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Die Spitze des Berliner Fernsehturms leuchtete am Dienstagabend in den Farben Frankreichs. Weltweit erstrahlen bekannte Gebäude nach den Anschlägen von Paris in den Farben der Trikolore.

© dpa

Paris, Berlin und die Folgen: Senator Henkel: "Wir sind im Fadenkreuz des Islamistischen Terrors"

Am Dienstagabend wurde das Länderspiel in Hannover abgesagt, Mittwochfrüh gab es einen Anti-Terror-Einsatz in Paris. Wie ist die Sicherheitslage in Berlin?

Am Mittwochmorgen gab es im Pariser Vorort Saint-Denis einen Anti-Terror-Einsatz, eine Frau sprengte sich währenddessen selbst in die Luft. Alles Aktuelle dazu lesen Sie hier. Außerdem wurde am Dienstagabend das Länderspiel Deutschland - Niederlande in Hannover kurz vor Anpfiff abgesagt. Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für Berlin? Wir halten Sie hier auf dem Laufenden.

Veranstalter sagten das die Zahl der Security nicht erhöht werde, bis keine besondere Warnung der Polizei vorliege.

+++ Auf dem Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche am Charlottenburger Breitscheidplatz, werde es zunächst keine erhöhten Sicherheitsmaßnahmen geben. Das sagten am Mittwoch die Veranstalter, die AG City und der Berliner Schaustellerverband. Die Polizei äußerte sich dazu nicht. Erst wenn eine besondere Warnung der Polizei vorliegen würde, würden auch die Sicherheitsmaßnahmen erhöht werden.

+++ Der Geschäftsführer von Alba Berlin, Marco Baldi, sagt zum Heimspiel gegen Bayern München am vergangenen Sonntag: "Ich habe gerade mit unserem Sicherheitsverantwortlichen gesprochen, es wurde mehr kontrolliert, aber die Leute waren entspannt, die wollten das Spiel sehen. Sie haben reagiert wie ich, betroffen, aber normal wieder ins Leben hinein gehend. Wir sind im öffentlichen Raum, wer glaubt, der ist hundertprozentig zu schützen - das ist unmöglich. Wir haben laut Sicherheitsexperten seit Jahren eine beständige Sicherheitsstufe, die war schon sehr hoch und ist durch Paris nicht höher geworden."  

+++ Hertha BSC reagiert mit einem "umfangreichen Maßnahmenpaket" auf die angespannte Sicherheitslage. Der Bundesligist spielt am Sonntag um 15.30 Uhr im Olympiastadion gegen die TSG 1899 Hoffenheim. Der Verein nehme die Lage sehr ernst und setze seit Jahren auf ein fundiertes Sicherheitskonzept. Dieses werde vor jedem Spieltag mit den zuständigen Behörden, Ordnungskräften und Mitarbeitern abgestimmt. Über konkrete Maßnahme äußerte sich Hertha nicht, diese "unterliegen der absoluten Verschwiegenheit". Die BZ berichtet jedoch, dass die Zahl der Ordner – üblicherweise sind es in und um das Olympiastadion etwa 700 – am Sonntag erhöht werden soll.

+++ Bei den Heimspielen der Eisbären am kommenden Wochenende (Freitag, 19.30 Uhr, gegen Thomas Sabo Ice Tigers; Sonntag, 14.30 Uhr, gegen die Hamburg Freezers) müssen sich die Zuschauer auf längere Wartezeiten bei den Einlasskontrollen vor der Mercedes-Benz-Arena einstellen. In Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden werde das Sicherheitskonzept "stetig überprüft und angepasst", teilten die Eisbären mit.

+++ Innensenator Frank Henkel (CDU) äußerte sich beim Verfassungsschutzausschuss über die aktuelle Sicherheitslage in Berlin nach der Absage des Fußballspiels in Hannover : "Es gibt keine veränderte Sicherheitslage in Berlin. Wir haben weiterhin eine abstrakt hohe Gefährdungslage. Wir sind im Fadenkreuz des Islamistischen Terrors".

Zuvor mussten die Abgeordneten des Verfassungsschutzausschusses am Mittwoch eine gute Stunde auf den Innensenator Henkel warten. Er befand sich bis etwa 12:30 Uhr noch in einer Telefonkonferenz mit dem Bundesinnenminister und den Länderministern. Nach der Telefonkonferenz sei klar, dass die Hannoveraner Sicherheitsbehörden das Spiel nach einem substanziellen Hinweis eines ausländischen Sicherheitsdienstes abgesagt hatten. "Im Ergebnis war die Absage des Spiels unausweichlich", sagte Henkel. Auf die Frage, ob Waffen gefunden worden seien, sagte er: "Kein Kommentar". Zunächst gibt es keine Auswirkungen auf Berlin. "Wir haben keine konkreten Hinweise auf konkrete Anschläge." In Bezug auf die nächste Woche beginnenden Weihnachtsmärkte oder die im Februar startenden Karnevalsumzüge sowie auf die Spiele der Fußball-Bundesliga werde man eine "besondere Wachsamkeit" an den Tag legen müssen. In Berlin werde Hertha BSC "eigene Vorkehrungen" treffen. Auch die Polizei sei dabei. "Die Angst ist ein schlechter Ratgeber. Aber Vorsicht ist es nicht", sagte Henkel. Es müsse eine Debatte über die bessere Ausrüstung der Polizei geführt werden. Ob, wie in Frankreich, auch in Deutschland Militär eingesetzt wird, sei eine "Diskussion, die angestoßen wird. Es ist richtig, darüber zu diskutieren", sagte Henkel. Allerdings müsse es dafür eine verfassungsmäßige Mehrheit geben.+++

+++Staatssekretär Bernd Krömer referierte im Ausschuss zuvor über den Verfassungsschutzbericht 2014. Der Bericht zeige, vor welchen Herausforderungen die Demokratie stehe. Die Instrumentalisierung wichtiger Themen durch extremistische Kräfte dürfe man nicht hinnehmen. Die Bürger müssten darüber informiert werden. In dem Verfassungsschutzbericht steht, dass allein in Berlin die Zahl der Salafisten von 350 im Jahr 2011 auf inzwischen mehr als 650 gestiegen ist, darunter 340 gewaltbereite Salafisten. Der SPD-Verfassungsschutzexperte Tom Schreiber sagte, fünf Leute aus der islamistischen Szene würden in Berlin im Gefängnis sitzen, sieben in U-Haft. Der Staat müsse sich die Frage um seine Verantwortung stellen. Er, Schreiber, stelle sich die Frage, wo die Gesellschaft versagt habe, wenn man sich zum Beispiel die Biografie des ehemaligen Berliner Rappers Denis Cuspert ansehe. Er plädierte für eine gut ausgestattete Präventionsarbeit.+++

+++Der Berliner Dom hat bereits seit Samstag seine Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, wie eine Sprecherin mitteilte. "Besucher mit großen Taschen und Rucksäcken müssen diese entweder vom Sicherheitspersonal durchsuchen lassen, oder draußen in die Schließfächer sperren." Um die Überwachung des Doms kümmert sich die private Sicherheitsfirma GSE. Der Geschäftsführer des Doms, Lars-Gunnar Ziel, hatte die Maßnahme am Samstagmorgen per Mail an die GSE angeordnet. Derzeit würde geprüft, ob man mehr Personal benötigt.+++

+++ Auch die Polizei in Berlin reagiert auf die erhöhte Gefährdungslage in der Stadt. Allerdings sei das Sicherheitsniveau generell sehr hoch. Welche Maßnahmen nun konkret getroffen wurden, konnte Polizeisprecher Stefan Redlich allerdings nicht ausführen: "Die Lage wird ständig bewertet und wir passen die Schutzmaßnahmen dementsprechend an. Was wir genau machen, geben wir aber nicht bekannt", sagte Redlich. Für die Bewertung ist eine Fachdienststelle im Staatsschutz zuständig, die auch mit Einheiten anderer Bundesländer in Kontakt steht und die Sicherheitslage ständig neu einschätzt. Aufgrund dieser Einschätzung werden die Maßnahmen der Polizei dann angepasst - zur Zeit also erhöht. Ob eine Urlaubssperre für Polizeibeamte verhängt wurde, wie es am 1.Mai etwa Praxis ist, konnte Redlich derzeit nicht bestätigen.

Die Häufigkeit von Anrufen mit Hinweisen auf verdächtige Gegenstände aus der Bevölkerung ist stark angestiegen. Normalerweise gebe es durchschnittlich einen bis zwei solcher Hinweise am Tag, doch bereits in den letzten beiden Tagen waren es insgesamt elf. "Wir nehmen jeden Hinweis ernst", sagte Redlich. Deshalb gebe es vermehrt Polizeieinsätze zur Objektsicherung. Oft ist es eine herrenlose Tasche oder ein Koffer, der die Leute nervös macht. "Bisher war es glücklicherweise immer Fehlalarm". Es sei gut, dass die Menschen wachsam seien.

+++ Bei Trinity Music, mit über 600 Veranstaltungen pro Jahr einer der größten Konzertveranstalter der Stadt, heißt es, bei den Veranstaltungen werde sehr stark kontrolliert. Dies sei aber auch schon vor den Anschlägen der Fall gewesen. Das ursprünglich für heute in der Columbiahalle geplante Konzert der US-Band Deftones wurde indes abgesagt. Grund seien jedoch keine Sicherheitsbedenken gewesen, sondern eine Entscheidung der Band. Einige der Musiker waren am Freitag im Bataclan in Paris beim Konzert der Eagles of Death Metal, als die Attentäter die Halle stürmten. Sie sahen sich nicht imstande, ihre Tournee fortzusetzen.

+++ Die Berliner Ahmadiyya-Gemeinde hat sich klar und deutlich vom islamistischen Terror distanziert. Am Tag nach den Anschlagsdrohungen rund um das Fußballländerspiel in Hannover hatte die Gemeinde in ihre Pankower Moschee eingeladen, um Stellung zu beziehen, aber auch um für den friedlichen Islam zu werben. Der Imam der Pankower Khadija-Moschee, Said Arif, sagte vor Journalisten: “Nach Anschlägen wie denen in Paris können auch wir nicht ruhig schlafen, denn es schmerzt, wenn der Islam für solche Verbrechen missbraucht wird.” Es sei traurig, dass sich Muslime in Deutschland überhaupt vom Terror distanzieren müssten, sagte Arif weiter. Viele empfänden die Aufforderung dazu beinahe als Nötigung. “Das, was passiert ist, hat mit uns schließlich nichts zu tun.” Gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der rund 40.000 Mitglieder zählenden deutschen Ahmadiyya-Gemeinschaft, Abdullah Uwe Wagishausen, stellte Arif auch eine geplante Plakatkampagne mit dem Titel "Muslime gegen Gewalt" vor. Darauf sind Koranverse abgedruckt, die den friedlichen Charakter des Islam dokumentieren sollen. “Stiftet kein Unheil auf Erden”, heißt es da beispielsweise. Damit will sich die Gemeinschaft, die sich als Reformbewegung versteht, klar von radikalen Strömungen innerhalb des Islam absetzen. Arif und Wagishausen warnten vor allem vor salafistischen Strömungen. “Hier muss der Verfassungsschutz wachsam sein”, sagte Arif.

Grundsätzlich sehen die Ahmadiyya-Vertreter Deutschland allerdings gut gewappnet gegen Extremisten. “Die Integration von Muslimen funktioniert in Deutschland besser als etwa in Frankreich oder Belgien”, sagte Wagishausen. Rechtsfreie Räume und eine Ghettobildung wie in Brüssel gebe es in Deutschland nicht. “Das muss man auch mal wertschätzen.” Überall in Deutschland gebe es inzwischen Runde Tische und interreligiöse Dialoge, lobte der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya-Gemeinschaft. “Wir haben eine gute Kommunikationsebene gefunden.” Auch die Kontakte zwischen den verschiedenen muslimischen Gruppierungen seien vorbildlich. Er kenne kein anderes Land, in dem es so etwas wie eine muslimische Ökumene gebe, so Wagishausen weiter. “In Deutschland sitzen wir an einem Tisch, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.”

Um die Ahmadiyya-Gemeinde in Pankow war es zuletzt still geworden. Sie ist die einzige Moschee im Ostteil der Stadt und bis heute auch die einzige in Ostdeutschland insgesamt. Vor der Eröffnung 2008 hatte sich eine Bürgerinitiative gegen den Bau der Moschee engagiert. Inzwischen habe sich aber eine gute Nachbarschaft entwickelt, sagte Imam Arif. “Immer, wenn etwas passiert, spüren wir aber, dass sich die Stimmung verändert,” sagte er dem Tagesspiegel. Auch mit Pegida sei das Misstrauen gegen die Gemeinde wieder stärker geworden. Proteste gebe es aber nicht mehr.

+++ A propos Salafismus und Kampf gegen Gewalt: Großer Andrang herrscht zur Stunde im Roten Rathaus. Der Senat hat zu einem "Fachtag" zum Thema Salafismus für Polizisten und Lehrer eingeladen. Das Interesse ist enorm: Mehrere hundert Menschen sind gekommen - es ist so voll, dass unser Reporter leider freundlich an der Tür abgewiesen wurde. Wegen Überfüllung geschlossen. Schade!

+++ Nach dem abgesagten Länderspiel ist die "Bedrohungssituation in Berlin hoch", heißt es aus der Berliner Innenverwaltung. Täglich würden Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene abgestimmt. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte dem Tagesspiegel: "Die Bedrohungslage ist weiterhin auf einem sehr ernstzunehmenden Niveau. Wir haben allen Anlass, wachsam zu sein. Vorsicht ist geboten, Angst wäre jedoch ein falscher Ratgeber. Wenn wir uns jetzt nicht mehr vor die Tür trauen würden, hätten die Terroristen gewonnen." Die Sicherheitsbehörden hätten bereits in der Nacht zu Sonnabend die Maßnahmen in Berlin hochgefahren. Zu konkreten Details äußerte sich Henkel nicht. "Einige dieser Maßnahmen sind im Stadtbild sichtbar, andere nicht." Die Sicherheitsbehörden würden in Deutschland alles Menschenmögliche tun, um solche Taten zu verhindern. "Absolute Sicherheit gibt es jedoch nicht", sagte Henkel.

+++ Die Bundespolizei ist seit den Anschlägen in Paris auch in Berlin verstärkt im Einsatz. Die Evakuierung des Stadions in Hannover am gestrigen Abend ändert daran nichts. "Nach wie vor gelten die Aussagen des Innenministers von Samstagmittag", teilt eine Sprecherin mit. Am Tag nach den terroristischen Attacken hatte Thomas de Maizière "verstärkte Präsenz und Kontrolle des Flug- und Zugverkehrs durch die Bundespolizei" angekündigt. Auch eine "robuste Ausstattung" der Beamten gehöre zu den Maßnahmen. Aus taktischen Gründen würden einzelne Maßnahmen jedoch nicht genannt.

+++ In der Nachkriegszeit wurden Kerzen ins Fenster gestellt, um Solidarität mit den Deutschen im Osten zu zeigen, erinnert sich Renate G. Jetzt möchte die Tagesspiegel-Leserin diese Geste den Opfern der Pariser Anschläge widmen. Hier lesen Sie mehr über die Idee.

+++ Von den Betreibern des Weihnachtsmarktes Spandau und von Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD) heißt es, es gebe aktuell keine Erkenntnisse über eine veränderte Sicherheitslage. Der Spandauer Weihnachtsmarkt soll am 25. November eröffnet werden.

+++ Auch die S-Bahn macht keine Angaben zu eventuell erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Zuständig für die Sicherheit auf Bahnhöfen sei die Bundespolizei, teilt ein Sprecher mit.  

+++ Nicht nur das Brandenburger Tor: Am Dienstagabend leuchteten auch die Lichter über dem Drehrestaurant des Fernsehturms in den Farben Frankreichs.

+++ Die BVG steht in engem Kontakt mit Polizei und Staatsschutz. Zu konkreten Vorkehrungen äußert sich Pressesprecherin Petra Reetz aber nicht und verweist auf die Sicherheitsbehörden.

+++ Noch bis heute können Lufthansa-Kunden ihre Tickets für Paris-Reisen kostenlos umbuchen. Manche Reisekonzerne sind sogar noch kulanter. Hier lesen Sie mehr.

+++ "Was wäre, wenn ich an diesem Abend in einem der Pariser Cafés gesessen hätte?", fragt sich Philipp. Wie zwei Berliner im Pariser Fußballstadion den Abend der Terroranschläge erlebten, lesen Sie hier.

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