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Berlin: Otto Jansa (Geb. 1926)

Sie feierten, als hätten sie was nachzuholen

Sein Vater war Gasableser und er, Otto Jansa, sollte Elektriker werden. Ein moderner Beruf, einer mit Zukunft. Aber Otto wollte lieber Graveur werden. Doch weil er, seine drei älteren Schwestern, seine Mutter, sein Vater, dessen Brüder und Schwestern, weil die ganze Familie zur Rixdorfer Herrnhuter-Brüdergemeinde gehörte, eine Welt mit vielen Traditionen und noch mehr Werten, weil der Mann der Chef, der Geldverwalter, das Familienoberhaupt war, deswegen wurde gemacht, was der Vater sagte. Der Vater also sagte, du wirst Elektriker, und so stand der 14-jährige Otto eines Morgens vor den Toren der Firma Nordkabel, um seine Lehre zu beginnen.

Otto musste auch zu den Gottesdiensten, zum jährlichen Osterumzug, und er sang im Kirchenchor. Er ging auch zur Hitlerjugend, sehr gerne sogar. Das hatte der Vater nicht bestimmt, dem war das mit den Nazis nichts. Schon gar nicht, seit sie versucht hatten, Onkel Helmut abzuholen, „nur zur Untersuchung“. Da stand sie zusammen, die ganze Familie und hat auf die Behördenmenschen eingeredet. Der Helmut sei eigentlich fast ganz normal. Und Onkel Helmut blieb.

Otto gefiel das Brimborium mit den Fahnen, den Trommeln, den Aufmärschen. Ihm gefiel es auch, in der ersten Reihe zu stehen. Eine Kapelle zu dirigieren, obwohl er keine Noten lesen konnte. Und mutig war er auch. Da sah er dieses Mädchen, Hildchen, so wunderschön. Die musste er ansprechen. Er stolzierte um sie herum, warf seinen Charme aus wie ein Fischer sein Netz, bis sie ihm einen ersten Kuss und mehr schenkte. Nach 1945 kehrte er an ihre Haustür zurück. Vielleicht, vielleicht, würde sie „ja“ sagen. Aber sie ließ ihn nicht mal rein. Ein Polizist saß an seinem Platz, der verdiente Geld und konnte sie beschützen. Ade, du wunderschöne Jugendliebe.

Doch noch mal zurück ins Jahr 1944, die graue Wehrmachtsuniform war dem schmalen Otto viel zu groß. In Dänemark, an der „Butter- und Sahnefront“, überstand er die letzten Kriegsmonate unbeschadet. Kurz vor Schluss, die Offiziere hatten sie einfach nach Hause geschickt, versteckte er sich in einem verlassenen Haus. Da hörte er ein Stöhnen. In einem Zimmer fand er einen anderen deutschen Soldaten, zusammengekauert, in einer Ecke, die Hände vor den offenen Bauch gepresst. Otto wollte helfen, doch es war zu spät.

In Berlin war der Vater an der Ruhr gestorben. Nun war Otto der Mann in der Familie. Die Mutter, die nie was anderes als Hausfrau gewesen war, die Schwestern, die Tanten, alle wohnten sie zusammen in der kleinen Rixdorfer Wohnung, erster Stock, Blick auf die Statue des dicken Friedrich Wilhelm.

Ja, diese Jahre waren schwierig. Otto machte seine Lehre zu Ende, war dann arbeitslos. Aber deswegen nicht zu feiern, dafür gab es keinen Grund. Mit den Freunden oder der Familie, in der Kneipe oder zu Hause, zu Silvester oder Fasching oder einfach so, sie feierten, als hätten sie was nachzuholen.

Über Ani, die Freundin vom Willi, der ein Freund vom Otto war, lernte dieser dann die Waltraud kennen, auf einer Feier, klassische Verkuppelungstaktik. Es gab nur einen Haken: Waltraud wollte nicht. Sie hatte eine Tochter von einem russischen Soldaten, den sie liebte und der sie liebte. Eine verbotene Liebe. Jemand denunzierte sie. Beide wurden verhaftet. Den russischen Soldaten, Michael, hat niemals jemand wieder gesehen. Waltraud trauerte, und Otto ließ sich von den Details nicht irritieren. Er warf wieder sein Netz aus, bis sie endlich „Ja“ sagte. „Aber nicht ohne meine Tochter.“

Sie heirateten in der kleinen Kirche am Richard-Platz in Neukölln. Mit weißer Pferdekutsche. Nur die Familie tat sich schwer mit Ottos Gattin. Die Herkunft der Tochter sollte jahrzehntelang ein Familiengeheimnis bleiben.

Waltraud hörte zufällig im Radio die Reklame für freie Stellen bei der AEG und schickte Otto hin. Er begann als Elektriker, fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit, um Geld zu sparen, stieg zum leitenden Monteur auf. Er und seine Jungs im Blaumann verlegten die Kabel auf den neuen U-Bahnhöfen, Augsburger Straße, Alt-Tempelhof.

1966 wagten die Jansas ein Abenteuer, was ganz Neues. Waltraud und Otto kauften eine Kneipe. Die 8000 Mark brachten sie mit einem Kredit von der Brauerei auf. Sie nannten die Kneipe „Zum Schlendrian“, die drei Kinder machten die Buletten mit extra Salz und Pfeffer, Waltraud das Eisbein mit Kartoffelsalat, und Otto stand hinter der Theke und unterhielt die Gäste. Das Bier floss und das Geld, und die Kinder bekamen einmal im Monat eine Tafel Karina-Schokolade und Waltraud ein weiteres Stück für das Goldrandservice.

Nach zwei Jahren hatten alle genug. Kneipe brauchte Zeit, Familie auch. Also verkauften sie, 12 000 Mark, Otto ging zur AEG zurück und wurde Chef vom Werkzeuglager. Die erste Reihe, im Mittelpunkt stehen, den Maxen machen und Reden halten, das war sein Ding. Also ließ er sich in den Betriebsrat wählen, war 1. Vorsitzender des Laubenbesitzervereins, 1. Vorsitzender der Siedlungsgemeinschaft, wahlweise Clown, Weihnachtsmann, Hauptmann von Köpenick, sang, hielt Reden, unterhielt klein bis groß bis alt. Selbst im Seniorenheim mimte er zum Karneval einen Scheich mit Rollator, und im Pflegeheim sang er den Damen alte Kirchenlieder vor. Wo Otto war, da war Musike. „Alles Liebe, alles Gute, alles Schöne“, so verabschiedete er sich immer.

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