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Berlin: Peter Ott (Geb. 1944)

„Ich spreche Sie doch auch nicht auf Adolf Hitler an“

Ihren Ausweis, bitte.“ Der Polizist sagt den Satz, als frage er einen Passanten nur freundlich nach der Uhrzeit. Peter Ott ist trotzdem misstrauisch. Er kramt seinen Pass hervor, reicht ihn herüber.

„Ah, Schwizer sind’s“, sagt der Berliner Polizist munter.

Peter antwortet in tadellosem Hochdeutsch: „Ich bin Schweizer. Die Schwyz ist ein Kanton, aus dem ich nicht stamme.“

„Aber aufmüpfig sind Sie wie der Wilhelm Tell“, erwidert der kultivierte Polizist in unbeirrter guter Laune.

Ganz anders Peter: „Ich spreche Sie doch auch nicht auf Adolf Hitler an.“

Darauf der Polizist: „So viel ich weiß, war Hitler Österreicher.“

„So viel ich weiß, war er deutscher Reichskanzler.“

Peter jedenfalls war ein gereizter Schweizer, dem auch die Schweiz auf die Nerven ging, Zürich im Speziellen, der saubere Reichtum auf der einen Seite, der moralische Schmutz auf der anderen. Peter, als Künstler, hielt den Leuten den Spiegel vor. Als er noch in Zürich lebte, lag sein Atelier an der Sihl, dem wilderen der beiden Stadtflüsse. Und da die Sihl die in sie gerammten Autobahnpfeiler zu stürmisch umspülte, beschloss die Stadtverwaltung, riesige Steine in den Fluss zu legen, um ihn zu bändigen. Peter protestierte gegen die Einzwängung der Natur. Er stieg in den Fluss und pinselte drei der Brocken rot an. Die Bürger sahen die Bemalung am nächsten Morgen. Vielmehr, sie bemerkten überhaupt zum ersten Mal, dass die Stadt Steine in die Sihl gelegt hatte, und fragten jetzt, endlich, warum.

Peter kam aus den Bergen, wie die Sihl. Aus dem Dorf Matt, einem lieblichen Tal, umgeben von schroffen Felsen. Seine Eltern, beide Lehrer, zogen mit ihm und den zwei Schwestern nach Zürich, wo ihn die anderen Kinder hänselten: Da kommt der Bauernjunge, barfuß und mit seinem komischen Dialekt. Er musste Geige lernen, obwohl er Trompete spielen wollte, aber gottlob unterrichtete ihn diese winzige, dunkelhaarige Geigenlehrerin. Nur für sie übte er weiter. Frauen spielten immer eine große Rolle in seinem Leben, in jedem Land, das er bereiste, gab es eine, mit jeder lernte er eine neue Sprache. Hin und wieder dichtete er auch:

Hunde sind an der

Leine zu führen,

Doch meine Leine ist lang,

sie reicht um die ganze Welt.

Er wollte immer Künstler werden. Die Eltern wollten das nicht. Bohemequatsch, sagten sie und drängten ihn in einen bürgerlichen Beruf: Er wurde Bauingenieur. Ein ausgezeichneter, ein geradezu berühmter Bauingenieur. Zentrale Züricher Plätze gestaltete er, den Schwamendingerplatz, den Werdmühleplatz, den Predigerplatz. Er war ein Angestellter der Stadt, und die Stadt hing ihm zum Halse raus. „Zürich ist langweilig“, sagte er. „Es ist zu klein und zu miefig. Es verkennt, dass Perfektionismus tödlich ist.“ Er zog die für ihn einzig mögliche Konsequenz: Kündigen und Künstler werden, jetzt, endlich. Sinnliche, runde Frauentorsi entstanden, Hunde, wie auf dem Sprung, Steine auf Treppen. Während des Krieges auf dem Balkan füllte er Säcke mit Sand, hunderte, ließ sie mit schwerem Gerät vor dem Grossmünster abladen, eine Wand wuchs empor, die das Eingangsportal zustellte, eine Bannmeile, „Zürich ist nicht Sarajevo“, nannte er die Aktion, kein Weg der Verständigung.

Stand er nicht in seinem Atelier, saß er in der „Bodega“, ein unperfekter Züricher Ort, ein Lokal auf der Gasse; so nennen sie die Zürcher Altstadt. Dort trank er einen Rotwein und noch einen mit seinen Künstler- und Lebenskünstlerfreunden. Von der „Bodega“ ging es weiter ins „Odeon“, wo die Dadaisten ihre ersten Lautgedichte vorgetragen hatten, wo heute noch Bilder von Peter hängen. Dann weiter ins „Schnurrieck“. Dort ärgerte er sich über die kaputten Stühle, nahm einen und warf ihn in den Fluss. Der Wirt erteilte ihm Hausverbot für ein Jahr. Peter ging zum Fluss mit einer Angel, die Passanten blieben stehen, was für eine Posse. An der Angel holte er Schuhe heraus, eine Klobrille, einen Einkaufswagen und schließlich den Stuhl. Der Wirt erstattete trotzdem Anzeige.

Dann reichte es ihm, er wollte weiter, nach New York, blieb aber in Berlin. Er arbeitete, er sang in der Berliner Singakademie, er trank Whisky, er musste Termine absagen, er vermerkte: „Es ist schade, wenn ich gestorben bin, denn dann kann ich Bach nicht mehr hören.“ Er verlor sein Atelier. Er fuhr einmal im Monat nach Zürich, um die Kinder und Enkelkinder zu sehen, „aber ich bin jedes Mal froh, wieder abhauen zu können, spätestens nach einer Woche habe ich die Nase voll.“ Er trank weiter Whisky. Er kam ins Krankenhaus. Dort starb er.

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