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Berlin: „Pest und Pocken sind gefährlicher“

Der Charité-Infektionsexperte Norbert Suttorp über die Gefahr des asiatischen Sars-Erregers für die Bevölkerung

MYSTERIÖSE LUNGENENTZÜNDUNG: EIN VERDACHTSFALL, VIELE FRAGEN

Wie geht es dem Patienten, der bei Ihnen wegen Verdacht auf das neuartige akute Atemwegssyndrom behandelt wird?

Dem geht es relativ gut, obwohl er Fieber und Zeichen einer Atemwegsinfektion hat. Auch seine Blutwerte sind im Sinne einer Infektion verändert.

Wie behandeln Sie ihn?

Er bekommt Antibiotika. Und er wird nach den Richtlinien behandelt, die es für eine Lungenentzündung gibt, die Patienten außerhalb des Krankenhauses bekommen haben.

Was für ein Erreger könnte es sein? Könnte es nicht auch ein normales Grippevirus sein?

Alle Untersuchungen weisen bisher darauf hin, dass es nicht der bekannte GrippeErreger ist, also das Influenzavirus. Wir haben Blutproben und Sekret aus den Atemwegen zum Robert-Koch-Institut geschickt, um den Keim ausfindig zu machen. Es ist trotzdem durchaus möglich, dass da noch ein bereits bekannter Erreger entdeckt wird. Wir wissen es einfach noch nicht.

Wann gehen Sie denn davon aus, dass jemand das neuartige Syndrom hat?

Nach der Festlegung des Robert-Koch-Instituts, die ja recht locker ist, reicht es schon aus, Fieber, Muskelschmerzen und Atemwegsprobleme zu haben und zudem aus Südostasien zu kommen. Da wir noch keine endgültigen Untersuchungsergebnisse haben, ist es aber auch möglich, dass unser Patient eine Routineerkrankung hat, wie man sie zehnmal am Tag sieht.

Besteht da nicht die Gefahr, dass jeder, der Fieber und Husten hat, glaubt, dass er nun betroffen ist?

Der Betroffene muss aus Südostasien zurückgeflogen sein, und das in den letzten sieben, acht, neun Tagen. Aber auch da werden möglicherweise einige Patienten zu uns kommen, die gar nicht an „Sars“ erkrankt sind. Wenn das Robert-Koch-Institut keinen herkömmlichen Erreger findet, würden wir natürlich schon denken, dass der Kranke von dem neuen Keim infiziert ist. Das müssen wir abwarten. Ich erwarte aber eigentlich, dass unser Patient jetzt schnell entfiebert und dass wir ihn bald entlassen können.

Für wie gefährlich halten Sie denn dieses Syndrom?

Es hält sich in Grenzen. Grundsätzlich muss man sagen: Lungenentzündung ist eine häufige Diagnose. Das kommt 800 000 mal im Jahr in Deutschland vor und führt 240 000 mal zur Aufnahme ins Krankenhaus. Es gibt ein „Kompetenznetzwerk“ zum Thema Lungenentzündung, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Da bin ich der Sprecher. Deshalb kenne ich mich mit Lungenentzündungen gut aus. Mit 240000 Aufnahmen pro Jahr ist die Lungenentzündung, die sich die Leute außerhalb des Krankenhauses zuziehen, häufiger als Herzinfarkt oder Schlaganfall. Es ist einfach eine Volkserkrankung.

Und wie bewerten Sie die neue Form der Lungenentzündung?

Es ist davon auszugehen, dass die Ansteckungsgefahr wohl etwas höher ist als bei den zurzeit bereits bekannten Erregern. Das zeigt sich daran, dass in Südostasien vor allem Pflegepersonal, Ärzte und Lebenspartner infiziert wurden, als sie Patienten behandelten. Das ist bei Lungenentzündungen eigentlich nicht die Regel, in dem Sinne ist also die Ansteckungsgefahr wohl höher. Auf der anderen Seite ist offenbar ein enger Kontakt notwendig. Es reicht nicht, in der gleichen U-Bahn oder im gleichen Stadion zu sitzen, um sich zu infizieren.

Für wie gefährlich halten Sie den neuen Keim?

Insgesamt weiß man von etwa 300 Fällen und von neun Toten. Deshalb hat man schon ein Grundgefühl, wie sich dieser Erreger verhält. Er verbreitet sich nicht so rasend, dass etwa in Saigon jeder Zweite das Bett hüten müsste. Dieser Keim ist nicht ungefährlich, aber er fällt nicht in dieselbe Kategorie wie Pocken oder Pest, sondern ist ein paar Nummern kleiner. Deshalb habe ich auch keine Angst. Wissenschaftlich gesehen ist es natürlich eine Herausforderung, einen neuen Mikroorganismus zu finden, der Lungenentzündungen hervorruft. So etwas hat es immer wieder gegeben. In den 70er Jahren wurden die Legionellen entdeckt, die Erreger der „Legionärskrankheit“, und in den 80ern Chlamydia pneumoniae. Möglicherweise haben wir nun wieder einen neuen Erreger.

Wie kann man sich denn am besten schützen?

Otto Normalverbraucher auf dem Ku’damm braucht keinen besonderen Schutz, und für Krankenhäuser gibt es entsprechende Vorschriften. Noch einmal: Zur Ansteckung ist ein enger Kontakt nötig. Wie bei dem Arzt aus Singapur, der selbst Patienten behandelt hat und nun in Frankfurt am Main therapiert wird. Der Kreis der Gefährdeten ist nach allem, was wir wissen, vergleichsweise klein.

Ist denn Deutschland gewappnet für eine solche Infektion?

Nach unserem Kenntnisstand ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit ja eher gemächlich. Das ist keine weltumspannende Epidemie wie 1918 mit dem Grippevirus, wo mehrere Millionen Menschen das Bett hüten mussten. Das hier geht ja schon seit sechs Wochen, und wir haben bisher „nur“ 300 Patienten.

Das Interview führte Hartmut Wewetzer.

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