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Berlin: Peter Fichtner (Geb. 1948)

Lange Gespräche sind seine Sache nicht.

Dieser Staub überall und die Steine. Es ist auch viel zu warm für einen April. Die schwere Einkaufstasche und dann der Bauch. Bald wird es losgehen. Schnell noch in die Apotheke. Die vier Stufen hoch, bestellen, bezahlen, dann aber schleunigst nach Hause.

Die Frau öffnet die Ladentür, setzt einen Schritt nach vorn und sinkt zu Boden. Es geht jetzt schon los. Peter Fichtner kommt mitten in Moabit, an der Ecke Bandelstraße-Turmstraße, zur Welt.

Die folgenden Jahre sind weniger spektakulär. Das Kind muss nach Schöneberg, muss fünf Jahre zur Großmutter, weg von den unerbittlichen Blicken und Bemerkungen der Leute, die drei Jahre nach Kriegsende die Moral hochhalten, ein uneheliches Kind, um Gottes willen.

Mit sechs darf Peter wieder zurück zur Mutter, zu deren neuem Mann, zu einem Halbbruder, der der Liebling der Mutter ist. Sein Stiefvater kümmert sich dennoch. „Wer weiß, was ohne ihn aus mir geworden wäre“, sagt Peter. Trotzdem ist es nicht leicht in der Schule. „Peter stört den Unterricht“, „Sein Sozialverhalten lässt zu wünschen übrig“, so steht es in den Zeugnissen. Wenn er nach Hause kommt, kocht er sein Essen selbst. Und bastelt Dartpfeile. Bricht dazu die Stiele von Bananen ab, steckt Nähnadeln hinein und schießt die Pfeile in das lackierte Holz der Badezimmertür. Sofort muss Peter die Tür abschleifen und neu anstreichen.

Was ihm weniger ausmacht, als er zunächst denkt. Also beginnt er eine Malerlehre. Doch irgendetwas stimmt nicht, ständig fühlt er sich unwohl. Das Blei aus den Farben reichert sich in seinem Blut an. „Sie müssen an die frische Luft“, sagt der Arzt, und Peter beginnt eine neue Arbeit in einem Betrieb für Schaltkästen.

Dort gibt es eine Kochnische, in der hin und wieder Monika steht, acht Jahre älter als Peter und gerade im Begriff, sich scheiden zu lassen. Sie gefällt ihm, er gefällt ihr. Das einzige Problem: Peter ist noch nicht 21. Die Blicke und Bemerkungen der Leute sind diesmal nicht nur unangenehm, irgendjemand könnte die Behörden informieren. Peter und Monika verhalten sich ein paar Monate lang unauffällig, als er das notwendige Alter erreicht hat, heiraten sie, bekommen einen Sohn und eine Tochter. Peter wechselt in eine Dachdeckerfirma.

Der Winter, wenn es schneit und friert, ist die schönste Jahreszeit für seine Kinder. Dann bleibt ihr Vater zu Hause, steht vor ihnen auf, geht zum Bäcker und kocht Eier, und in ihren Brotbüchsen liegen keine Schulstullen, sondern Schulbrötchen.

Einmal verreist die Familie zusammen, fliegt von Schönefeld aus ans Schwarze Meer nach Rumänien. Es ist das Jahr 1974, als in der Bundesrepublik die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wird. Am Abend des Finales setzt sich Peter unten an die Hotelbar und kommt nach 90 Minuten jubelnd zurück ins Zimmer. Im Fußball kennt er sich aus, hat selbst auf dem Feld gestanden, verfolgt nachmittags die Pokalspiele der DDR-Mannschaften, schaltet danach auf ARD oder ZDF und guckt die Bundesliga.

Die nächsten Urlaube aber, so schön es auch war im warmen Süden, verbringt die Familie in ihrem neuen Schrebergarten am Heckerdamm. Auf 320 Quadratmetern haben sie alles, was sie sich wünschen. Manchmal meckert Monika: „Ich bin mit einem Dachdecker verheiratet, aber es tropft von oben.“ Dann steigt er auf die Laube und repariert das Loch, lange Gespräche sind seine Sache nicht. Einmal aber äußert er sich deutlich: „Ein Hund kommt mir nicht ins Haus.“ Dann steht er Tag für Tag in der Küche und kocht das Futter, während Paule um seine Beine streicht. „Das Dosenzeug wird nicht gekauft.“

Als Monika stirbt, verstummt Peter fast ganz. 42 Jahre hat er keinen Tag ohne sie verbracht. Er muss jetzt ständig ins Krankenhaus, kaum etwas in seinem Körper funktioniert noch richtig. Acht Monate nach seiner Frau, schläft Peter ein.

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