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Berlin: Peter Giese (Geb. 1939)

Die Wand war dick und fest. Egal, er musste da jetzt durch.

Pfusch ist eine besonders perfide Form der Beleidigung. Peter Giese konnte sich darüber maßlos ärgern. Im Osten wurde gepfuscht, wegen der Mangelwirtschaft, das wusste er ja. Dass im Westen auch gepfuscht wurde, hat ihn schockiert. Die Betonschäden im Märkischen Viertel – „viel schlimmer als in unseren Neubaugebieten“, meinte er, und dann wagen die Westler, abschätzig von „Platte“ zu sprechen und damit nur die Ost-Blöcke zu meinen. Er wohnte selbst in einem dieser Plattenbauten, zehnter Stock, mit bester Aussicht auf Charité und Fernsehturm.

Peter hat immer gearbeitet. Schon als Kind in Altlandsberg musste er mit anpacken, weil sein Vater im Krieg geblieben war. Mit den älteren Geschwistern ging er Kohlen und Äpfel klauen – und Schlittschuhlaufen. Die älteren Geschwister machten Ausbildungen, Peter durfte als Einziger studieren. Er musste sich sein Studium aber verdienen, auf Baustellen schleppte er schwere Säcke.

Aber fröhlich war er immer, ein geselliger Typ, sportlich und kräftig. Einer zum Pferdestehlen.

Eigentlich sollte er Lehrer werden, entschied sich aber für das Studium zum Bauingenieur. Als er schon Bauleiter war, mauerte er nebenher mit Kollegen ein Wochenendhaus für seine Familie, das er niemals „Datsche“ genannt hätte. Weil das Grundstück Westdeutschen gehörte, musste er das Haus später wieder abgeben. Eine alte Frau, der er mal geholfen hatte, wollte ihm ihr Mietshaus in der Köpenicker Altstadt schenken. Peter lehnte ab. Die Sache hätte sich damals nur gelohnt, wenn er eine Wohnung in dem Haus bekommen hätte. Es war aber alles belegt.

„Geht nicht gibt’s nicht.“ „Meine Kelle passt in jeden Kasten.“ „Auf dem Bau geht alles.“ „Gebaut wird immer.“ So was sagte Peter, trotz Mangelwirtschaft und schwankender Arbeitsmoral. Bedenkenträger und Vorschriftenverwalter mochte er nicht. Die SED mochte er auch nicht. Architekten manchmal auch nicht.

Am meisten hasste er die Berliner Mauer. Als junger Mann war er immer im Westen ausgegangen, er fühlte sich eigentlich als West-Berliner, doch Rübermachen kam nicht infrage; das hatten die älteren Geschwister so beschlossen.

Ersatzweise guckte er Westfernsehen. Tagesschau und Bundesliga mit besonderem Augenmerk auf Borussia Dortmund. Und alle Spiele der Nationalmannschaft West.

Autofahren wollte Peter auch, nur das Warten fiel ihm schwer. Also machte er sich mit einem Freund auf den Weg in eine Werkstatt der „Deutschen Handelszentrale“. Ob sie nicht einen Wartburg hätten, den niemand mehr haben möchte? Der Werkstattchef versuchte sie abzuwimmeln, doch die Männer ließen nicht locker. Schließlich durften sie einen alten Wartburg vom Hof fahren, für 3200 Mark, allerdings ohne Papiere.

Kinder wollte Peter, nur die Wohnung war zu klein. Einzimmerkücheohnebad, Lychener Straße, Prenzlauer Berg. Nebenan war noch so eine Wohnung, der Mieter gerade ausgezogen, also machte sich Peter auf den Weg zur Wohnungsverwaltung und stellte einen Antrag auf Wohnungszusammenlegung per Durchbruch. Die Damen waren erstaunt. So was hatten sie noch nie auf dem Tisch. Sie schickten Peter zum Wohnungsamt, das die Vergabe der zweiten Wohnung genehmigen musste. Er sollte am besten allein hingehen und seinen Charme spielen lassen. Das funktionierte.

Nun hatten sie zwei Wohnungen, aber noch keine Durchbruch-Genehmigung. Es gab Absagen, Teilzusagen, Hinhaltezusagen, Einwände und Vorwände, bis Peter schließlich ein Machtwort sprach, zu sich und zu seiner Frau. „Heute fange ich an.“ Er nahm den Meißel und begann, gegen die Wand zu hämmern, eine tragende, unglaublich dick und fest, aber Peter musste da jetzt durch.

In die Küche der Nachbarwohnung baute er mit seinen Handwerkerfreunden ein Bad mit Wanne ein. Was für ein Luxus! Heiligabend gegen 15 Uhr floss das erste Wasser im neuen Badezimmer. Kurz nach Neujahr kam dann auch die Genehmigung von der Wohnungsverwaltung.

Viele Jahre später, die Mauer war gefallen, sanierten Bauarbeiter die Wohnung seiner Tochter in der Dunckerstraße, Prenzlauer Berg. Peter sah sich die Sache aus der Nähe an und erkannte sofort den Pfusch. Die Bauleute, die kaum Deutsch sprachen, zuckten mit den Schultern. Das hätte er früher mit seinen Freunden besser hingekriegt.

Die Baumärkte und das mit dem Reisen hatte der Westen dem Osten klar voraus. Vor der Wende wollten sie Peter nicht reisen lassen, nicht zur Verwandtschaft, weil die ja zu seiner Frau gehörte, nicht mal ans Grab seines Vaters, der auf einem Friedhof in Frankreich liegt.

Nach der Wende fuhr Peter überall hin, zusammen mit der Familie, nach Rom, Paris, London und New York. In den USA fühlte sich Peter wie entfesselt. Sie fuhren tausende Kilometer mit dem Mietauto durch die Weststaaten, weiter mit dem Flugzeug nach Hawaii. Im nächsten Jahr erkundeten sie die Oststaaten, ein Jahr weiter die Südstaaten, danach die Südweststaaten. Und dann Asien, Island, Kanada. Peter wollte alles sehen, solange er konnte.

Dann kam die Diagnose. Wie ein großes Stoppschild mitten auf dem Weg. Leberkrebs. Acht Wochen blieben Peter, um Abschied zu nehmen. Thomas Loy

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