhängeschloss mit Kette.

Hinterm Maschendrahtzaun verwildertes Gelände, eine Hütte. Am Sonnabend hilft ein Junge im gleichen Alter wie Maik und Sascha seiner Mutter, den Einkauf nach Hause zu tragen. An dieser Stelle fragten Journalisten Broemme vor zehn Jahren, warum er das Zeltlager nicht auflöste.

„Es war an den Wetterberichten nicht abzulesen, dass es eine derartige Eskalation geben würde“, sagt er. Es gab Unwetterwarnungen, mit Böen bis Windstärke zehn, „etwas, das Bäume von ungeheurer Dimension bequem aushalten würden“. Es hätten diverse Meldungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vorgelegen, ohne eindeutige Priorität, Warnungen wurden später noch nicht aufgehoben. Schertz erinnert sich, dass nur eine von zwei Unwetterfronten vorhergesagt wurde, die sich so unheilvoll zum Orkan summierten. „Man kann fast sagen, es war ein schicksalhaftes Ereignis.“

Eltern versuchen, sich mit dem Wort Schicksal zu trösten. Mindestens einer der Jungs soll auf Wunsch der Mutter in Feuerwehruniform beerdigt worden sein.

Die Tragödie am Wannsee revolutioniert im Nachhinein die Wettervorhersagen in Deutschland. Albrecht Broemme macht mit Jörg Kachelmann dem DWD Konkurrenz, der rüstet mit modernisierter Technik nach. THW-Chef Broemme sagt, infolge der Klimaerwärmung wird die Menschheit künftig mit mehr derartiger Unwetterextreme umgehen müssen.

Bezirk und Senat nutzen die Tragödie Kritikern zufolge politisch, um eine weitere bezirkliche Einrichtung für benachteiligte Großstadtkinder auf der bei finanzstarken Investoren beliebten Wohninsel Schwanenwerder zu schließen. „Viele Ältere, die ich kenne, schwärmen von der Zeit in dem traditionellen Zeltlager in West-Berliner Mauerzeiten“, sagt Georg Schertz. Mit der Nummer sieben sollen vier Nachbargrundstücke über den Liegenschaftsfonds zum Verkauf stehen.

Manche Menschen auf Schwanenwerder wollen vom Orkanunglück nichts mehr hören. Georg Schertz hat sein Holzkreuz von der Gedankfeier damals noch. Es gibt die „Schaustelle Sturm“ in Tegel, einen Gedenkstein dort in Schwanenwerder gibt es nicht.

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