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Berlin: Parole Ost: Letzte Rettung Schwarzmarkt

Die Bewohner des Sowjetsektors hörten 1948 hier und da das Brummen der Dakota- und Skymaster-Flugzeuge. „Nicht bei jedem kamen dabei gute Gedanken“, sagt ein Rentner aus dem Baumschulenweg, „schließlich war der Krieg erst drei Jahre vorbei, diese dunklen Töne kamen einem bekannt vor.

Die Bewohner des Sowjetsektors hörten 1948 hier und da das Brummen der Dakota- und Skymaster-Flugzeuge. „Nicht bei jedem kamen dabei gute Gedanken“, sagt ein Rentner aus dem Baumschulenweg, „schließlich war der Krieg erst drei Jahre vorbei, diese dunklen Töne kamen einem bekannt vor.“ Aber die Ost-Berliner wussten, dass für ihre Verwandten, Freunde und Kollegen in den Westsektoren die Überlebenshilfe aus der Luft kam. „Doch wenn wir unsere Zeitungen aufschlugen, lasen wir etwas ganz anderes. Die Luftbrücke wurde mies gemacht, weil sie den Russen und ihren deutschen Helfershelfern nicht in den Kram passte.“

Schon eine Woche nach dem ersten Flug hält die „Berliner Zeitung“ die Luftbrücke für „höchst problematisch“, denn: „Befriedigende Versorgung der Westsektoren durch Flugzeuge ist unmöglich.“ Hier war natürlich mehr der Wunsch der Vater des Gedankens, West-Berlin sollte sich damals gewissermaßen kampflos den Russen ergeben. „Bei dem großen Geschrei, das um die Luftbrücke veranstaltet wird, handelt es sich also um nichts weiter als um einen Reklamerummel, der von Leuten veranstaltet wird, die der Ruhm des unseligen Goebbels nicht schlafen läßt“, schlussfolgert das Blatt, und das „Neue Deutschland“ setzte noch eins drauf, indem es den Westmächten unterstellte, dass sie mit ihren Flugzeugen West-Berlin ausplünderten: „Da der Abtransport hochwertiger Gegenstände durch Autos und Eisenbahn nach dem Westen infolge der Sicherungsmaßnahmen der Ostzone außerordentlich erschwert worden ist, werden jetzt Möbel und sonstige wertvolle Einrichtungen per Flugzeug übergeführt.“ Denn: „Die westlichen Besatzungsmächte haben sich darauf beschränkt, Berlin, das sie als Hauptstadt Deutschlands bereits abgeschrieben haben, wirtschaftlich auszuplündern.“

Das schrieben jene, die ungerührt zusahen, wie die Russen, also ihre „sowjetischen Freunde“, die letzten intakten Maschinen und Gerätschaften aus Ost-Berliner Betrieben demontierten, um sie als „Reparationsgüter“ Richtung Osten zu schaffen. Damals flüsterte sich ein Witz durch die Zone: Unsere Lokomotiven fahren so schnell, dass man das zweite Gleis gar nicht mehr sehen kann. Das zweite Gleis war abmontiert und wegtransportiert worden. Die Ostzone musste für die Naziverbrechen bluten.

Durch die grenzenlose Nachkriegsnot stark gemacht, so erfinderisch wie pfiffig, versuchten die Berliner mit knurrenden Mägen, der Situation Herr zu werden. Auf dem „schwarzen Markt“ unter freiem Himmel wurde gekaupelt und gefeilscht, und wer den direkten Kontakt mit der bäuerlichen Bevölkerung und ihren nahrhaften (Speck-)Seiten suchte, fuhr in vollen Zügen, manchmal auf dem Trittbrett oder auf dem Dach, ins Umland. „Wir wohnten damals in der Altmark, und mich haben die Bauern als Kind vom Hof gejagt, als ich mit dem Kochgeschirr um etwas Milch bettelte“, erinnert sich Max H. aus Berlin-Mitte. „Die rückten ihre Schinken für ganz andere Sachen raus: goldene Uhren, Familienschmuck, Gemälde, Münz- und Briefmarkensammlungen. Wir sagten immer: Die haben ihre Kuhställe mit den Teppichen der Berliner ausgelegt.“

Acht Jahre alt war damals der Historiker und Autor Laurenz Demps, der sich noch an manche Geschichte in der Stadt mit einer „ausgesprochenen Notsituation“ erinnert. „Uns Ost-Berlinern ging es ja nicht viel besser als den Verwandten im Westen, die plötzlich das wertvollere Geld hatten. Aber wir wurden vom Umland versorgt.“ Er ging mit der Mutter zu Verwandten nach Schmargendorf, tauschen war die Devise. „Die drüben hatten Eipulver, Milchpulver, getrocknete Mohrrüben, wir hatten frische Sachen, Eier, Äpfel, Kohl.“ Auf dem Potsdamer Platz stand das Columbia-Haus mit einer großen Werbung für die HO, die im November 1948 gegründet worden war. In ihren Geschäften gab es knappe Waren zu überhöhten Preisen, die aber immer noch unter denen des Schwarzmarktes lagen. Ein Kilo Butter kostete 130 Ostmark, eine Bockwurst sechs, eine Zigarette 0,80 Ostmark. Der Slogan „Der kluge Berliner kauft in der HO“ sollte suggerieren, dass der Osten überlegen war, zumal viele West-Berliner durch den günstigen Kurs Ost- gegen West-Mark der Einladung folgten, sich dort einzudecken. Der Osten senkte peu à peu die HO-Preise, bis die „Berliner Zeitung“ jubilierte: „Die Republik, die macht sich – die Bockwurst kostet achtzig“.

Laurenz Demps’ Vater leitete ein Kepa-Kaufhaus am Bahnhof Greifswalder Straße. Eines Tages räumte er das Lager auf und fand hundert Briefchen mit Nähmaschinennadeln. Aber keiner kaufte die, weil keiner dachte, dass es so etwas gibt. Da hat er sie genommen und ist damit übers Land gezogen, da haben sie ihm die Rarität aus der Hand gerissen. Andere handelten mit Rasierklingen, Zündhölzern, Feuersteinen, Zigaretten. „Mit solchen Sachen sind wir Berliner über die schwere Zeit gekommen – und mit Bescheidenheit und Humor“, sagt Professor Demps.

Zur materiellen Not kamen ja die Erschwernisse einer zwar noch nicht durch eine Mauer, aber durch Schikanen geteilten und beschädigten Stadt. In der Zeit des Kalten Krieges gab es bald zwei getrennte Verwaltungen, zwei Währungen, Einschnitte bei Strom, Gas, Wasser, Telefon und im öffentlichen Nahverkehr. Im August 1961 wurde nur zementiert, was während der Luftbrückenzeit seinen Anfang nahm – die tiefe Spaltung der Stadt.

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