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Berlin: Peter Lang (Geb. 1958)

Mit Vorliebe vermaß er die künstlerischen Spannweiten schräger Vögel

Da sitzt er auf der roten Couch, sehr lebendig, wiewohl mit schütterem Haar, und redet über die „ungarische Methode“. Über was? Googeln Sie das Video bitte selbst. Dann werden Sie zustimmen: Ganz schrecklich das Hemd! Überhaupt – was für ein, diskret gesprochen, unauffälliger Mann! Aber was für eine interessante Art, die Dinge zu sehen. Und diese listig lächelnden Augen!

Interessierter hinzusehen, als gemeinhin hingesehen wird, das ist die Aufgabe des Kurators. Ausstellungsmacher klingt bescheidener und trifft es auch eher. Denn Peter Lang blieb immer einen Schritt hinter den Künstlern zurück, wenn es galt, an die Öffentlichkeit zu treten. Nicht dass er das Publikum gescheut hätte. Er liebte den Applaus, und wenn er, angekleidet mit seiner Husarenjacke, einen Ausstellungsraum betrat, dann konnte er sich, obwohl er kein sehr großer Mann war, der Aufmerksamkeit aller sicher sein. Aber er war nie eitler, als es die Situation gestattete. Das Grauen jeder Vernissage, die einleitenden Worte des Kunstsachverständigen, wandelte er stets in einen geistreichen Spaß, Stegreifvorträge, assoziativ, bunt, klug, und nie zu lang, damit er zeitig denen den Vortritt lassen konnte, die er am meisten schätzte, den Künstlern.

Dass er der erste Galerist eines gewissen Neo Rauch war, der in der Kunstwelt zu einer höchst profitablen Geldanlage mutierte, wen interessiert es, wenn nicht die, denen Kunst erst dann wichtig wird, wenn es ums große Geld geht. Darum ging es Peter Lang nicht, um den Markt, die Spekulation. Er wetterte gegen das „Pushen von Flachware“, die „Kurzatmigkeit der Kuratoren“, die vermeintliche Liberalität der Galeristen, für die Skandale nur Mittel zur Kurssteigerung … „Aber wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ Peter Lang natürlich, und am liebsten mit Jules Verne und Karl Hans Janke. Letzterer war viele Jahre Insasse der Psychiatrischen Landesanstalt Hubertusburg, Diagnose: chronische paranoide Schizophrenie. Prognose: Auf ewig ein Vergessener. „Er ist der Andere, der obsessionierte Mensch, der in seiner Umgebung kaum als ein besonderer, einmaliger gesehen wurde.“ Karl Hans Janke war stationärer Kosmonaut, aus sich selbst schuf er ein Universum des Fortschritts. Dass wir hineinsehen können, verdanken wir Peter Lang. Der widmete Janke nebst einer Ausstellung auch ein eigenes Brevier, „Auf zu den Sternen“, in dem einiges aus des Himmelstürmers riesiger Flotte an Raumfahrzeugen, Flugaggregaten und Atom-Urstrom-Stationen abgebildet ist. In 40 Jahren Psychiatrie hat Janke drei- bis vierhundert Erfindungen, dreitausend technische Zeichnungen geschaffen, zudem initiierte er eine Sternlandlotterie, in der die zukünftigen Kolonien der Galaxis unter den Völkern der Erde friedlich aufgeteilt werden sollten. Ein Spinner? Die letzte Ausstellung, die Peter Lang mit betreut hat: „Das mechanische Corps. Auf den Spuren von Jules Verne.“ Da war immer einer, dessen Spuren irgendwo hinführten, wo noch keiner gewesen war. Von wegen Spinner! Einer wie „BAADER“, alias Mathias Holst, Poet und Vagabund, Dadaist und „Halb-Irrer“, zwischen „Beowulf und Brechreiz“, so einen muss man erst mal finden.

Peter Lang hat mit Vorliebe die künstlerischen Spannweiten schräger Vögel vermessen und sie zu Ausstellungsstücken gemacht, nein, eben nicht gemacht, er hat sie vorgestellt. Andere hätten sie bloßgestellt.

Obsession ist nur ein anderes Wort für das beharrliche Festhalten an einer Welt, die andere partout nicht sehen wollen. Also für Kunst. Daneben gibt es natürlich auch noch Kitsch und Gewerbe.

Der Treibstoff der weitestreichenden Raketen unseres Sonnensystems, und aller Systeme dahinter und davor, ist die Imagination. Die Poesie des Konstruktiven, die Konstruktion der Poesie und mittendrin, als ausführendes Organ, das Hirn als „Expander des Fortschritts“. Ein heißes Thema. Eins, das Peter Lang nicht als Laie anging. Schließlich hatte er Theoretische Physik in Leipzig studiert, noch dazu Kulturwissenschaft und Ästhetik, nebst Theaterwissenschaft in Berlin. Er wusste, was er wissen wollte. Die Themen mussten ihn persönlich interessieren, ebenso die Künstler, die meist zu Freunden wurden, wenn sie verstanden, worum es ihm ging.

Kunst hilft erkennen, nicht nur dies und das, sondern das Wesentliche. Blickverschränkungen sind Pflicht, nicht die letzten 15 Jahre, sondern die letzten 500, die letzten 5000 sind in Augenschein zu nehmen.

Sein nächstes großes Projekt war dem Jahr 1984 gewidmet, Glasnost, Orwell, Pop und Postpunk, Utopie im Imperfekt, er knüpfte schon Beziehungsfäden. Mitten in der Arbeit überdrehte die Herzrhythmusmaschine. Finale Finissage, und wie immer ließ er alle Fragen offen.

Was also ist die ungarische Methode? Die Ungarische Methode, auch Kuhn- Munkres-Algorithmus genannt, ist ein Rechenweg zum Lösen gewichteter Beziehungen zwischen den Elementen zweier Mengen. Ein Zuordnungsproblem, einfaches Beispiel: Wie findet ein interessierter Mensch aus der Menge x-beliebiger Menschen einen interessanten Künstler aus der Menge x-beliebiger Künstler. Die Antwort: Bis vor kurzem half da Peter Lang.

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