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Mitten auf dem Oranienplatz in Berlin spielt Davide Martello am Dienstagabend auf seinem Klavier. Er spielt "für Freiheit und Demokratie in der Türkei".

© Annette Kögel

Update

Pianist vom Taksim-Platz spielt in Berlin: Davide Martello verzauberte die Stadt

"Für Freiheit und Demokratie in der Türkei" spielte der Pianist Davide Martello am Dienstagabend auf dem Oranienplatz in Berlin. Vor wenigen Wochen saß er mit dem gleichen Klavier auf dem Taksim-Platz in der Türkei und sorgte für eine Sensation inmitten der Unruhen. Heute ist er schon wieder in Hamburg und in der Sendung von Markus Lanz. Dann geht es weiter, nach London, Paris...

Hunderte haben sich am Donnerstagabend spontan auf dem Oranienplatz in Berlin versammelt, um den sanften Klavierklängen von Davide Martello zu lauschen, bis in die tiefe Nacht. Auf Mülltüten, die wegen des Komforts auf dem Sandboden ausgeteilt wurden, nahmen die Gäste rund um den Musiker an seinem elektrischen Piano herum auf dem Boden platz. Kaum erklangen die ersten Töne, bekamen viele im Publikum Gänsehaut. Mehr als drei Stunden beseelten die sanften Klänge den rauen Oranienplatz in SO36.

Für Aufsehen hatte der 31-jährige Musiker aus Konstanz vor wenigen Wochen in der Türkei gesorgt: Auf dem Taksim-Platz in Istanbul befriedete er mit seinem Klavierspiel die aufgebrachten Demonstranten und Polizisten, die während der anhaltenden Unruhen auf dem Taksim-Platz in Istanbul aufeinander prallten. Seinen schwarzen Konzertflügel hatte er auch mit seinem Autoanhänger quer durch Europa mitten auf den umkämpften Platz transportiert und fing einfach an, zu spielen. Die kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Regimegegner und Regimebefürworter schienen für kurze Zeit vergessen.

13 Stunden am Stück hatte er gespielt, es war ein Musik-Filibuster, bevor die Polizei den Platz gewaltsam räumte. Selbst als die Demonstranten vom Platz stürmten, schob der italienischstämmige Künstler sein Klavier gegen die Masse in Richtung Polizei - bis er in eine Tränengaswolke geriet und fliehen musste. Sein Piano blieb auf dem Platz, zwischen der Polizei und den letzten wütenden Demonstranten, zurück.

Auf eben diesem Klavier spielte Martello am Dienstagabend auch in Berlin, Stücke wie "Bella Ciao" oder "Imagine" von John Lennon, aber auch eigene Kompositionen. Er spielt „für Freiheit und Demokratie in der Türkei“, so hatte er es auch seiner Facebook-Seite angekündigt, als er am Dienstag zu dem spontanen Flashmob auf dem Oranienplatz in Kreuzberg aufrief. Mehr als 400 Menschen hatten im Netz ihr Kommen angekündigt. Etwa genau so viele fanden sich am Abend schließlich auf dem Oranienplatz ein. Auch Hatice Akyün ist dem Aufruf gefolgt: „Ich habe über Facebook davon erfahren. Ich sehe ständig die Videos meiner Freunde aus Istanbul. Jetzt kann ich ihnen selber ein Video zuschicken. Man ist glücklich, so etwas zu erleben, ohne dass die Polizei einschreitet.“

Auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele mischte sich unter die Menge. Nach dem Konzert begrüßte er den Künstler persönlich. Beide gaben sich die Hand. "Ich kenne Sie irgendwoher", sagte Martello. "Ich bin der Abgeordnete dieses Bezirks", entgegnete Ströbele. "Ich bin der Abgeordnete dieser Musik", antwortete Martello wiederum. Ströbele bedankte sich bei dem Künstler und betonte dessen wichtige Rolle im Friedensprozess in der Türkei. Doch der Musiker wolle sich nicht zu sehr als Freiheitskämpfer instrumentalisieren lassen, sondern als Künstler angesehen werden. Erst am Sonntag war Martello auf dem Schlossplatz in Dresden zu sehen und zu hören, wo er mit eigenen Beatles-Variationen ein Benefizkonzert für die Flutopfer zum Besten gab.

Doch am Dienstag stand alles im Zeichen der Solidarität mit den Demonstranten in der Türkei. Türkische Sprechchöre "überall ist Taksim, überall ist Widerstand" hallten durch die Luft. Auch Martellos schwarzer Flügel war mit einer türkischen Flagge geschmückt.

Soner Ipekcioglu, einer der Organisatoren der Flashmob-Aktion in Berlin würdigte Martello: "Musik schmeichelt einem, du magst da nicht prügeln. Er hat es geschafft, drei Tage lang Frieden zwischen Protestlern und der Polizei zu stiften. Erst nachdem er schlafen gegangen war, gab es wieder Pfefferspray-Einsätze. Er hat sich später vorgeworfen, dass er schlafen gegangen ist." Tuba Scherfner, die die Aktion ebenfalls mit organisierte, sagte: „Seit einem Monat schon organisieren wir Demos. Wir wollten nicht untätig vor den Videos von den Protesten da sitzen, sondern aktiv einen Beitrag leisten. Es ist einfach nur Musik, gefühlvolle Stücke, die das Leben erzählen. Wir wollten mit Davide Martello die Atmosphäre von dort hierher transportieren. Er schafft Gemeinschaft und Frieden. Sogar die Polizei hier hat sich gefreut." Beamte gaben Martello Tipps zur Motorreparatur seinen angeschlagenen Wagens, der ADAC half nach Mitternacht, Martello musste ja nach Hamburg weiter.

Nicht nur für die Anwesenden und Polizisten, auch für den Künstler war der Abend etwas besonderes. Mit Berlin fühle er sich sehr verbunden, auch hier sei er zuhause. Seine ersten großen Auftritte feierte er am Potsdamer Platz. "Hier zu spielen was wie auf dem Taksim-Platz, nur in klein", so der Künstler. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit dem Verkauf seiner "Klavierkunst"-CDs, das Stück 15 Euro. Für die warb er aber beim Open-Air-Konzert aber ganz bescheiden gar nicht, sie standen nur an der Seite. Davide Martellos Kunst besteht eigentlich darin, seine beseelenden Klänge "an architektonisch reizvollen Orten" darzubieten. Als er dann auf der Tournee mit seinem Kleinwagen und Piano-Anhänger in Sofia von den Unruhen in der Türkei hörte, machte er sich gleich auf zum Konzert auf dem Taksim-Platz. Und nun war der Oranienplatz dran. Weitere Infos unter: www.klavierkunst.com

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