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Berlin: Peter Schneider: Die Helden müssen schweigen

Backsteine rund um die Fensterwölbungen, verblasste Fresken hier, eine abstrakte, eiserne Jesus-Skulptur da: In der Dahlemer St. Annen-Kirche gibt es viel zu bewundern.

Backsteine rund um die Fensterwölbungen, verblasste Fresken hier, eine abstrakte, eiserne Jesus-Skulptur da: In der Dahlemer St. Annen-Kirche gibt es viel zu bewundern. Der alte Herr aber, der am Montagabend dort in der dritten Reihe saß, blickte nicht staunend umher. Zu gut kennt Konrad Latte das Gotteshaus. 1943 hatte der spätere Leiter des Berliner Barock-Orchesters hier Orgel gespielt. Jedesmal wieder ein Wagnis. Alles, was Konrad Latte damals tat, war gefährlich. Denn er war Jude.

Wie es dem gebürtigen Breslauer gelang, in Berlin unterzutauchen, wie er immer wieder Menschen fand, die ihm halfen, ist eine spannende (Überlebens-)Geschichte. Peter Schneider hat sie aufgeschrieben: "Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen ..." (Rowohlt Berlin, 159 Seiten, 34,90 Mark). Zögernd zunächst, denn wären da nicht Missverständnisse möglich? Würde man es als Entlastung der ungeheuren Verbrechen begreifen, wenn an Menschen erinnert wird, die nicht im Sinne des Regimes agiert haben? Trotzdem entschied sich Schneider dazu, der "bewundernswerten Minderheit Achtung zu erweisen", wollte zeigen, dass es "selbst in den Jahren schlimmsten staatlichen Terrors Raum für eine Wahl" gegeben hat.

"In einem Zug", so sagte Bundesinnenminister Otto Schily in seiner Einführung, habe er das Buch des Freundes durchgelesen. Die Geschichte um Konrad Latte sei ein Lehrstück in Zivilcourage, die "ist heute nötiger denn je". Ursula Meißner, damals 20-jährige Schauspielerin am Preußischen Staatstheater, hatte gar nicht über Risiken nachgedacht, als sie dem jungen Musiker und seinen Eltern Unterschlupf gewährte. Ohne die Menschen zu kennen, einfach so, ohne Zeitbegrenzung.

Harald Poelchau, der Gefängnispfarrer von Tegel, hatte ihm ebenso zur Seite gestanden wie eine angehende Stenotypistin, die ihm eine Kleiderkarte gab und für dieses "Vergehen" bestraft wurde. Fünfzig Menschen, schätzt Konrad Latte, haben ihm zwischen 1943 und 1945 beim Überleben in Berlin geholfen. Einen wie ihn, der - wie Peter Schneider in seinem Buch betont - "detailgenau und mit sichtlicher Lust am Pointieren zu sprechen weiß", hätte das Publikum sicher gern selbst befragt. Auch seine ebenfalls anwesende Ehefrau Ellen und - nicht zuletzt - die eigens aus Genf angereiste Ursula Meißner. "Mich hat niemand aufgefordert, etwas zu sagen", sagte die 78-Jährige. Stattdessen stand ein Gespräch zwischen Otto Schily und Peter Schneider auf dem Programm, und das plätscherte - unmoderiert - allzu langatmig dahin: Frontalunterricht in Zivilcourage.

Geduldig hörten die Helden ihrer Geschichte zu. Am Ende, immerhin, wurde auch Konrad Latte nach vorne gebeten. Zum Signieren.

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