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Papst-Messe in Berlin: Schaut auf dieses Stadion!

Den Berlinern mag das Olympiastadion heute wie eine normale Sportstätte vorkommen. Durch den Papstbesuch steht die Arena jetzt wieder im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit – mitsamt der Nazi-Vergangenheit.

Kann schon sein, dass der Papst mit einem mulmigen Gefühl angereist ist. Eine Messe im Olympiastadion! Parallel zu einem Fest dieser fehlgeleiteten jungen Leute, die mitten in Berlin ein schwul-lesbisches Straßenfest feiern wollen! Und dann noch dieser Spaziergang mit dem Bundeskanzler durch das Brandenburger Tor – da ist doch schon mal ein Kanzler marschiert, im Januar 1933! Am Ende wird alles gut. Im Juni 1996, beim bislang letzten Berlin-Besuch des Heiligen Vaters. Lesben und Schwule blieben unter sich, der Spaziergang mit Helmut Kohl fand kaum Beachtung, und möglichen Nazi-Allegorien ging Johannes Paul II. mit einer großen Geste aus dem Weg, mit der Seligsprechung des Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, der 1943 auf dem Transport ins Konzentrationslager Dachau sein Leben ließ.

15 Jahre später liegen die Dinge ein wenig anders. Der Papst ist nicht mehr ein Pole, der sich während es Krieges zur Zwangsarbeit in einem Steinbruch verpflichtete, um einer Deportation nach Deutschland zu entgehen. Sondern ein Deutscher mit einer Vergangenheit als Hitler-Junge. Kaum wurde Ende Mai bekannt, dass Benedikt XVI. der großen Nachfrage wegen vom Schloss Charlottenburg ins Olympiastadion ausweichen muss, da meldete die weltweit verbreitete britische Nachrichtenagentur Reuters: „Pope’s Berlin mass moved to Nazi Olympic site“ – Berlin-Messe des Papstes auf Nazi-Olympiagelände verlegt. Zeitungen wie der „Daily Telegraph“ griffen das gern auf. Und der in den USA beheimatete „Catholic News Service“ ging in seinem Bericht gleich zweimal darauf ein, dass das Olympiastadion „unter Hitler“ oder „von Nazis“ gebaut worden sei.

In Benedikts Auftritt im Olympiastadion treffen sich zwei Lieblingsthemen der Angelsachsen. Die Faszination für alles, was mit dem Dritten Reich zusammenhängt. Und das Unbehagen der anglikanisch-protestantischen Christen mit dem Pontifex der römisch-katholischen Kirche, trotz dessen überraschend gut verlaufenen Besuchs im vergangenen September in Großbritannien. „Man muss schon den Kontext sehen“, sagt Christopher Young, der an der Universität Cambridge Germanistik lehrt und derzeit als Gastwissenschaftler an der FU Berlin ist. „Nicht jeder in Großbritannien mag diesen Papst. Er ist ein Erzkonservativer in einer sich rasend schnell verändernden Welt. Dazu kommt seine Vergangenheit in der Hitler-Jugend. Als dann die Meldung mit seiner Messe im Olympiastadion kam, da war die Versuchung einfach zu groß“, selbst für die sonst eher zurückhaltenden Kollegen von Reuters.

Ach, die Versuchung. Kaum eine britische Zeitung widerstand ihr im April 2005, als aus dem Kardinal Joseph Ratzinger der Papst Benedikt XVI. wird. Am nächsten Morgen druckten sie alle das Foto, das den kleinen Joseph als Hitler-Jungen zeigt (und manche erwähnten auch, dass die Mitgliedschaft in der HJ keineswegs freiwillig war). „Vom Hitler-Jungen zum Papa Ratzi“, titelte die „Sun“, der „Daily Telegraph“ formulierte besonders ergreifend: „Gottes Rottweiler wird Papst.“ Und jetzt predigt er auch noch im Olympiastadion, dem laut Reuters trotz aller Umbauten immer noch seine Nazi-Vergangenheit anzusehen ist, ständige Mahnung an die Spiele 1936, die „Hitler dazu benutzte, auf der Bühne ein neu erwachtes Deutschland anzupreisen“.

Lesen Sie mehr über die Entstehungsgeschichte des Olympiastadions. Weiter auf Seite 2.

Natürlich ist das Olympiagelände mit Maifeld, Sportforum und Waldbühne keine politisch unschuldige Architektur. Sein Architekt, Werner March, wollte zu Olympia 1936 eigentlich eine moderne Stahlbetonkonstruktion errichten. Hitler persönlich ordnete die Verkleidung mit Naturstein an, er gab auch die bewusst Größe symbolisierende Achse mit dem Marathontor als Öffnung zum Glockenturm in Auftrag. Mit einem Fassungsvermögen von 100 000 Zuschauern war das Olympiastadion damals das größte der Welt. Und doch war er nicht zufrieden mit dem Stadion. Weil es zur Hälfte im märkischen Sand vergraben war, erschien es ihm zu klein, nicht wuchtig genug. Noch während der Bauphase wollte Hitler einen dritten Ring anbauen lassen, und als sich das nicht mehr verwirklichen ließ, beauftragte er seinen Leibarchitekten Albert Speer damit, in Nürnberg ein wahres Deutsches Stadion zu bauen. Für 400 000 Zuschauer, für eine Zukunft, in der Olympische Spiele nur noch in Deutschland stattfinden sollen. Es reichte nur zu einer Baugrube.

„Den Berlinern mag das Olympiastadion heute wie eine ganz normale Sportstätte vorkommen“, sagt Christopher Young, „im Ausland aber wird das immer noch ein wenig anders gesehen.“ Aus Sorge um die politische Symbolwirkung etwa wollten die Münchner Organisatoren vor den Spielen 1972 kein Mauerstück aus dem Berliner Olympiastadion als Grundstein für ihr eigenes Stadion geschenkt bekommen. Bei anderen mag auch das schlechte Gewissen die Erinnerung belasten. Etwa bei den Franzosen, 1936 marschierten sie zur olympischen Eröffnungsfeier mit erhobenen rechten Armen ins Stadion. Später argumentierten sie verschämt, es habe sich dabei um den alten olympischen Gruß gehandelt.

Damit können sich die Engländer schwerlich herausreden in der Rückschau auf dieses seltsame Fußballspiel im Frühling 1938. Längst standen die Zeichen auf Krieg in Europa. Zwei Monate zuvor hatte Hitler-Deutschland sich Österreich einverleibt, aber Englands Premier Neville Chamberlain setzte immer noch auf Appeasement, auf Beschwichtigung des braunen Diktators, was vor den 110 000 Zuschauern im Olympiastadion zu einer grotesken Szene führte. Als beide Mannschaften Aufstellung nahmen in der Mitte des Platzes, reckten auch die englischen Spieler den rechten Arm in Richtung Führerloge. Das Foto der stramm salutierenden Fußballspieler gilt noch heute als Dokument für die gescheiterte britische Vorkriegspolitik.

Es ist nicht zweifelsfrei belegt, ob nun der englische Verband oder der Botschafter oder Chamberlain höchstpersönlich die Anordnung zu dieser Grußadresse gegeben hat. Es heißt, die englischen Spieler seien alle dagegen gewesen, und entsprechend wütend spielten sie im sportlichen Teil des Spektakels auf. Nach dem 6:3-Sieg rezitierte die „Times“ genüsslich ein Spiel, „das so brillant gewonnen wurde, dass die Nazis mit stotternden Flüchen in der Führerloge zurückblieben“.

Ein paar Wochen später wurde das Olympiastadion zum Bunker ausgebaut, als Depot für Munition und Nahrungsmittel. Im Krieg verschonten Fliegerstaffeln von Bomber-Harris das Stadion, weil es den aus Westen anfliegenden alliierten Piloten als perfekte Wegmarke für den Anflug ins Stadtzentrum dient. Nach dem Krieg gehörte das Olympiagelände zum britisch besetzten Teil Berlins, und die britische Besatzungsmacht richtete dort ihr Hauptquartier ein. Bis 1990 diente das Haus des Sports mit dem Goldenen Adler an der Front dem britischen Stadtkommandanten als Hauptquartier.

Es hätte schönere Plätze im britischen Sektor gegeben, zum Beispiel das Schloss Charlottenburg, aber die Engländer sind bis heute fasziniert von den düsteren Gemäuern in Neu-Westend. Vielleicht ist es ihnen zu verdanken, dass das Stadion noch steht. Die Russen als Besatzungsmacht hätten das Stadion vielleicht geschleift – so wie sie Ulbrichts Sprengkolonnen freie Hand gaben für die Beseitigung des keineswegs irreparabel zerstörten Stadtschlosses.

Wie es in den Nachkriegsjahren weiterging, lesen Sie auf der letzten Seite.

Sorgfältig und behutsam machten sich die Engländer daran, die geringen Kriegsschäden zu beseitigen. Ein paar Hakenkreuze und die „Führerloge“ auf der Ehrentribüne wurden entfernt, der Bunker wurde ebenso gesprengt und der Glockenturm, aber auch nur, weil er im Krieg ausgebrannt und damit baufällig war. Bei der Sprengung ging die 14 Tonnen schwere Olympiaglocke zu Bruch. Britische Soldaten vergruben die Glocke in einem Bombentrichter, um sie vor plündernden Metalldieben zu schützen.

Ansonsten blieb das Stadion in seiner Substanz weitgehend unverändert. Nicht einmal die historisierenden Steinfiguren wurden angetastet. Stück für Stück machten die Briten das Gelände öffentlich zugänglich. Im September 1965 spielten die Rolling Stones in der Waldbühne. Mick Jagger, das Londoner Kriegskind, machte sich einen Spaß daraus, im Stechschritt über die Bühne zu marschieren und das Publikum mit erhobenem Arm zu grüßen. Später spielten die Stones noch öfter im Olympiastadion, und Jagger erzählte Leni Riefenstahl bei seiner Hochzeit, er habe ihren Film „Triumph des Willens“ mindestens 15 Mal gesehen. Sein Kollege Keith Richards empfindet es noch heute als gespenstisch und faszinierend zugleich, vor 70 000 Zuschauern dort aufzutreten, wo die Nazis die Massen verführten.

Dieser wohlige Schauer bestimmt das Verhältnis vieler Briten zu allem, was mit den tausend deutschen Jahren zwischen 1933 und 1945 zusammenhängt. „Bedenken Sie, dass der Sieg über Hitler die letzte große Stunde Großbritanniens war“, sagt der Germanist Young. Noch immer rufen die englischen Fußballfans bei Spielen gegen Deutschland: „Two World Wars, one World Cup“, Reminiszenz an zwei Siege auf dem Schlachtfeld und einen auf dem Fußballplatz, 1966 im alten Londoner Wembley-Stadion.

Die nächste große Stunde war für 2006 beim alten Lieblingsfeind eingeplant. Englische Fans trugen T-Shirts mit der deutschsprachigen Aufschrift: „Bis bald in Berlin“, aber ihr Team scheiterte bei der WM lange vor dem Endspiel im Olympiastadion. Und doch waren sie überwältigt von der Atmosphäre in einem neuen Deutschland, das sie so nicht erwartet hatten. Auch Christopher Young empfindet die WM 2006 als „Meilenstein für Deutschlands Ansehen in der Welt“. Gerade ist er mit einem Reporter der BBC im Olympiastadion gewesen. „Der war total überrascht, wie alle, die es zum ersten Mal sehen. Wenn man einmal drin steht, fallen alle Vorurteile, dann wirkt das Stadion überhaupt nicht mehr monumental. Wembley war nur ein paar Jahre älter und ist abgerissen worden“, und das schmerze beim Anblick des Olympiastadions, „denn das ist ein Kunstwerk!“

Eine ähnliche Überraschung hat den Engländern auch der ungeliebte Papst beschert. Vor einem Jahr, zum Antrittsbesuch bei der Queen und beim Erzbischof von Canterbury. Benedikt XVI. war kein gerngesehener Gast, die Zeitungen nörgelten über die aufwändigen Sicherheitsmaßnahmen, die Missbrauchsfälle unter dem Dach der katholischen Kirche bestimmten die Schlagzeilen. In seinen vier Tagen gelang ihm, was der Vatikan heute als „Wunder von England“ preist. Benedikt trat bescheiden und zurückhaltend auf, er gedachte der Opfer des deutschen Luftangriffs auf Coventry und rühmte den englischen Widerstand gegen die Nazis. „Der Besuch ist wirklich sehr gut angekommen“, sagt Christopher Young. „Der Papst hat kluge Sachen gesagt und sich sehr gut verkauft. Man kann schon sagen, dass ihn eine Aura umgibt.“ Was ja auch auf das Olympiastadion zutrifft.

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