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Berlin: Oswalds Woche: Pannenhilfe

Wie lange warten Sie auf Ihren Liebhaber, wenn er Sie nicht zur verabredeten Zeit abholt? Eine Minute, zwei?

Wie lange warten Sie auf Ihren Liebhaber, wenn er Sie nicht zur verabredeten Zeit abholt? Eine Minute, zwei? Oder gehören Sie etwa zu denjenigen, die eine volle Viertelstunde lang warten und sich dabei auch noch Sorgen machen, ob der Arme etwa verunglückt ist? Sie kennen das wahrscheinlich nicht, weil es bei Ihnen kein Mann wagen würde, Sie sitzen zu lassen. Mir macht Warten nichts aus. Wissen Sie warum? Es kommt nicht darauf an, ob man wartet, sondern auf wen man wartet. Ich warte gerne auf eine Person, die ich liebe, und je länger es dauert, umso besser.

Oder gehören Sie zu den ungeduldigen Menschen? Die es nicht aushalten, dass die Theater-Vorstellung immer fünf Minuten zu spät anfängt? Haben Sie sich eigentlich überhaupt einmal klar gemacht, was sich fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn hinter den Kulissen abspielt? Letzten Donnerstag im Berliner Ensemble: Für Claus Peymann wurde ein Albtraum wahr. Einer seiner Hauptdarsteller, Traugott Buhre, hatte vergessen, dass er an diesem Abend auf der Bühne stehen sollte. Weit und breit war er nicht zu sehen. Jede Suche blieb erfolglos. Kurz nach 20 Uhr trat Peymann auf die Bühne und sagte dem Publikum, dass das Ensemble nicht vollständig sei und dass der Dramaturg Hermann Beil Buhre vertritt. Dieser bekam für seinen Spontan-Einsatz Sonderapplaus.

Das Publikum liebt Pannen. Als ich noch Regieassistent am Landestheater Tübingen war, musste ich einmal auf einer winzigen Gastbühne dem Publikum ankündigen, dass die Kulisse nicht auf die Bühne passt und deshalb nur die Hälfte aufgebaut sei. Außerdem müsse das Publikum beim zweiten Umbau - er dauerte normalerweise etwa 40 Sekunden - zehn bis 15 Minuten den Technikern zusehen, wie sie die gesamte Kulisse, die sonst nur weggeschoben wird, komplett auseinandermontieren und die neue Kulisse mit Hammer und Nagel neu zusammenzimmern. Ein Albtraum für jeden Abendspielleiter. Das Publikum aber hat getobt vor Vergnügen. In der kommenden Nacht hatte ich einen anderen Albtraum: Ich stehe nackt und alleine auf der Bühne, gleich soll der Vorhang aufgehen und ich weiß nicht einmal, welches Stück heute gespielt wird. Ich frage verzweifelt die Souffleuse: "Sag mir doch bitte wenigstens, haben wir heute Hamlet oder Richard III.?" Beide Texte kenne ich zwar nicht auswendig, aber irgendwie hätte ich das schon hingekriegt. Sie schweigt eisern und ich wache schweißgebadet auf.

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