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Kümmern sich um Internet und mehr: die Piraten.

© dapd

Ortstermin: Gegrillte Piraten im Hühnerstall

Am Freitagabend standen Kandidaten für den Landesvorstand und das Landesschiedsgericht der Berliner Piratenpartei Rede und Antwort in Lichtenberg. Irgendwann hielt es Gerhard Anger dabei nicht mehr auf dem Sessel.

Um 22:37 Uhr platzt Gerhard Anger der Kragen. Er will nicht mehr ins Mikro sprechen, will nicht mehr abseits des Publikums sitzen, hat genug vom Ritual des „Kandidatenchecks“, zu dem die Piratenpartei eingeladen hat. Auslöser ist eine Frage aus der hinteren Reihe, die er akustisch nicht verstanden hat. Anger, aktuell Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Piratenpartei, entfacht mit seiner Aktion eine heftige Diskussion über die Organisation der Veranstaltung. Er fragt: „Was machen wir hier eigentlich?“

Vier Stunden zuvor: Es ist Freitagabend, schummerig-blaues Licht, viel Holz und Palmen verleihen der Coconut Lounge in Lichtenberg eine entspannt-gemütliche Feierabendatmosphäre. Nur einige wenige Parteimitglieder haben sich eingefunden, um die Kandidaten zu begutachten, die sich um den Landesvorstand und das Landesschiedsgericht der Berliner Piratenpartei bewerben. Die Veranstalter erwarten noch einige Kandidaten, die sich „grillen“ lassen wollen, also Rede und Antwort stehen müssen. Tatsächlich treffen im Laufe des Abends Kandidaten noch bis zu zwei Stunden später ein.

Vier Fragerunden stehen auf dem Programm. Zunächst stellen sich die Kandidaten vor. Sie sitzen in einem abgetrennten, von Einigen scherzhaft „Hühnerstall“ genannten Bereich und treten dort abwechselnd ans Mikrofon. Die meisten müssen sich nicht lange vorstellen, oft wird nur der Vorname genannt - man kennt sich. Viele sind im IT-Bereich tätig, der Großteil der Kandidaten entspricht dem Partei-Image als einer Ansammlung von „Internet-Nerds“. Aus der Reihe fallen lediglich zwei Frauen, die Rechtsanwältin Anisa Fliegner, die mit Ehemann und Baby zur Veranstaltung kommt, und die Goldschmiedin Heide Hagen, Jahrgang 1956.

In der zweiten Fragerunde geht es für die Bewerber erstmal um Standardfragen:, Warum bewerben sie sich überhaupt für/um ein Amt?. Die passendste Antwort liefert Klaus Peukert: „Ich habe gelernt, was man bei den Piraten machen will - das macht man einfach und schaut dann, ob es eine Mehrheit dafür gibt.“ Mittlerweile sind drei Kandidaten dazugekommen: Der Wirtschafts-Student Thomas Wied entschuldigt sich damit, dass er noch für die ACTA-Demonstration am Samstag Plakate kleben musste. Daniela Berger, Webentwicklerin und Piratin der 3. Generation (also nach der Berliner Landtagswahl 2011) will „keine analogen Politiker, die digitale Gesetze machen.“ Katja Dathe, die aktuelle Schatzmeisterin, will weniger Vorstandsarbeit und mehr Mitgliederarbeit, was ihr spontan Applaus einbringt.

Was wollen die Kandidaten nach der Amtszeit erreicht haben? Neben einer erfolgreichen nächsten Bundestagswahl sind es vor allem parteiinterne Ziele. Die neuen Mitglieder sollen integriert werden, denn es gibt Spannungen zwischen alt ein gesessenen Piraten der 1. Generation und neuen Mitgliedern der 3. Generation. Zudem soll der Eindruck korrigiert werden, der Berliner Landesverband sei im Vergleich zu den anderen Landesverbänden arrogant. Aus dem Publikum ist zu hören, dass es schon erstaunlich sei, wie wenig die Kandidaten auf inhaltliche Ziele eingingen. Wie zur Bestätigung erklärt Katja Dathe, man wolle durchaus als ernsthafte Partei wahrgenommen werden: „Wir sind kein Kuschelverein und kein Verein einsamer Herzen.“

Nach den Standardfragen werden den Kandidaten Fragen nach dem Zufallsprinzip gestellt. Interessanterweise gibt es nach Meinung von Daniela Berger keine Spaltung zwischen den Generationen. Michael Hartung, der als letzter verspätet eingetroffen ist, verkündet schließlich einnehmend: „Wir sind alle Piraten, auch diejenigen, die noch nicht Parteimitglied sind – sie wissen es nur noch nicht.“ Bevor die lockere Stimmung in wohlige Harmonie umzuschlagen droht, kommt Gerhard Anger plötzlich aus dem „Hühnerstall“ und setzt sich mitten ins Publikum, denn so sagt er, der ganze Ablauf des Kandidatenchecks sei zu konstruiert und zu weit weg vom Publikum.

Die Kandidaten folgen seinem Aufruf und mischen sich unter die anwesenden Mitglieder, Tische werden beiseite geschoben, man rückt näher zusammen. In dieser Form zerfasert die Diskussion dann jedoch in einzelnen Gruppen. Am Ende entschuligt sich Anger für sein forsches Eingreifen: Er habe die Organisation des Lichtenberger Ortsverbands nicht diskreditieren wollen, für viele Kandidaten benötige man eben doch eine straffe Organisation. Es scheint, dass die Piraten sich zwar sträuben, sich letztendlich doch nicht ganz parteiorganisatorischen Zwängen und Ritualen entziehen können.

Raimon Klein

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