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Berlin: Otto-Heinrich Knapp (Geb. 1929)

Nicht Geld oder die Lust am Abenteuer waren sein Antrieb.

Von David Ensikat

Es war Anfang Oktober 1981, als Heinrich Knapp zum zweiten Mal festgenommen wurde, wieder auf der Transitstrecke durch die DDR, wieder unter dem Verdacht der Fluchthilfe.

Das erste Mal lag beinahe 20 Jahre zurück. Damals hatte er Menschen geholfen, die DDR zu verlassen. Nicht Geld oder die Lust am Abenteuer waren sein Antrieb, sondern allein der Drang zu helfen. Über den katholischen Studentenbund „Neudeutschland“ hatte er jemanden kennengelernt, der kurz nach dem Mauerbau in den Westen geflohen war und jetzt anderen zur Flucht verhalf. Heinrich Knapp schloss sich ihm an, und es gelang, etlichen den Weg in die Freiheit zu bahnen. Im Februar 1962 wollte Knapp zwei Bekannte in seinem Auto rüberholen; die gefälschten Pässe brachte er mit. Eine riskante Angelegenheit, man warnte ihn, aber er ließ sich nicht abbringen. Weil die Stasi einen der Fluchtwilligen beobachtete, flog die Sache auf. Heinrich Knapp wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.

Glück im Unglück: Minister für „innerdeutsche Beziehungen“ war Rainer Barzel, ein „NDer“. So nennen sich auch die „Neudeutschen“, die längst nicht mehr studieren. Mit Barzels Hilfe gelang es, Heinrich Knapp zwei Jahre früher aus der Haft freizukaufen. Dennoch kehrte er gezeichnet heim: Weniger als 60 Kilo wog der 1,82 Meter große Mann. Den Diabetes, den die Ärzte später feststellten, verdankte er der Zeit in Bautzen. Seiner Frau, die er 1962 in West-Berlin kennenlernte, erzählte er kaum etwas über diese harten Jahre.

Heinrich Knapp war Architekt, doch es war nicht leicht, an Aufträge zu gelangen. Sein Traum war ohnehin ein anderer: Ein weiteres Studium, Kunstgeschichte. Sein Vater fand damals, er solle erst einmal als Architekt sein Geld verdienen. Inzwischen, es war Mitte der Siebziger, hatte seine Frau eine gute Stellung inne, das Geld reichte auch für die beiden Söhne, und Heinrich Knapp konnte sich wieder an der Universität einschreiben. Er brachte es bis zur Dissertation: Die mittelalterliche Baukunst hatte es ihm angetan, die Marienburg im heutigen Polen war sein Thema.

Überhaupt der Osten! Heinrich Knapp sprach Russisch und seinen Christenglauben praktizierte er nach dem alten byzantinischen Ritus. Der mehrstimmige, feierliche Gesang in den Gottesdiensten hatte ihn besonders fasziniert. In der Mittenwalder Straße, Kreuzberg, hatte die griechisch-katholische Gemeinde ihre Räume; hier beteiligte sich Heinrich Knapp auch am Aufbau einer Winterunterkunft für Obdachlose. Es war eine der ersten in Berlin. Er unterhielt sich mit den Leuten, die alles verloren hatten, er interessierte sich für ihre Schicksale. Einigen konnte er so gut helfen, dass sie einen Weg aus ihrer Misere fanden.

Nach seinem zweiten Studium wollte er als Kunsthistoriker arbeiten, fand aber in West-Berlin keine Anstellung. In Lübeck, bei der Denkmalpflege kam er unter. Jetzt fuhr er Woche für Woche zu seiner Arbeitsstelle über die Transitstrecke, mitten durch die DDR. Das erregte den Argwohn der Behörden: Warum fuhr dieser alte Bekannte immerzu hier lang?

So kam es zur zweiten Verhaftung. Knapps Frau setzte alles in Bewegung, ihren Mann herauszuholen. Über den Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel gelang es schließlich, diesmal nach zweieinhalb Monaten. Einen Tag vor Weihnachten 1981 war Heinrich Knapp wieder zu Hause. Von nun an flog er nach Lübeck.

An freien Tagen kümmerte er sich um seinen Verein „Nikolauswerk“, zunächst gegründet für die Obdachlosenhilfe und später fortgeführt, um die griechisch-katholische Gemeinde zu erhalten.

Seinen Beerdigungsgottesdienst hielten der Berliner ukrainische Priester und der ukrainische Erzpriester aus Hamburg. Ein achtstimmiger Chor intonierte die liturgischen altslawischen Gesänge. David Ensikat

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