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Aufwärts. In diese Richtung schaut Pirat Christopher Lauer während einer Sitzung des Abgeordnetenhauses. Und in diese Richtung geht es im Moment auch für seine Fraktion.

© dapd

Piratenpartei: „Wir treiben die Regierung vor uns her“

Mit Initiativen zu Handyfahndung und VIP-Tickets haben die Piraten an politischem Profil gewonnen. In einer Umfrage legen sie deutlich zu. Jetzt wollen ihre Abgeordneten alle privaten Einkünfte offenlegen.

Wer dachte, mit dem Höhenflug der Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl sei schon der Zenit der Polit-Neulinge erreicht, der hat sich geirrt. Statt interner Querelen bestimmten in den vergangenen zwei Wochen öffentlichkeitswirksame Initiativen gegen die Handyüberwachung, die Ausspähung von Computer-Telefonaten durch die Polizei („Staatstrojaner“) aber auch gegen die Gratisvergabe von Eintrittskarten an Politiker („VIP-Tickets“) das öffentliche Bild der Partei. Das geht mit einem Sympathiegewinn einher: Wären am Sonntag in Berlin erneut Abgeordnetenhauswahlen, käme die Partei statt 8,9 Prozent wie noch im Herbst inzwischen sogar auf 14 Prozent, so ermittelte jüngst eine Forsa-Umfrage. Damit hätte sie inzwischen die Linkspartei (10 Prozent) überholt und läge nur noch knapp hinter den Grünen (16 Prozent).

Es scheint, als habe sich die anfangs unerfahrene und konfus wirkende Truppe gesammelt. Jetzt wird mit politischen Initiativen vor allem zum Thema Transparenz gepunktet. „Zu Beginn haben wir vor allem auf aktuelle Vorfälle reagiert, inzwischen bringen wir zunehmend selber Themen ins Parlament und in die Medien“, beschreibt Fraktionsgeschäftsführer Martin Delius die Professionalisierung. Dazu passt auch die Initiative, die der Piraten-Innenpolitiker Fabio Reinhardt am Dienstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel ankündigt: „Wir werden alle Nebeneinkünfte der Fraktionsmitglieder offenlegen.“ Dafür habe man die Daten der 15 Fraktionsmitglieder gesammelt, noch diese Woche soll über die Website www.piratenfraktion-berlin.de die Liste öffentlich einsehbar sein – eine weitere Initiative, die der kleinsten Fraktion des Parlaments erneut viel öffentliche Aufmerksamkeit bescheren dürfte.

„Die Piraten sind in ruhigem Fahrwasser angekommen und profilieren sich jetzt mit eingängigen Initiativen aus ihrem Fachbereich“, analysiert FU-Politikprofessor Nils Diederich. Das sei jedoch nach wie vor auf Kernthemen wie Datenschutz und Transparenz beschränkt. Eine Entwicklung hin zu allgemeinpolitisch relevanten Initiativen sieht Diederich noch nicht. Dass die Partei in Umfragen anzieht, sieht er vor allem als Zeichen der Schwäche der Konkurrenz: „Gegen die Piraten wirken derzeit auch die Grünen und die Linke altbacken und etabliert.“

„Es ist uns gelungen, mit wichtigen Themen die Regierung vor uns herzutreiben“, jubiliert Christopher Lauer, Innenpolitiker der Piratenfraktion und treibende Kraft hinter der vieldiskutierten Initiative, die flächendeckende Auswertung von Handydaten durch die Polizei bei der Brandstifterfahndung öffentlich zu machen und zu kritisieren. Auch die überraschende Bekanntmachung von Innensenator Frank Henkel am vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dass Berlin sich einen sogenannten Staatstrojaner – eine Software zum Kontrollieren von Internet-Telefonaten – anschafft, ging auf eine Piraten-Anfrage zurück. „In der Fraktion hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir besser mit inhaltlichen Themen punkten als mit privaten Geschichten“, sagt Lauer in Anspielung auf öffentlich gewordene Streitereien und Beziehungsgeschichten zwischen einzelnen Piraten.

Die anderen Parteien sehen das mit gemischten Gefühlen. „Bei Themen wie Datenschutz sind die Piraten überzeugend und kompetent“, gesteht ihnen Linken-Fraktionsgeschäftsführer Uwe Doering zu. Gerade beim vieldiskutierten Thema VIP-Tickets ist er aber enttäuscht von den Piraten. Kurz bevor die Fraktion mit großer Geste ihren Verzicht auf Freikarten für die Philharmoniker oder Hertha BSC verkündete, habe man sich mit allen Fraktionsgeschäftsführern getroffen, um ein entsprechendes Gutachten zu besprechen und sich vertraulich über das weitere Vorgehen zu verständigen. Stattdessen seien die Piraten vorgeprescht und hätten sich auf Kosten der anderen Parteien profiliert. „Die Piraten brauchen sicher noch etwas Zeit, bis sie in allen Abläufen voll drin sind“, sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh diplomatisch. „Sie sind dabei, sich weiter einzuarbeiten und wirken dabei sehr erfrischend.“ Ramona Pop von den Grünen sieht es betont „gelassen“, dass die Konkurrenz in Sachen öffentliche Aufmerksamkeit die Nase vor den Grünen hat: „Das ist der Charme des Neuen.“

Beim Thema Nebeneinkünfte sind die anderen Parteien skeptisch, wie weit die Piraten mit ihrer Ankündigung ernst machen. So weist der SPD-Sprecher für Rechts- und Netzpolitik, Sven Kohlmeier, darauf hin, dass er und eine Handvoll anderer Politiker bereits jetzt freiwillig offenlegen, wie viel sie neben ihren Diäten verdienen. Von den Piraten seien dem aber bislang nur zwei Politiker gefolgt. Ein Modell für das ganze Parlament sieht er darin eh nicht. Man könne von Politikern nicht mehr Transparenz erwarten als man sie jedem Bürger abverlange. Bislang müssen Mitglieder des Abgeordnetenhauses lediglich bekanntgeben, was sie neben dem Parlament beruflich machen, aber im Regelfall keine konkreten Zahlen offenlegen.

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