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Die Franziskanerkloster-Ruine in Mitte.

© Kai-Uwe Heinrich

Ostern in Berlin: Wie Künstler Jesu Christi gedenken

Wie wäre es bei dem schönen Wetter mit einem Osterspazierung? Zum Beispiel zu diesen vier Kunstwerken vom 16. bis zum 21. Jahrhundert, die von Tod und Auferstehung erzählen.

Der Herabsteigende

Vor der Klosterruine aus dem 13. Jahrhundert, die nach einer Bombennacht im April 1945 übrig geblieben ist, steht an der lauten, sechsspurigen Grunerstraße in Mitte eine Skulptur von Fritz Cremer. Der Bildhauer, dessen Mahnmal für die Gedenkstätte Buchenwald besonders bekannt wurde, galt vielen als DDR-Staatskünstler. In seinen späten Jahren hat er sich mit der christlichen Passionsgeschichte auseinandergesetzt. Sein provozierender „Gekreuzigter“, den er von 1978 bis 1983 für die Ost-Berliner Christophoruskirche in Friedrichshagen schaffen wollte, wurde nach der Fertigstellung von einem Teil der Gemeinde strikt abgelehnt – und fand dann seinen Platz im öffentlichen Raum.

Der nackte, kräftig gebaute Mann auf dem Ziegel-Postament schwebt vor zwei wackligen Kreuzbalken: reißt sich mit der rechten, zur Faust geballten Hand eine Dornenkrone vom Schädel, deren Stacheln sich in seiner Kopfhaut verhaken. Sein linker Arm ist zur ganzen Welt ausgebreitet, sein Gesicht grimmig. Cremers vieldeutiger Befreiungsakt ist beschriftet „Auferstehender“, wird aber oft betitelt als „Sich vom Kreuz Lösender“ oder „Herabsteigender“. Ringsum unter den Frühlingsknospen der Bäume, neben dem Obdachlosenlager auf der Parkbank, erzählen Werke weiterer Bildhauer – so eine Mutter, die ihren massakrierten Sohn im Schoß hält – von den Schrecken des Krieges.

Nach der Katastrophe

Vittorio Carpaccio. Grabbereitung Christi.
Vittorio Carpaccio. Grabbereitung Christi.

© Copyright: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie. Foto: Jörg P. Anders

Die Gemäldegalerie am Kulturforum in Tiergarten zeigt ein Bild des Venezianers Vittorio Carpaccio, das 1905, vierhundert Jahre nach seiner Fertigstellung, in das Berliner Museum gelangt ist. Es hängt im äußeren linken Eckraum der Galerie, von wo man auf die St. Matthäus-Kirche schaut an ihrem disparaten Platz. Der trostlose Friedhof auf Carpaccios „Grabbereitung Christi“ wirkt allerdings noch verlorener als das Kulturforum: Da hat ein Erdbeben stattgefunden. Verstreute antike Trümmer, aus dem Boden ragende Skelette, Schädel, Kiefernfragmente. Am Bildrand auf dem Hügel: drei Kreuze. Im Mittelfeld öffnen zwei Turbanmänner eine verschlossene Grabhöhle. Der Jesus-Freund Joseph von Arimathia, präpariert eine Schüssel zur Leichenwaschung. An dem einzigen Baum hocken zwei schmerzzerrissene Frauen. Daneben hält sich ein junger Mann die Ohren zu. Hier agiert oder klagt jeder für sich.

Außerhalb des Untergangs-Szenarios geht das Leben heiter weiter, Leute flanieren, reiten aus. Links vom Bäumchen hockt ein halbnackter Greis, der mit allen Qualen geschlagene Hiob des Alten Testaments. Sein Blick wandert zu der Bahre im Vordergrund, auf der ein langhaariger Jüngling im Lendenschurz liegt. Man sieht Wundmale, sonst scheint dessen Körper unversehrt, doch die Haut ist leichengrau. Die halboffenen Augen des Uralten – im Blickkontakt mit dem Toten – sind die einzigen nicht geschlossenen Augen auf diesem Forum der Resignation.

Gemäldegalerie (Raum 37), Matthäikirchplatz, geöffnet von 11 bis 18 Uhr.

Die Grube

Die Bodenskulptur "Die Grube" des Bildhauers Micha Ullmann in der St. Matthäus-Kirche.
Die Bodenskulptur "Die Grube" des Bildhauers Micha Ullmann in der St. Matthäus-Kirche.

© Andreas Rost (Stiftung St. Matthäus)

Christen erscheint der Karsamstag, wenn alle Hoffnungen begraben sind, als rätselhaftester, „modernster“ Tag der „Heiligen Woche“. Eine Bodenskulptur, die dazu passen könnte, hat der Bildhauer Micha Ullman 2013 im Seitenschiff der St. Matthäus-Kirche neben der Gemäldegalerie geschaffen. Die Bombenruine dieses Gotteshauses, ein schöner Stüler-Bau des 19. Jahrhunderts, war Ende der 1950er Jahre wieder aufgebaut worden. Ullman, der in einigen seiner minimalistischen Werke (so bei seiner unterirdischen „Bibliothek“ am Bebelplatz) mit dem Element der „Grube“ arbeitet, lässt hier in einem meterbreiten, zwei Meter langen, zwei Meter tiefen Loch sieben Stufen hinabführen, die auf eine klinisch weiße Wand stoßen. Auf das Nichts.

Ullman ist Jude. An das kirchliche Credo, in dem es über den gekreuzigten Jesus heißt „niedergefahren zur Hölle“ (oder: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“), muss er bei dieser Arbeit nicht gedacht haben. Die Stufen sind mit rotem Sand aus Israel gefüllt; das Maß der gläsern abgedeckten Grube ist die Größe eines Menschen. „Die Glasplatte reflektiert die Umgebung umgekehrt, die Wände, die Decke, den Betrachter und die Fenster,“ hat der Künstler sein Konzept für „Stufen“ beschrieben. „In ihr kann man die Wolkenbewegung sehen in der Tiefe der Grube.“ Man werde eingeladen, mit Hilfe der Fantasie nach oben oder nach unten zu gehen. Dabei habe die Ziffer Sieben, ihre Bedeutung in der Religion und in der Natur, symbolische Kraft. Sieben Tage zählt die Woche, die mit dem Schabbat endet, und auch (so heißt es in einer Schöpfungserzählung, die während der christlichen Osternachtsfeier verlesen wird) die göttliche Woche der Welterschaffung. „Die Skulptur bietet einen Treffpunkt,“ sagt Micha Ullman, „zwischen Himmel und Erde, zwischen Unten und Oben“.

St. Matthäus, Matthäikirchplatz 1, geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 Uhr bis 18 Uhr.

Aufbruch aus der Vorhölle

Cranach, Lucas: Christus in der Vorhölle, GK I 2271.
Cranach, Lucas: Christus in der Vorhölle, GK I 2271.

© Wolfgang Pfauder (SPSG)

Wenn Besucher in Berlins ältester Adelsbehausung, dem Jagdschloss am Grunewaldsee, die Cranach-Sammlung besichtigen, betrifft ihre häufigste Frage ein seltsames Auferstehungs-Bild von 1538: nicht das klassische Ostermotiv, den Triumphierenden auf dem Sarkopharg, das hängt dort auch, sondern daneben „Christus in der Vorhölle“. Von ungefähr 40 „Passionstafeln“, die Lucas Cranach der Ältere im Auftrag des Kurfürsten Joachim II. für die Berliner Stiftskirche, einen Vorgängerbau des Domes, geschaffen hatte, sind neun erhalten und seit 1932 im Museumsschloss ausgestellt. „Christus in der Vorhölle“ behandelt eine Frage, die im Mittelalter viele Menschen beschäftigte: Was passiert mit all denen, die nie eine Chance bekamen, sich für den wahren Erlöser zu entscheiden?

Cranach hat nicht, wie das in anderen Darstellungen zu diesem Thema oft geschah, den zerschmetterten Hölleneingang ausgemalt, sich vielmehr auf die Begegnung des Auferstandenen, der den Siegeswimpel hält, mit einer Schar nackter Hades-Bewohner konzentriert. Der Todesüberwinder zieht die Stamm-Mutter Eva am Handgelenk zu sich. Über der zaghaft treppauf steigenden Menge schwebt das alarmierte Höllenpersonal. Auf Betrachter von heute wirken die mythischen Vorstellungen, wie sie diesem Bild zugrunde liegen, fremd und schräg. Dabei erinnert der zusammengepferchte, unübersehbare Andrang derer, die keine Chance hatten, auch an schreckliche Szenen der Massenvernichtung und der Menschenvertreibung, die vom 20. bis zum 21. Jahrhundert längst noch nicht überwunden worden sind. In der neuen Welt jedoch, das behauptet diese dramatische Ostermarsch-Vision, gibt es für eine Erlösung der Chancenlosen keine Obergrenze.

Jagdschloss Grunewald, Hüttenweg 100, geöffnet 10 bis 16 Uhr.

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